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Entführung von Militärbeobachtern
"Eine inakzeptable Tat"

Die Festsetzung von Militärbeobachtern - darunter auch Deutsche - in der Ukraine sorgt weiterhin für Anspannung. Der außenpolitische Sprecher der Grünen Omid Nouripour sagte im DLF, dass Deutschland als Teil der EU bereits vor diesem Vorfall in den Konflikt involviert gewesen sei.

Omid Nouripour im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 26.04.2014
    Ein Kontrollpunkt bei Slawjansk am 25.04.2014 nach dem Rückzug des ukrainischen Militärs
    Ein Kontrollpunkt bei Slawjansk nach dem Rückzug des ukrainischen Militärs. (picture-alliance / dpa / Pochuyev Mikhail)
    Dass nun deutsche Soldaten vor Ort in der Ukraine von dem Konflikt betroffen seien, sei nicht hinnehmbar. Man sei nun zum Handeln gezwungen. Die EU habe einen Dreistufenplan für Sanktionen beschlossen, der dritte Schritt sei im schlimmsten Falle auch, Wirtschaftssanktionen zu verhängen.
    Sicht auf Russland
    Es sei nicht auszuschließen, dass das russische Militär oder Moskau bei der Festsetzung der OSZE-Militärbeobachter Einfluss genommen habe, so der Grünen-Politiker. Es gebe Indizien, dass Moskau einige Gruppen im Osten der Ukraine steuere. Aber auch wenn Russland die Täter nicht kontrolliere, sei die Situation nicht unbedingt besser. Es sei höchste Zeit, dass sich Russland von dieser "inakzeptablen Tat" - die Beobachter als Geisel zu nehmen, sie Kriegsgefangene zu nennen und der Spionage zu bezichtigen - distanziere und alles dafür tue, dass die Menschen so schnell wie möglich frei kommen.
    Die Fäden des Gespräches zwischen der EU und Russland dürften aber, so Nouripour, nicht abreißen. Es sei wichtig, dass die Diplomatie weiterhin eine Chance bekomme. Außerdem sei diese Krise der "letzte Beweis", dass die Europäer nur dann eine Chance haben, wenn sie zusammenstehen und mit einer Stimme sprechen.

    Das komplette Interview mit Omid Nouripour:
    Tobias Armbrüster: Herr Nouripour, wenn wir uns jetzt diese Entführung mal anschauen, ist Deutschland dann jetzt ein Teil dieses Konflikts in der Ukraine?
    Omid Nouripour: Ja, wir waren ja die ganze Zeit nicht draußen, wir sind Teil der Europäischen Union und die Europäische Union muss mit der Situation umgehen. Und die Europäische Union hat einen Dreistufenplan beispielsweise für Sanktionen beschlossen, die dritte Stufe, der dritte Schritt ist tatsächlich auch, Wirtschaftssanktionen zu verhängen im schlimmsten Falle, was niemand will. Aber das wird uns natürlich auch betreffen. Das heißt, wir sind die ganze Zeit Teil dessen. Dass jetzt deutsche Soldaten vor Ort betroffen sind, die ja nach Vereinbarung auch mit Russland dorthin entsandt worden sind, ist natürlich nicht hinnehmbar. Und da sind wir jetzt erst recht zum Handeln gezwungen.
    Armbrüster: Wie sollte das Handeln denn aussehen?
    Nouripour: Man muss erstens die Sprache klar haben gegenüber Russland, es ist sehr eindeutig, dass Russland entweder sehr direkte Steuerungen über viele der Milizen im Osten der Ukraine hat; dann ist es ihre Sache und womöglich auch auf Befehl Moskaus so geschehen, wie es gekommen ist, dass die Deutschen auch entführt worden sind. Oder das ist nicht der Fall, Russland hat die Kontrolle über diese Leute nicht oder nicht mehr. Das wird man ja in den nächsten Stunden sehen, ob die wieder freikommen oder nicht. Dann aber ist es umso besorgniserregender und dann ist es eindeutig, dass Russland sich endlich auch von diesen Leuten lossagen muss und sich distanzieren muss. Das tun sie ja die ganze Zeit nicht, sie sagen ja die ganze Zeit, es sind unsere Leute, das sind die armen Leute, die massiv bedroht werden von der schwachen Regierung in Kiew, und jetzt ist höchste Zeit, mal klar zu sprechen. Und dass jetzt die G7 sagen, dass sie bereit sind, die Schraube weiter zu drehen, ist in der Situation einfach nur richtig.
    Armbrüster: Herr Nouripour, müssen wir vermuten, dass das russische Militär oder dass Moskau hier bei dieser Entführung die Finger sozusagen direkt im Spiel hat?
    Nouripour: Es ist zumindest nicht auszuschließen, es gibt ja so manche Indizien, die dafür sprechen, dass Moskau eine relativ direkte Steuerung hat einiger Gruppen im Osten der Ukraine. Aber wenn die Russen die Kontrolle über diese Leute nicht haben, dann wird es nicht unbedingt besser, dann wäre es aber höchste Zeit, dass diese inakzeptable Tat, nämlich OSZE-Beobachter, die mit Russland vereinbart wurden, tatsächlich dann als Geiseln zu nehmen, sie Kriegsgefangene zu nennen und die dann der Spionage zu bezichtigen, dass Russland sich jetzt davon distanziert und alles dafür tut, dass die Leute so schnell wie möglich freikommen!
    "Wichtig, dass die Fäden des Gesprächs nicht abreißen"
    Armbrüster: Nun hat sich der Westen bereits darauf verständigt, dass kommende Woche weitere Sanktionen folgen sollten. Sie haben schon die wirklich harten ökonomischen Sanktionen ins Spiel gebracht, von denen hat man ja bislang abgesehen. Wäre das jetzt ein Zeitpunkt, so etwas einzuführen?
    Nouripour: Na ja, ich habe nicht das Gefühl, dass die Europäische Union dafür bereit ist, und dieser Dreistufenplan ist auch sehr eindeutig. Der sagt ja, dass, wenn Russland wirklich militärisch im Osten der Ukraine eingreift (und das ist ja zumindest justiziabel zurzeit nicht der Fall), dass diese dritte Sanktionsstufe eintreten muss. Das ist jetzt noch nicht der Fall, das ist nicht jetzt die Zeit, da zu tun, aber natürlich ist es so, dass die EU sich lächerlich macht, wenn sie einen solchen Plan beschließt, klar konditioniert, und dann tritt das, was man befürchtet hat, ein, was niemand will, und dann wird man von den Sanktionen absehen, dann wird sich die EU da lächerlich machen. Aber noch mal: Es ist auch ganz wichtig, dass die Fäden des Gesprächs nicht abreißen. Es ist ganz wichtig, dass die Diplomatie weiterhin eine Chance bekommt und es ist ganz wichtig, dass Moskau weiß, dass es jederzeit eine Möglichkeit gibt, wieder zurückzukehren und zu einer vernünftigen Position zurückzufinden. Weil, alles, was an Eskalationen im Sanktionsbereich jetzt kommen wird, wird keine Gewinner haben. Die EU, aber die Russen selber werden da verlieren.
    Nouripour: EU muss mit einer Stimme sprechen
    Armbrüster: Haben Sie den Eindruck, dass Europa in diesem Konflikt wirklich mit einer Stimme spricht?
    Nouripour: Das ist die härteste Aufgabe, um die ich den Außenminister nicht beneide, die Europäische Union zusammenzuhalten. Ich kann nur berichten aus den Gesprächen, die ich mit Kollegen habe, aus den Ländern des Baltikums und auch aus Polen zum Beispiel, da ist wirklich eine sehr, sehr große Angst, dass die Russen zurückkehren zu einer geostrategischen Politik des Kalten Krieges. Und diese Position dann mit den deutschen Energiebedürfnissen zum Beispiel zusammenzuführen, ist nun wirklich nicht einfach. Deshalb ist es ja richtig, dass man jetzt endlich begreifen muss, dass die Europäer sich gemeinsam überlegen müssen, wie sie energie-autark werden können, aber endgültig auch begreifen, dass nicht mehr die Zeit ist, in der die Europäische Union mit verschiedenen Stimmen und Zungen sprechen kann. Diese Krise ist der letzte Beweis, dass die Europäer nur dann eine Chance haben, wenn sie zusammenstehen.
    Armbrüster: Live hier bei uns in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk war das Omid Nouripour, der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Vielen Dank, Herr Nouripour, dass Sie die Zeit hatten an diesem Samstagmittag!
    Nouripour: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.