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Ensemblefestival für aktuelle Musik in Leipzig
Neue asiatische Musik mit alten Instrumenten

Asiatische Gegenwartsmusik stand im Mittelpunkt beim ersten Ensemblefestival für aktuelle Musik in Leipzig. Denn Werke wie „Dreamland“ der chinesischen Komponistin Chenchen Zhong sind hierzulande immer noch wenig präsent – das könnte sich nun ändern.

Von Claus Fischer  | 23.11.2020
    Musikerinnen und Musiker ConTempo-Beijing Ensembles mit ihren Instrumenten.
    Pipa, chinesische Laute und die Sheng: Traditionsinstrumente des Ensembles ConTempo Beijing (Ensemblefestival für aktuelle Musik / LI-Yanwen)
    "Dreamland" – Traumland, ein Werk der chinesischen Komponistin Chenchen Zhong, die 1984 geboren wurde. Im Rahmen des Ensemblefestivals für aktuelle Musik in Leipzig erlebte es seine Uraufführung durch das Ensemble "ConTempo Beijing". Die Mitglieder spielen auf Instrumenten, die seit rund 2200 Jahren in gleicher Weise gebaut und gespielt werden, betont Guoping Jia, Professor am zentralen Konservatorium der Musik in der chinesischen Hauptstadt Peking.
    "Die Aufgabe der Musiker früher war es, dem Kaiser zu dienen und dem Hofstaat. Dieses System wurde erst im 18. Jahrhundert also erst vor knapp dreihundert Jahren abgeschafft. Und vor etwa 100 Jahren haben Musiker und Musikwissenschaftler damit begonnen, dieses Erbe wieder lebendig zu machen."
    Neue Musik aus Asien in Deutschland kaum präsent
    Zu den Traditionsinstrumenten des Ensembles ConTempo Beijing gehören unter anderem die Pipa, die chinesische Laute und die Sheng, eine mit dem Mund gespielte Pfeifenorgel.
    "Die Sheng ist eine Art Ur-Instrument. Man kann sagen, dass die Orgel und das Akkordeon von ihr abstammen."
    Die Uraufführung der Komposition "Dreamland" von Chenchen Zhong hätte eigentlich in Leipzig stattfinden sollen, betont JiYoun Doo, die aus Korea stammende Dramaturgin des Forums Zeitgenössische Musik Leipzig FZML. Zur ersten Ausgabe des "Ensemble Festivals für aktuelle Musik" hatte sie neben Contempo Beijing drei Ensembles aus Japan, Russland und Deutschland eingeladen. Damit wollte sie eine Marktlücke schließen, denn neue Musik aus Asien ist im deutschen Musikleben noch kaum präsent.
    "Unsere Idee war, dass jedes internationale Ensemble selbst ein Programm zusammenstellt, das ihre nächste Generation von wichtigen Komponisten widerspiegelt. Wir wollten die Stücke hören, die die Ensembles am besten spielen können und gleichzeitig nicht das aufführen, das schon bekannt ist, sondern einen Querschnitt der ganz jungen Generation zeigen, einen Ausblick geben."
    JiYoun Doo und Thomas Chr. Heyde.
    Wollen nicht das aufführen lassen, was schon bekannt ist: JiYoun Doo und Thomas Chr. Heyde (Ensemblefestival für aktuelle Musik / Stefan Thielicke)
    Das passierte nun aufgrund des verhängten Teil-Lockdowns alles virtuell, sagt der Leiter des FZML Thomas Christoph Heyde.
    "Also es war so, dass wir aus Seriositätsgründen schon immer einen Plan B mitgedacht haben, vielleicht sogar einen Plan C. Und wir haben ganz frühzeitig tatsächlich schon mit den entsprechenden Ensembles gesprochen, dass sie sich darauf einstellen müssen, dass es professionelle Produktionen geben muss. Denn wir wollten nicht einfach nur versuchen, das analoge ins Digitale zu transferieren."
    Die meisten der geplanten Konzerte waren denn auch per Livestream zu sehen und sind auch noch einige Wochen im Netz abrufbar.
    Begleitendes Symposium: Singen ohne Vibrato
    Zur Idee der Organisatoren des neuen "Ensemble Festivals für aktuelle Musik Leipzig" gehört auch die Kooperation mit dem Zentrum für Gegenwartsmusik der Hochschule für Musik und Theater der Messestadt. So organisierte man gemeinsam ein Symposion zum Thema "Stimmkunst im 21. Jahrhundert". Es ging also um die Interpretation vokaler Kompositionen, sagt Organisatorin Constanze Rora.
    "Als Martina Sichert, Gesine Schröder und ich die Planung für diese Veranstaltung begonnen haben, gingen wir natürlich davon aus, dass das live stattfinden würde. Für die Einbeziehung von performativen und interaktiven Elementen wäre das natürlich schön gewesen."
    Die Verlegung des Symposions ins Internet hatte ihre Tücken - es gab zuhauf technische Probleme, angefangen von der teilweise schlechten Tonqualität bis zum "ruckelnden" Videostream. Dennoch konnte man interessante Erkenntnisse gewinnen.
    Die schwedische Sängerin und Dozentin an der Leipziger Musikhochschule Lisa Fornhammar ist mitverantwortlich für eine Studie, die die Auswirkungen des Singens zeitgenössischer Werke auf die Stimme zum Thema hat, sprich, ob es der Gesundheit einer Stimme schadet. Zwei Aspekte wurden dabei untersucht.
    "Singen ohne Vibrato und Singen beim Einatmen."
    Als Beispiel für Letzteres steht "Die Alte", ein Werk von Carola Bauckholt. Lisa Fornhammar konstatiert:
    " ... daß viele Sängerinnen dies als sehr unangenehm empfinden, wenn eine Komposition es auf Dauer verlangt. Es wird immer wieder beschrieben, wie die Stimmlippen sich unflexibel anfühlen nach längerem Singen ohne Vibrato und dass die Stimmlippen sich trocken fühlen beim inhalatorischen Singen.
    Keine Angst vor Neuer Musik im Gesangsstudium
    Vier ausgebildete Konzert- und Opernsänger und –sängerinnen stellten sich als Probanden zur Verfügung und wurden vor und nach dem vibratolosen und inhalatorischen Singen mittels komplizierter anatomischer Methoden untersucht, unter anderem vom Leiter der Abteilung Phoniatrie am Universitätsklinikum Leipzig Michael Fuchs. Dabei wurde festgestellt, dass die Bildung von Schleim beim, Singen zeitgenössischer Werke stärker sein kann als beim klassischen Gesang, dass aber bei guter Gesangstechnik keinerlei Schäden entstehen. Angst vor neuer Musik im Gesangsstudium, so Michael Fuchs, muß man also nicht haben.
    "Davon geht eine Stimme nicht gleich kaputt. Deswegen zerstöre ich nicht meine anatomisch-physiologische Grundlage für meine sängerische Karriere."
    Dass das Singen von Neuer Musik sogar positiv für den Werdegang eines Sängers oder einer Sängerin ist, betonte die Sopranistin und Professorin an der Stuttgarter Musikhochschule Angelika Luz im Rahmen des Symposions. Sie hat zahlreiche Werke der Gegenwart uraufgeführt. Besonders eine Erfahrung, so betont sie, hat ihr immer wieder geholfen, sich stimmlich – auch auf klassischem Terrain - zu verbessern.
    "Nachdem ich diesen Vorgang gemacht habe, zu viel Luft zu geben, habe ich ein anderes Gefühl, wenn ich es nochmal wiederhole! Ja, also diesen anderen Weg oder diesen "Irrweg" auszuschreiten, bringt eben auch was für die klassische Technik – und das finde ich das Spannende da dran!"
    Im Fokus beim nächsten Mal: Nord- und Südamerika
    Im Rahmen des ersten Ensemble Festivals für aktuelle Musik Leipzig hätte Angelika Luz auch eine Meisterklasse für Neue Musik geben sollen, die fiel jedoch pandemiebedingt aus. Ebenso das geplante Abschlusskonzert, bei dem die vier eingeladenen Neue-Musik-Ensembles aus vier Ländern gemeinsam mit dem Leipziger Ensemble "Tempus Konnex" hätten auftreten sollen, bedauert Organisatorin JiYoun Doo.
    "Das war unsere Leitidee eigentlich, deshalb heißt das auch "Ensemble Festival"".
    Bei der nächsten Ausgabe in zwei Jahren wird man hoffentlich alle dramaturgischen Ideen dann realisieren können, vor Ort in Leipzig. Einladen möchte JiYoun Doo dann Ensembles aus Nord- und Südamerika