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Enquete-Kommission "Künstliche Intelligenz"
"Unsere Maxime muss sein, dass der Mensch im Mittelpunkt steht"

Heute tagt zum ersten Mal die Enquete-Kommission "Künstliche Intelligenz" des Bundestags. CDU-Politikerin Nadine Schön sagte im Dlf, Ziel der politischen Regulierung des Feldes müsse sein, dass die Menschen von der Digitalisierung möglichst profitieren und die Gefahren so weit wie möglich minimiert würden.

Nadine Schön im Gespräch mit Stefan Heinlein | 27.09.2018
    Ein Mitarbeiter des Robotic Innovation Centers steuert am 20.03.2017 bei der CeBIT Messe in Hannover (Niedersachsen) am Stand des deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) mit Hilfe eines Exoskeletts den Roboter AILA.
    Der Roboter AILA auf der IT-Messe CeBIT in Hannover. (dpa / picture alliance / Ole Spata )
    Stefan Heinlein: In unserem Berliner Studio begrüße ich jetzt die stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Nadine Schön. Guten Morgen, Frau Schön.
    Nadine Schön: Guten Morgen.
    Heinlein: Wir haben es gerade gehört: Die Bundesregierung arbeitet bereits an einer Digitalstrategie. Es gibt eine Menge Beratergremien, national und europäisch. Warum braucht es jetzt noch eine Enquete-Kommission? Nur für das gute Gewissen der Politik?
    Schön: Nein, überhaupt nicht. Wir sehen ja, wie künstliche Intelligenz unser Leben massiv verändert. Wir sehen das nicht nur in Europa, sondern vor allem auch, dass von den USA, von großen Internet-Giganten, und auch aus China, staatlich gesteuert, diese Entwicklung vorangetrieben wird, und da ist es klar, dass wir in Europa und in Deutschland da auch mit an der Spitze sein wollen.
    Und wenn eine Entwicklung unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben so verändert, wie das die K.I. tut, dann gehört da auch ein demokratischer Diskussionsprozess dazu, und dann gibt es keinen besseren Ort dafür als den Deutschen Bundestag, das Herz der Demokratie, um auch eine gesellschaftliche Debatte darüber zu führen, wie die Entwicklung vorangeht, wo wir auch ethische, gesellschaftliche Chancen, aber auch Grenzen sehen, und genau das soll diese Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz leisten.
    "Wenn wir das nicht gestalten, dann werden es andere gestalten"
    Heinlein: Können wir uns denn leisten, Frau Schön, über ethische Grundsätze im Umgang mit K.I., wie Sie sagen, Künstlicher Intelligenz zu philosophieren, während - auch das haben Sie erwähnt - die Chinesen und die Amerikaner längst Nägel mit Köpfen machen?
    Schön: Genau das ist ja die Herausforderung. Wir sehen, welche Milliarden-Beträge hier eingesetzt werden, sowohl in China als auch in den USA, und da muss unser Anspruch sein, dass wir als Europäer da mitspielen. Deshalb gilt es, einen guten Mittelweg zu finden für Europa zwischen wirtschaftlichem Erfolg und dem, was wir auch an ethischen Grenzen sehen. Das Ganze kann man nicht einfach blind laufen lassen. Wenn wir das nicht gestalten, dann werden es andere gestalten.
    Wir haben den Anspruch, hier führend zu sein, nicht nur aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten, weil natürlich der Wohlstand, die Arbeitsplätze der Zukunft auch davon abhängig sind, ob wir das erfolgreich gestalten, sondern auch aus gesellschaftlichen Gründen.
    Die Unions-Fraktions-Vize Nadine Schön spricht am 28. Januar 2016 im Bundestag
    Die Unions-Fraktions-Vize Nadine Schön (dpa / Michael Kappeler)
    Heinlein: Einen Mittelweg suchen, sagen Sie, Frau Schön. Welche Regeln, welche Grenzen kann und muss denn die Politik der Forschung und der Entwicklung Künstlicher Intelligenz setzen? Gibt es da schon einen Rahmen?
    Schön: Das ist ein dynamischer Prozess und wir sind ja auf europäischer Ebene und auch in Deutschland permanent dabei auszutarieren, an welcher Stelle man regulierend eingreift. Bei der Regulierung ist das ja so eine Sache. Reguliert man zu früh, dann kann man Entwicklungen abschneiden. Reguliert man zu spät, dann kann es sein, dass Entwicklungen sich vollzogen haben, auf die man dann keinen Einfluss mehr hat. Das Ganze muss aber auch immer vor dem internationalen Kontext gesehen werden. Deshalb ist Regulierung im digitalen Zeitalter extrem schwierig, weil es globale Prozesse sind, die passieren, und muss deshalb behutsam vorgenommen werden.
    Aber genau das tun wir. Wir reden zurzeit auf europäischer Ebene und auch in Deutschland über Plattform-Regulierung. Wir reden über Datenschutz und müssen das immer wieder danach bewerten, ob wir denn auch mit unseren Modellen überhaupt wirtschaftlich erfolgreich sein können. Wir sehen, dass viele Gesetze aus der Vergangenheit im digitalen Zeitalter nicht mehr anzuwenden sind, und da muss man auch mal den Mut haben, das eine oder andere über Bord zu werfen.
    Heinlein: Können Sie da ein Beispiel nennen für ein Gesetz, das über Bord geworfen werden muss?
    Schön: Na ja. Schlussendlich muss man natürlich alles in Frage stellen, wenn man sieht, welche massiven Entwicklungen durch die K.I. passieren. Das fängt bei banalen Sachen an wie etwa im Arbeitsrecht, wo wir uns fragen müssen, ob das, was wir heute haben mit festen Arbeitszeiten, noch den Bedürfnissen der digitalen Welt entspricht, bis hin zum Datenschutz.
    Gerade vor wenigen Wochen wurde im Parlament die Urheberrechtsreform verabschiedet. Das schiebt dem Text- und Data-Mining, die Sammlung von Daten, von Informationen aus Quellen, um sie dann für K.I. nutzbar zu machen, einen großen Riegel vor. Deshalb muss man sich fragen, ob unsere Regulierung wirklich so innovationsoffen ist, dass die neuen Geschäftsmodelle auch in Europa entstehen können. Gerade bei dem Punkt würde ich mal ein großes Fragezeichen dahinter machen.
    "Welche Aufgaben hat der Einzelne, was überlassen wir der Maschine?"
    Heinlein: Einen Satz aus Ihrer Antwort habe ich mir gerade gemerkt. Sie haben gesagt, es müsse überprüft werden, ob die heutige Arbeitswelt noch den Bedürfnissen der Digitalisierung entspricht. Muss das nicht umgekehrt sein und können Sie verstehen, wenn Arbeitnehmer oder Gewerkschaften Angst haben vor dieser Künstlichen Intelligenz, vor dieser neuen Technologie, die sagen, das vernichtet meinen Arbeitsplatz, da gehen Jobs verloren?
    Schön: Das ist ja die Frage, die uns alle umtreibt. Wir alle wollen ja, dass zukünftig auch wir in Deutschland noch unseren Wohlstand selbst erwirtschaften können, dass es Arbeitsplätze hier gibt, hochwertige, qualitativ hochwertige Arbeitsplätze, dass das, was uns in der Vergangenheit stark gemacht hat, nämlich ein sehr innovativer Mittelstand, auch noch in den nächsten Jahren zu unserem Wohlstand beiträgt und dass die Menschen auch sinnvolle und sinnspendende Tätigkeiten haben.
    Das heißt aber in einer digitalen Welt, dass wir ganz andere Anforderungen auch an die Ausbildung setzen müssen, damit die Jobs der Zukunft auch hier entstehen, und das heißt für das Arbeitsleben, dass man auch neu austarieren muss, welche Aufgaben hat der Einzelne, was überlassen wir der Maschine, wie definieren wir Verantwortlichkeiten auch in einem betrieblichen Entscheidungsprozess, und das sind schon massive Änderungen, die auf uns zukommen.
    Die norwegische Entwicklerin Karen Dolva zeigt ihren Roboter AV1. Der Roboter ersetzt als Avatar Schüler, die schwer erkrankt sind und von zuhause am Unterricht teilnehmen wollen.
    Der Roboter AV1. Der Roboter ersetzt als Avatar Schüler, die schwer erkrankt sind und zuhause am Unterricht teilnehmen wollen (picture alliance / Michael Kappeler/dpa)
    Da habe ich gar keine Angst davor. Ich glaube, dass wir das schaffen können. Aber deshalb dient ja auch diese Enquete-Kommission dazu, dass wir uns jetzt damit beschäftigen, damit die politischen Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass wir diesen Wandel schaffen. Unsere Maxime muss sein, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, dass die Technik den Menschen dienen muss und dass wir deshalb auch Regulierung so machen müssen, dass wir möglichst von der Digitalisierung profitieren und die Gefahren so weit wie möglich minimieren, so schwierig das ist.
    Heinlein: Frau Schön, an dieser Stelle würde ich gerne einen ganz harten Schnitt machen und von der Sachpolitik zur Personalpolitik kommen. Denn Sie sind nicht nur Sachpolitikerin, sondern auch stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union und haben die Wahl von Ralph Brinkhaus beobachtet. Sie waren auch schon stellvertretende Fraktionsvorsitzende unter Volker Kauder. Hätten Sie gerne mit ihm weitergemacht?
    Schön: Ja. Ich glaube schon, dass Volker Kauder ein sehr erfolgreicher Fraktionsvorsitzender war. Er hat über viele, viele Jahre die Politik der Union geprägt und auch die Fraktion exzellent geführt. Das wird Ralph Brinkhaus in Zukunft auch machen. Ich glaube aber, dass wir als Union Volker Kauder da wirklich sehr viel zu verdanken haben.
    "Bei Kauder hätte hätte ich mir da einen anderen Übergang gewünscht"
    Heinlein: Sie haben Ralph Brinkhaus gewählt. Warum? Was hat Sie überzeugt?
    Schön: Ich habe Volker Kauder gewählt, weil ich seit Beginn meiner parlamentarischen Tätigkeit sehr gut mit ihm zusammenarbeite. Ich bin einer seiner Stellvertreter. Ich finde auch, wenn man so eine Leistung verbracht hat, so eine Lebensleistung, dass es dann nicht schön ist, abgewählt zu werden. So sehr ich Ralph Brinkhaus schätze - und ich schätze ihn wirklich sehr -, hätte ich mir da einen anderen Übergang gewünscht.
    Aber ich weiß, dass Ralph Brinkhaus unsere Fraktion sehr gut führen wird. Er wird sehr viel Schwung mit reinbringen und Sachen, die mir auch sehr wichtig sind, nämlich das Potenzial des Einzelnen in der Fraktion und auch die Stimme der Fraktion in der politischen Debatte wahrnehmbarer zu machen. Das sind Anliegen, die ich absolut teile, und deshalb glaube ich, dass Sie in den nächsten Wochen und Monaten die Fraktion auch als wichtigen Debattengeber und Themengeber in der politischen Debatte wahrnehmen werden.
    Volker Kauder ist als Chef der Unionsfraktion abgewählt
    Volker Kauder ist als Chef der Unionsfraktion abgewählt worden (AP Photo / Markus Schreiber)
    "Wir können mehr als Union als das, was wir in den letzten Wochen präsentiert haben"
    Heinlein: Angela Merkel hatte ja vor der Wahl recht eindeutig für Kauder geworben und erklärt, es sei der falsche Zeitpunkt für einen Neuanfang. Waren Sie geschockt wie die Kanzlerin, als dann das Ergebnis bekanntgegeben wurde?
    Schön: Wir haben alle gedacht, dass es knapp wird, denn Ralph Brinkhaus ist wirklich ein sehr anerkannter Kollege und die Anliegen, die er vorgebracht hatte als Grund für seine Wahl, nämlich das Potenzial der Fraktion besser auszureizen, den einzelnen Abgeordneten mehr Gewicht zu geben, das sind Anliegen, die auch viele von uns teilen. Auch ich! Von daher war das klar, dass das eine sehr knappe Entscheidung wird. Jetzt ist es knapp für Ralph Brinkhaus ausgegangen. Das war bestimmt auch den Ereignissen der vergangenen Wochen und Monate geschuldet.
    Wir können mehr als Union als das, was wir in den letzten Wochen präsentiert haben. Jetzt wird es Zeit, dass wir zur Sacharbeit zurückkommen und das, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, was wirklich sehr viele wichtige Maßnahmen für die Menschen sind, dass wir das auch umsetzen.
    Heinlein: Diesen Appell, Rückkehr zur Sachpolitik, das hört man ja in letzter Zeit in Berlin immer häufiger. Aber es bleibt die Frage, Frau Schön: Warum hat die Kanzlerin die Stimmung in ihrem eigenen Laden, in ihrer eigenen Fraktion so falsch eingeschätzt?
    Schön: Ich weiß nicht, ob sie das falsch eingeschätzt hat. Die Kanzlerin arbeitet mit Volker Kauder seit Beginn ihrer gemeinsamen Amtszeit zusammen. Das wäre höchst merkwürdig, wenn sie ihn fallen lassen würde. Deshalb ist das völlig klar, dass sie Volker Kauder - und ich habe ja schon gesagt - aus guten Gründen vorgeschlagen hat als Fraktionsvorsitzenden. Er steht da auch für Stabilität und Kontinuität.
    Aber ich glaube auch, dass sie genauso gut mit Ralph Brinkhaus zusammenarbeiten wird, der noch mal andere Aspekte in den Vordergrund stellt und der ja auch von sich aus betont hat, dass er seine Wahl nicht als Richtungswechsel sehen will, sondern dass er mit der Kanzlerin zusammenarbeiten wird. Deshalb halte alle medialen Interpretationen, dass das jetzt ein Affront gegen die Kanzlerin ist, für übertrieben. Wer am Dienstag im Saal war wird gespürt haben, dass es da um ganz andere Sachen ging, nämlich um das Potenzial der Fraktion, jedes einzelnen Abgeordneten besser auszuschöpfen und die Fraktion auch wahrnehmbarer nach außen zu machen.
    "Jetzt sollten wir aber wirklich mal Sacharbeit machen und nicht die nächsten Personaldebatten führen"
    Heinlein: Sollte Angela Merkel, Frau Schön, auf dem CDU-Parteitag Anfang Dezember in Hamburg - der steht ja an - den Weg freimachen an der Parteispitze? Oder sollte sie weiter antreten, noch einmal antreten für den Parteivorsitz?
    Schön: Ich rate dazu, dass wir jetzt nicht heute schon anfangen, die nächste Debatte zu führen. Wir befinden uns in einem personellen Erneuerungsprozess. Das hat man ja bei der Regierungsbildung gesehen. Wir haben viele neue junge Minister im Kabinett. Wir haben mit Annegret Kramp-Karrenbauer eine ganz engagierte Generalsekretärin, die die Stimme der CDU noch mal sehr deutlich nach außen bringt, auch klarer definiert, was ist eigentlich CDU.
    Jetzt haben wir einen neuen Fraktionsvorsitzenden und das ist natürlich ein politischer Wandel, ein Erneuerungsprozess in unserer Partei, Fraktion und Regierung, der sich vollzieht. Jetzt sollten wir aber wirklich mal Sacharbeit machen und nicht die nächsten Personaldebatten führen, und ich glaube, dass das auch wirklich das ist, was die Menschen von uns verlangen.
    Heinlein: Sie sagen es: Viele junge Minister, viele junge Abgeordnete. Ein Generationenwechsel auch in Ihrer Fraktion. Ist da irgendwie die Zeit an der Kanzlerin und ihrem Fraktionsvorsitzenden vorbeigegangen? Ist sie zu sehr noch verhaftet in den alten Strukturen?
    Schön: Nein. Beide haben auch in ihren Zuständigkeitsbereichen diesen Erneuerungsprozess ja vollzogen. Die Kanzlerin in der Regierung mit jungen Ministern wie Anja Karliczek, Julia Klöckner, Jens Spahn. Die Reihe der Staatssekretäre ist extrem verjüngt. Und Volker Kauder auch in der Fraktion. Wenn Sie sich die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden anschauen, dann gab es da auch einen Verjüngungs- und Erneuerungsprozess. Deshalb kann man ihnen nicht vorwerfen, dass sie diesen Prozess nicht selbst angestoßen haben. Das haben sie selbst getan.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen Unions-Fraktionsvize Nadine Schön. Frau Schön, ganz herzlichen Dank für Ihre Antworten, für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.
    Schön: Gerne! - Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.