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Entlastende Geräte
Exoskelette als Hebe-Helfer

Bei Krebsen befindet sich das Skelett nicht im Körper, wie bei Menschen, sondern außen. So wird das empfindliche Innenleben geschützt. Eine Firma aus Augsburg nutzt dieses Prinzip für die Arbeitswelt: Sie hat ein Exoskelett entwickelt, das Arbeitern beim Hochheben schwerer Gegenstände hilft.

Von Frank Grotelüschen | 30.04.2018
    Peter Heiligensetzer bei einer Vorführung des Exoskeletts
    Von vorne ähnelt das Exoskelett einem Trekkingrucksack mit Schulter- und Bauchgurten. Von hinten betrachtet ist es ein massiv wirkendes Metallgestell (Deutschlandradio/ F. Grotelüschen)
    "Ich bin jetzt in die Schultergurte reingeschlüpft. Jetzt lege ich die Hüftgurte an."
    Auf den ersten Blick scheint es, als würde sich Peter Heiligensetzer gerade einen Trekkingrucksack auf den Rücken schnallen. Doch dann streift er sich zusätzlich noch ein Gerät über den Arm, das man zum Wandern definitiv nicht braucht.
    "Das sogenannte EMG-Armband. Das misst die Muskelspannung im Unterarm. Wir verwenden das, um das Gerät zu aktivieren."
    Ein Roboter, den man anziehen kann
    Das Gerät, das sich Heiligensetzer auf den Rücken gepackt hat, ist ein Exoskelett – quasi ein Roboter, den man anziehen kann. In der Medizin gibt es solche elektromechanischen Helfer schon seit einigen Jahren. Sie ermöglichen oder erleichtern gehbeeinträchtigten Menschen das Laufen.
    "Aber der Bereich, den wir jetzt machen, die industriellen Exoskelette, ist noch ein ganz neuer Bereich."
    German Bionic, so heißt Heiligensetzers Firma, möchte Menschen unterstützen, die bei ihrer Arbeit viel und oft zu heben haben.
    "Maschinen beladen. In der Logistik Teile entnehmen, die schwer sind, was normalerweise den Rücken belasten würde. Durch unsere Geräte wird er geschont."
    Von vorne ähnelt das Exoskelett einem Trekkingrucksack mit Schulter- und Bauchgurten. Von hinten betrachtet ist es ein massiv wirkendes Metallgestell. Darin stecken kleine, aber kräftige Elektromotoren, gespeist von Hochleistungsakkus. Hebt man etwas hoch, ziehen diese Motoren an den Gurten und unterstützen dadurch das Aufrichten.
    "Wenn ich den Oberkörper nach vorne neige, sieht man hinten, dass mich die Gurte zurückziehen wollen. Das Gerät will mich wieder in eine aufrechte Lage bringen durch ein Unterstützungsmoment auf Hüftebene."
    Das erste kommerzielle Exoskelett für die Industrie
    Jetzt will sich Heiligensetzer herunterbeugen, um eine Hantelstange zu greifen. Dabei muss das Exoskelett natürlich lockerlassen. Unten lässt er seine Armmuskeln spielen, was der Armbandsensor misst. Dadurch erst werden die Elektromotoren aktiviert. Dann stemmt Heiligensetzer die Hantel nach oben, es sieht kinderleicht aus. Doch das täuscht.
    "Nicht kinderleicht, ich hab's ja trotzdem noch in den Armen und den Beinen. Aber es entlastet meinen Rücken. Gerade an den Stellen, die ergonomisch wichtig sind. Genau dieser Bereich wird entlastet."
    Der Mucki-Rucksack aus Augsburg ist das erste kommerzielle Exoskelett für die Industrie. Seit Ende 2017 ist es auf dem Markt.
    "Die Grundtechnologien waren schon vor Jahren vorhanden, aber nicht in der Güte, wie sie jetzt möglich sind – schnelle Mikroprozessoren, hoch entwickelter Leichtbau, kleine Motoren, schnelle Sensoren, schnelle Regelungstechnik."
    Dank Kohlefaser und Aluminium bringt das Exoskelett keine acht Kilogramm auf die Waage, nicht mehr als ein leichter Rucksack.
    "Das Gerät wurde so ausgelegt, dass man bei durchschnittlicher Körpergröße und Gewicht 15 Kilogramm komplett kompensieren kann."
    Den Pflegebereich im Blick
    Hebt man also ein 20 Kilogramm schweres Stück hoch, fühlt sich das für den Rücken an wie ein 5-Kilo-Gewicht. Erste Exemplare der Hochheb-Hilfe sind bereits seit Ende letzten Jahres im Einsatz – und zwar in Logistik und Fertigung, wo es viel zu schleppen gibt. Doch Peter Heiligensetzer hat auch schon andere Branchen im Blick.
    "Der Pflegebereich, da haben wir schon einige Anfragen. Krankenschwestern, die sich Unterstützung wünschen beim Patientenheben. Auch im Outdoor-Bereich: Wir denken da an ein Outdoor-Gerät für Rettungseinsätze, wenn Erdbeben sind, um die Helfer zur ertüchtigen, Menschen zu befreien."
    Und womöglich können irgendwann sogar Heimwerker und Hobbygärtner profitieren. Für sie aber müsste das Exoskelett um einiges billiger werden. Zurzeit nämlich muss man für das gute Stück rund 40.000 Euro auf den Tisch blättern.