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Enkelmann: Ausschluss der Linksfraktion aus Afghanistan-Sitzung war "überzogen"

Dagmar Enkelmann, parlamentarische Geschäftsführerin der Linkspartei im Bundestag, hält den Rausschmiss ihrer Fraktion aus dem Bundestag während der gestrigen Afghanistandebatte für "überzogen". Die Linkspartei hatte ihre Meinung zur Verlängerung des Afghanistan-Mandates auf Transparenten deutlich gemacht und damit gegen die Geschäftsordnung verstoßen.

27.02.2010
    Mario Dobovisek: Rausgeschmissen aus dem deutschen Bundestag. Das hat es seit 20 Jahren nicht mehr gegeben. Mein Kollegen Jürgen Zurheide hat gestern Abend in unserer Sendung mit Dagmar Enkelmann gesprochen. Sie ist die parlamentarische Geschäftsführerin der Linken im Bundestag. Und seine erste Frage lautete: Was halten Sie von der Entscheidung des Bundestagspräsidenten, die Linksfraktion von der Sitzung auszuschließen?

    Dagmar Enkelmann: Also ich halte sie für überzogen. Unsere Rednerin, Christine Buchholz, hat ja aufmerksam gemacht auf das Problem Kundus, auf die Opfer von Kundus, und die Aktion, die dann stattgefunden hat, hat genau auf die Opfer aufmerksam gemacht und hat etwas erneut gefordert, was wir schon seit Langem fordern, dass es so etwas wie eine Gedenkstunde zum Beispiel für die Opfer gibt, dass es eine Entschuldigung gibt gegenüber den Angehörigen. Das wäre – das haben unsere Kollegen dort auch gesagt nach den Gesprächen – das wäre genau für die Afghanen sehr, sehr wichtig, dass es so ein Zeichen aus Deutschland gibt. Das gibt es bislang nicht, wir haben es immer wieder gefordert.

    Jürgen Zurheide: Nun kennen Sie die Geschäftsordnung des Bundestages und Sie wissen auch, wie in der Vergangenheit hin und wieder reagiert worden ist. Jetzt könnte man Sie fragen: Wollen Sie die Geschäftsordnung ändern vielleicht?

    Enkelmann: Also ich will die Geschäftsordnung nicht ändern. Ich war mir im Klaren darüber, dass das nicht durch die Geschäftsordnung gedeckt ist, das hätte einen Spielraum gegeben, an dem man hätte sagen können, okay, nicht in Ordnung. Aber die Fraktion oder die Mitglieder der Fraktion dann auszuschließen von dem Rest der Sitzung, das, denke ich mal, war überzogen. Und ich denke, das hat der Präsident auch gemerkt, deswegen gab es ja dann die Entscheidung, dass die Fraktion trotz allem an der namentlichen Abstimmung und an den Abstimmungen zu dem Tagesordnungspunkt teilnehmen durfte.

    Zurheide: Nun kann man natürlich sagen, Sie haben es gerade selbst gesagt, Sie haben damit gerechnet, dass genau so etwas passiert, also war es exakt ein kalkulierter Verstoß gegen die Regeln, die für alle gelten und die Sie ja, wie ich gerade höre, auch nicht ändern wollen. Da könnte ich Sie natürlich auch fragen, Ihre Argumente sind offensichtlich nicht stark genug oder Sie wollen sie eben nicht im Bundestag so einbringen, wie das möglich gewesen wäre. Denken Sie da nicht auch mal nach oder drüber nach und sagen kritisch, na ja, immer kann man das auch nicht machen?

    Enkelmann: Also als parlamentarische Geschäftsführerin kenne ich natürlich die Geschäftsordnung sehr gut, auch die Diskussionen aus den letzten Jahren, aber ich denke, manchmal gibt es Situationen, in denen man dann entscheiden muss, ja, hier muss man möglicherweise auch mal über die Geschäftsordnung hinausgehen. Es gibt durchaus in anderen Zellen auch eine andere Großzügigkeit. Also zum Beispiel kann ich mich erinnern, dass die FDP in der letzten Wahlperiode häufiger mal ihr Sparbuch gezeigt hat – auch das ist ja eine Art von Demonstration gewesen, die ist aber nie sanktioniert worden. Also insofern sage ich mal, hier gibt es Spielraum, und den hätte man nutzen können.

    Zurheide: Jetzt könnte man fragen, ist das eine neue Strategie der Linken, denn Sie hätten das ja auch vor dem Parlament machen können, Sie hätten dann genauso viel Öffentlichkeit gehabt.

    Enkelmann: Das weiß man immer nicht so ganz genau. Also wir haben das alles ja vor dem Parlament auch schon gemacht, wir waren bei der Afghanistan-Demonstration gewesen, es ist in mehreren Reden im Parlament auch gesagt worden und gefordert worden, nur wir sind damit bislang nicht durchgedrungen – also mit dieser Forderung, es muss so etwas wie eine Entschuldigung auch der Bundesregierung gegenüber den Opfern geben. Damit sind wir nicht durchgedrungen. Ja, und dann überlegt man, ob es nicht auch andere Mittel gibt.

    Zurheide: Ist das jetzt eine neue Strategie, wird das häufiger passieren?

    Enkelmann: Das wird nicht häufiger passieren, darüber ist sich die Fraktion auch im Klaren, dass das die absolute Ausnahme bleibt. Es hat, wie gesagt, in der letzten Wahlperiode eine, ja, leichte Häufung gegeben, die ich auch nicht mitgetragen habe, deswegen ist ja auch die Geschäftsordnung geändert worden, was nicht gut war, auch für die Linke nicht gut war, wenn die Geschäftsordnung geändert wird und verschärft wird. Also ich denke, das wird die absolute Ausnahme bleiben. Aber in diesem Falle sage ich mal, war es notwendig, tatsächlich auch mit anderen Mitteln mal zu agieren.

    Zurheide: Eine Frage kann ich Ihnen natürlich nicht ersparen, weil die SED früher mal beim Einmarsch 1979 überhaupt nicht kritisch war, als die Sowjets nach Afghanistan gegangen sind. Wie viel Selbstkritik schwingt eigentlich mit, wenn man dann heute solche Aktionen macht?

    Enkelmann: Da gibt es erstens viel Selbstkritik, und zweitens gibt es viel ich sag mal Bewältigung dieser Geschichte. Die Bewältigung einer Geschichte, die deutlich macht, mit militärischen Mitteln sind eben Probleme in einem Land nicht zu lösen und schon gar nicht durch Aggression, durch Einmarsch von außen, durch fremde Truppen, das hat der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan ja sehr deutlich gezeigt. Das ist eine Erfahrung, die wir mitbringen auch aus der DDR-Geschichte.