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Entscheidendes Jahr für die ägyptische Pressefreiheit

Die Demonstrationen in Ägypten vor einem Jahr waren auch für die Journalisten des Landes ein großer Umbruch: "Reporting a Revolution" befragt sechs Journalisten und Journalistinnen, die für die Zeitung "Al Masram Al Yousni" in Kairo arbeiten. Diese beschreiben den Film als eine Art Therapie.

Von Michael Meyer | 18.02.2012
    "Ich war emotional sehr aufgewühlt. Meine Hand zitterte, ich hatte kein Stativ, ich stand die ganze Zeit da und sah, wie Menschen auf der Brücke starben, da waren auch Freunde von mir auf der Brücke, aber ich konnte nicht nah genug heranzoomen, um die Gesichter zu erkennen, mein Mann war in einer anderen Demonstration auf dem Weg zum Tahrir-Platz, und zweifellos haben die Sicherheitskräfte dort dieselbe Gewalt angewendet."

    erzählt im Film Noura Younis, die für die Zeitung "Al Masram Al Youni" die Website und die Videoberichte betreut. Damals, in den kritischen Tagen Ende Januar 2011, flüchtete sie mit ihren Kollegen in ein Hotel, um überhaupt Internetzugang zu bekommen und filmte vom Balkon aus einen blutigen Zusammenstoß zwischen Demonstranten und der Staatspolizei auf der Qasr-El Nil-Brücke.

    Heute, ein Jahr, später, kann sie entspannter über die Wochen nach dem 25. Januar sprechen:

    "Der Film war wie eine Art Therapie für uns, denn nach der Revolution hatten wir keine Gelegenheit, uns hinzusetzen und zu reflektieren. Denn: Revolution geht ja weiter, jeden Monat gibt es ein neues Massaker, oder eine neue blutige Demonstration – und noch immer, so denke ich jedenfalls, werden Demonstranten absichtlich getötet."

    Wie schwierig es gerade für Reporterinnen war, erzählt Samah Abdel Aatay. Sie ist Videoreporterin für die Website von "Al Masram Al Youni". In den Tagen der Revolution wurde sie auf offener Straße sogar von einem Mubarak-Anhänger verprügelt. Das war sehr beängstigend, schildert Samah, denn die Reporter und Reporterinnen waren weitgehend auf sich gestellt:

    "Die Journalisten in Ägypten haben gar nichts, um sich auf solche Umstände vorzubereiten. Weder die Gewerkschaften noch die Verlage haben die Mittel, um die Sicherheit jedes einzelnen Journalisten zu gewährleisten. So ist das in Ägypten – es gibt überhaupt keine Sicherheitsvorkehrungen, oft werden Journalisten angegriffen oder drangsaliert – und man kann so gut wie nichts dagegen tun. So ist leider die Situation bei uns."

    Wenn Journalisten angegriffen werden, gebe es auch keine Möglichkeit, vor Gericht sein Recht durchzusetzen. Überhaupt: Als Frau sei man noch stärker der Gewalt auf der Straße ausgesetzt, meint Samah Abdel Aatay:

    "Es ist eine echte Herausforderung als Frau in Ägypten als Reporterin zu arbeiten, vor allem in den letzten Monaten, denn die Journalisten werden oft absichtlich angegriffen, um die Berichterstattung zu behindern. Aber das gilt nicht nur für Journalisten, auch für die Demonstranten. Aber Frauen werden noch öfter drangsaliert, weil man sie als schwächer ansieht. Ich denke, es wird auch weiterhin sehr schwierig sein, in Ägypten als Reporterin zu arbeiten."

    Noura Younis erzählt, dass sie damals schlicht nicht wusste, ob nicht ihre Reporter abends heil und unverwundet wieder in die Redaktion zurückkehren würden – es sei schwierig gewesen, immer die professionelle Distanz zu wahren. Heute, ein Jahr nach der Revolution, gibt - es einmal abgesehen von den noch immer alltäglichen Gefahren - weiterhin Tabus in der Berichterstattung:

    "Bislang beschränkt sich der Militärrat auf Zensur im Fernsehen und bei den gedruckten Zeitungen. Im Onlinebereich sind sie noch ganz nicht soweit. Die Bedrohungen kommen heute eher von den Islamisten, die wollen auf keinen Fall kritisiert werden – wir bekommen also Druck von beiden Seiten: Von der Armee und von den Islamisten und wir ignorieren beides. Manchmal gibt es Onlinekampagnen, die dazu aufrufen unsere Website zu boykottieren, aber wir ignorieren auch das und machen weiter."

    Für die Zukunft der ägyptischen Journalisten ist Noura Younis vorsichtig optimistisch:

    "Die Zukunft der Pressefreiheit in Ägypten, die Menschenrechtssituation, die kulturellen Freiheiten, die wirtschaftliche Situation sind eng verbunden mit der Zukunft der Revolution. Wenn diese freiheitlichen Werte sich durchsetzen, dann werden wir eine unabhängige Presse haben, Kultur, Bildung, Wirtschaft werden sich verbessern. Wir hoffen alle auf den Erfolg der Revolution und das nächste Jahr wird ein ganz entscheidendes Jahr sein."