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Entlegenste Inselgruppe der Welt

Sie heißen Big Island, Maui, Lanai, Molokai, Kahoolawe, Oahu, Kauai und Nihau: Die verschiedenen Inseln von Hawaii liegen weit, weit draußen im pazifischen Ozean - und doch lockt ihr Ruf unzählige Menschen an.

Von Marlene Küster | 03.04.2011
    Hawaii – ein Archipel mitten im Pazifik, von Vulkanen geschaffen. Acht große Inseln, sechs davon bewohnt und mehr als 100 kleine Atolle. Die Inseln heißen: Big Island (die Große Insel), Maui, Lanai, Molokai, Kahoolawe, Oahu, Kauai und Nihau. Keine andere Inselgruppe ist so weit abgelegen vom Festland: 4000 Kilometer westlich des amerikanischen Festlands und 6000 Kilometer süd-östlich von Japan entfernt.

    "Die alte Nordwester-Dünung, die von dem vorherrschenden Wind der Gegend erzeugt wird, ist in diesen Meeren ständig präsent, sie zieht auf ihrer ewigen Reise Jahr für Jahr, Jahrhundert für Jahrhundert, über die Weiten des Pazifiks und türmt ihre Wellen auf."
    (aus Mark Twain: Post aus Hawaii)

    Hier treffen die Wellen nach ihrem Weg Tausende Kilometer über den Pazifik zum ersten Mal auf eine Küste und bauen sich zu meterhohen Wasserwänden auf. Und hier wurde das Surfen erfunden. "On Hawaii life is a beach", sagt ein Sprichwort der Einheimischen.

    Insel Oahu. Am Strand von Waikiki rollen die Wogen flach aus. Ideale Voraussetzungen für Anfänger, sich im Surfen zu üben.

    "Diese Wellen hier sind wirklich toll und eignen sich sehr gut zum Surfen, besonders hier in der Gegend von Diamond Head, diese Wellen sind sehr lang, sie tragen dich, du kannst ganz leicht auf ihnen reiten."

    Großer Andrang in der Surfschule am Kapiolanipark in Waikiki, in der Nähe des erloschenen Vulkankraters Diamond Head.

    David bringt einer Gruppe von neun Touristen aus Japan, Taiwan, Mexiko und vom amerikanischen Festland Grundlagen des Surfens bei: "Was ist eigentlich surfen?", fragt er zunächst seine Schüler.

    "Balance", "Wasser", "Welle" antworten die Schüler. Genau, fasst David zusammen. "Surfen bedeutet auf einer Welle reiten".

    Wellenreiten ist ein ur-hawaiianischer Sport, den zunächst die Könige, aber bald auch alle Einheimischen ausübten. Als der britische Seefahrer James Cook 1778 die Hawaii-Inseln erreichte, war er vollkommen erstaunt, wie sich Eingeborene auf Holzstücken über die Wellen treiben ließen. "Die Gewandtheit und Kühnheit, mit der wir die schwierigen und gefährlichen Manöver ausführen sahen", sei kaum zu glauben, schrieb Cooks Leutnant James King.

    "Manchmal hat man echt das Gefühl, zu fliegen. Ja, richtig zu fliegen und es kommt auch vor, dass man auf einer großen Welle vom Brett direkt ins Meer fliegt."

    Kurz nach James Cook kamen Missionare auf die Hawaii-Inseln. Die frohe Lebensart der Hawaiianer war ihnen so fremd, dass sie das Surfen verdammten. Erst über 100 Jahre später machte der 1890 geborene Duke Kahanamoku Surfen in aller Welt populär. Eine Statue am Waikiki-Strand erinnert an den König des Wellentanzes.

    "Ein richtiger Nervenkitzel sind hohe Wellen. Je höher die Welle ist, desto faszinierender ist die Herausforderung. Ich kenne einen Surfer, der auf neun Meter hohen Wellen an der Nordküste von Oahu reitet. Bei sehr hohen Wellen surfen die meisten nicht, ich begnüge mich mit drei Meter hohen Wellen. Höhere Wellen sind meiner Meinung nach richtig gefährlich. Das kommt eben darauf an, was für ein Risiko du eingehen willst."

    Jährlich zieht es Tausende Touristen zum Surfen nach Hawaii. Für die Einheimischen aber hat das Wellenreiten eine tiefere Bedeutung, die in ihrem kollektiven Bewusstsein verankert ist. "Nalu", das hawaiianische Wort für Surfen, heißt wörtlich übersetzt "mit einer Welle am Ufer gleiten", bedeutet aber auch der "Weg zu sich selbst". Als die USA Hawaii Ende des 19. Jahrhunderts annektiert und zum amerikanischen Staatsgebiet erklärt hatten, gingen viele einheimische Traditionen verloren. Doch in den 1970er-Jahren begannen die Hawaiianer, sich auf ihre Wurzeln zu besinnen. Unter der Bezeichnung "Hawaiian Renaissance" ist eine Bewegung entstanden, die das kulturelle Erbe fördert. Dazu gehört auch das Surfen. Der ursprüngliche Geist dieses Sports wurde wiederbelebt. Seitdem finden die Hawaiianer im Wellenreiten nicht nur eine sportliche Betätigung, sondern ein Lebensgefühl.

    "Viele gehen jeden Sonntag in die Kirche, wir Surfer gehen jeden Tag hinaus, um uns auf den Wellen des Ozeans fortzubewegen. Das macht deinen Kopf frei, du wirst eins mit der Welle und spürst ihre enorme Energie und wie sich ihre Kraft auf dich überträgt. Diese Geschwindigkeit und Power, mit der sie dich mitreißt – das ist ein irres Erlebnis."

    Hula-Wettbewerb in der Blaisdell Arena in Honolulu.

    "Hula ist hawaiianische Dichtkunst, Poesie. Es gibt viele verschiedene Arten von Hula: Ole oder Chant, eine Art Sprechgesang. Das ist hawaiianische Poesie ohne Tanz. Dann gibt es Mele Hula, die hawaiianische Poesie mit Tanz. Chant ist dagegen ohne musikalische Begleitung. Hula kann also von einem Tanz und manchmal von Musik begleitet werden. Dafür komponieren Künstler die Musik. Mele Hula unterteilt sich einerseits in Hula Kahiko, den traditionellen Hula, und andererseits in Hula Auana, den modernen Hula. Hula Auana begleiten verschiedene Instrumente wie Gitarre, Ukulele, also moderne Musik."

    Hula, der erzählende Tanz, überliefert Legenden und Mythen. Damit glauben die Hawaiianer, Kontakt zu ihren Göttern aufnehmen zu können – schließlich wird Hawaii auch das Land der 40.000 Götter genannt.

    Noch vor 30 Jahren wären Aufführungen wie hier der Queen Lili`Uokalani"-Wettbewerb in Honolulu unvorstellbar gewesen. Zu diesem Zeitpunkt war die hawaiianische Kultur so gut wie ausgestorben. Heute dagegen ist die Geschichte der Vulkangöttin Pele in der Hula-Tradition wieder populär.

    "Pele lebte mit ihrer Familie auf Tahiti. Sie war eine sehr attraktive Frau und hielt ihren Rücken aufrecht wie ein emporragender Felsen. Sie war überaus rastlos, denn ihre Sehnsucht galt der Ferne. All ihre Gedanken waren erfüllt von dem Verlangen, in ein unbekanntes Land aufzubrechen. Schließlich bat sie ihren Vater Wakea, er möge ihr gestatten fortzureisen. Peles Vater gab seine Einwilligung und schickte Pele zu ihrem ältesten Bruder, Ka-moho-alii, dem Gott der Haie und des Meeres. "Ich werde dir helfen", versprach Ka-moho-alii. "Du benötigst ein seetaugliches Kanu mit geflochtenen Segeln."
    ("Maui fängt die Sonne. Mythen aus Hawaii" von Manfred Chobot, S. 47)

    In der kleinen Seitenstraße Kamani Street in Honolulu liegt eine Hula-Schule, eine sogenannte Halau. Hier unterrichtet Pohai.

    "Das Instrument Ipu begleitet den Tänzer bei Hula kahiko, beim traditionellen Hula oder bei Hula Auana, dem modernen Hula. Es werden beim Hula Perkussionsinstrumente verwendet. Das hier sind die Holzstäbe Kala´au, Rhythmusinstrumente beim Tanz. Diese aufgespaltenen Bambusstäbe nennen sich Puili."

    "Und das hier sind vom Wasser abgeschliffene Steine mit dem Namen ili-ili. Paarweise in einer Hand gehalten werden sie wie spanische Kastagnetten gegeneinander geschlagen."

    "Die Reise führte Pele zuerst nach Bora Bora auf den Gesellschaftsinseln, sodann gelangte sie zu den mysteriösen Ahneninseln, hielt ihren Kurs weiter nach Nordwest, bis sie Nihau erreichte, die nordwestlichste Insel der Hawaiigruppe. Pele hatte den festen Plan, sich für immer auf den hawaiischen Inseln anzusiedeln und keinesfalls mehr nach Tahiti zurückzukehren. Zuerst musste sie allerdings ihre Macht als Vulkangöttin etablieren. Sehnlichst wünschte Pele sich, in einem Vulkankrater zu wohnen und dessen Feuer zu beherrschen."
    (aus "Maui fängt die Sonne. Mythen aus Hawaii" von Manfred Chobot, S. 48)

    "Pele besaß einen Spaten namens Paoa. Sobald sie ihn in die Erde stieß, entstand ein Feuerloch. Lange hatte Pele überlegt, bevor sie ihren Leuten den Befehl erteilte zur größten der Hawaii-Inseln zu segeln. Nachdem sie an Land gegangen war, entdeckte sie den Berg Kilauea. Sogleich war Pele begeistert, der Anblick des Vulkans entzückte sie. "Hier werde ich mich niederlassen, mein gewaltiges Feuer errichten. Pele hatte ihren Spaten tief in die Erde gebohrt und einen ansehnlichen Krater gegraben. Lava ergoss sich in Richtung des Meeres."
    (aus "Maui fängt die Sonne. Mythen aus Hawaii" von Manfred Chobot, S. 49-51)


    Ich wandte erneut meinen Blick dem Vulkan zu. Über eineinhalb Meilen vor uns auf jeder Seite war der Boden des Abgrunds herrlich illuminiert, so dass die funkelnden Feuer meilenweit entfernt schienen. Der größte Teil des immensen Bodens der Einöde war so schwarz wie Tinte, ungefähr eine Quadratmeile davon war von tausend verzweigten Strömen aus flüssigem, herrlich leuchtendem Feuer gemasert und gestreift! Man stelle sich vor – ein kohlrabenschwarzer Himmel, der in einem wirren Netz aus zornigem Feuer erbebt!
    (aus Mark Twain: Post aus Hawaii, S. 331/332)


    Auf der Großen Insel ist die 40-jährige Sängerin Kekuhi geboren und groß geworden, dort hat sie ihre Wurzeln. Nur noch dort sind die Vulkane aktiv. Kekuhi ist eine der wenigen, die bereits als Kind an vielen Hula-Wettbewerben teilnahm. Hula gehörte schon immer zu ihrem Leben. Denn hier ist der Hula mit der Erde verbunden und lässt sich von den Bewegungen der Vulkane leiten.

    "Hier und da gab es schimmernde Löcher, die die dunkle Kruste durchbrachen, in denen die geschmolzene Lava wild kochte und brodelte, und aus diesen Löchern entsprangen zahllose Ströme die kleine, steile Hügel hinabrannen und echte Katarakte aus Feuer bildeten, die an ihrer Quelle weiß waren, aber bald abkühlten und das kräftigste Rot zeigten, durchzogen von abwechselnd schwarzen und goldenen Linien.
    (aus Mark Twain: Post aus Hawaii, S. 331/332)


    Auf Hawaii spielt die Verehrung der Ahnen, der Aumakua, eine zentrale Rolle. Denn auf die Geister der Vorfahren kann man sich jederzeit verlassen, meint die Sängerin Kekuhi.

    "Meine Einflüsse gehen auf meine Vorfahren zurück, die aus dieser Gegend kommen, und spiegeln die Landschaft, die Berge und die Insel wider. Würden wir woanders leben, dann hätten wir im Laufe der vielen Jahre ganz bestimmt eine andere Gesangstechnik entwickelt, würden andere Bereiche in der Nasenhöhle, in der Brust und im Bauch beim Singen einsetzen. Ich hätte eine andere Stimme. Unser Gesang und unser Hula-Stil geben genau das wieder, was hier in dieser Gegend existiert, passiert und vorhanden ist: Ganz wichtig sind natürlich der Lavastrom und das Feuer der noch aktiven Vulkane auf dieser Insel, wie auch die Winde, die Wellen, die gegen die Küste und das Riff schlagen."

    "Dank Hula erfahren wir sehr viel über die Kultur und Geschichte Hawaiis. In der Generation meiner Eltern war das anders. Die hawaiianische Sprache und auch Hula waren verboten. Missionaren war der sinnliche Tanz von Anfang an ein Dorn im Auge. Doch heute haben mit dem Wiederaufleben unserer Kultur Hula wie auch die hawaiianische Sprache ein großes Comeback."

    Die allmähliche Verdrängung dieser polynesischen Sprache begann bereits mit dem sinkenden Anteil der Hawaiianer an der Gesamtbevölkerung Ende des 19. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit hatten die USA die Königin Liliuokaliani abgesetzt, die Inseln annektiert, Tanz, Gesang und die einheimische Sprache über 80 Jahre lang verboten. Der Arzt Kekuni Blaisdell kann sich sehr gut an die Zeit erinnern, als keiner wagte, seine Sprache zu sprechen:

    "Ich bin 1925 geboren und zu einer Zeit aufgewachsen, in der wir alle Amerikaner sein sollten und nur Englisch gesprochen wurde. Es waren ausschließlich moderne westliche Werte von Bedeutung. Meine Eltern, Onkel und Tanten sagten: Das ist Vergangenheit, du musst in der Gegenwart leben und an die Zukunft denken. Wir sind nun alle Amerikaner und keine Hawaiianer. Wir sprechen englisch und nicht hawaiianisch! Meine Großeltern sprachen hawaiianisch, wenn sie über Dinge sprachen, die wir Kinder nicht verstehen sollten."

    Professor Puakea Nogelmeier war mit einer der Ersten, der Hawaiianisch an der Universität von Honolulu unterrichtete.

    "In den 70er-Jahren war klar, dass die hawaiianische Sprache in zwanzig Jahren aussterben würde. Nur Personen, die über 70 waren, beherrschten noch diese Sprache. Die junge Generation hatte die einheimische Sprache nie gelernt. Das Interesse an hawaiianischen Traditionen erwachte. Die Wiederbelebung der einheimischen Sprache war ein großes Vorhaben: In den 80er-Jahren wurde Hawaiianisch zunächst an Vorschulen unterrichtet und kurz danach als offizielle Lehrsprache wieder eingeführt."

    Heute kann man Hawaiianisch im Kindergarten, in der Schule und an der Universität lernen. Schüler singen Begrüßungslieder auf Hawaiianisch.

    Inzwischen werden alle Fächer auf Hawaiianisch gelehrt. Der Musiker Kaumakaiwa ist in den 80er-Jahren aufgewachsen.

    "Hawaiianisch war meine erste Sprache. Zu Hause sprachen wir beide Sprachen, die Hawaiianische und die Englische, aber es war auf jeden Fall wichtig, unsere eigene, einheimische Sprache zu beherrschen und fließend zu sprechen."

    Die immer breiter werdende Bewegung hat dazu geführt, dass Hawaianisch neben Englisch zur offiziellen Sprache erklärt wurde. Auch die Rückbesinnung auf die musikalischen Wurzeln beflügelte die Bewegung – und umgekehrt. Jon de Mello ist Chef der Plattenfirma Mountain Apple Company in Honolulu.

    "In den 70ern lebte die hawaiianische Musikszene auf. Es waren mit einem Mal eine enorme Schaffenskraft und Energie zu spüren. Es fing mit der Steel-Guitar-Musik an und reicht heute bis zu den modernen hawaiianischen Popsounds."

    Mit seiner Ukulele ist Israel Kamakawiwo´ole immer noch für viele Musiker ein großes Vorbild und seit seinem Tod vor 14 Jahren fast ein Nationalheiliger.

    "Es gibt wirklich weltbekannte Künstler, die mit Ukulele auftreten. Selbst Paul Mc Cartney gibt Konzerte und spielt zwei oder drei Songs auf seiner Ukulele. Die Ukulele brachte im Laufe der Jahre bedeutende Spielerpersönlichkeiten auf Hawaii hervor, die immer wieder de Aufmerksamkeit auf sich lenkten: Israel Kamakawiwo´ole beispielsweise. Ich habe mit ihm einige Alben produziert. Sein bekanntester Song ist "Somewhere over the rainbow". Die Ukulele spielt in unserer Plattenfirma eine sehr wichtige Rolle."

    Beim Spiel sieht es so aus, als würden die Hände über die Saiten hüpfen. Daher kommt der hawaiianische Name Ukulele, der "hüpfender Floh" bedeutet, Uku heißt Floh und lele hüpfen.