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Entscheidung für die Steinzeit-Kommunikation

Unverständnis, Empörung, beißende Ironie. Das sind die Reaktionen in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung nach dem mit 10:8-Koalitionsmehrheit gefassten Beschluss, im Sportausschuss des Deutschen Bundestages ab sofort wieder hinter verschlossenen Türen zu tagen.

Von Jens Weinreich | 30.10.2011
    Der Sportausschuss war seit 2005, als Peter Danckert von der SPD den Vorsitz übernahm, der einzige Ausschuss des Bundestages, der grundsätzlich öffentlich tagte. Es gab spätestens seit dem Herbst 2008, als die Berichterstattung aus dem Ausschuss vor allem im Internet forciert und ausgeweitet wurde, stets Versuche, die Türen wieder zu schließen. Doch konnten derlei Vorhaben verhindert werden – auch, weil einige Medien die Pläne der Christsozialen um Klaus Riegert und Staatssekretär Christoph Bergner öffentlich machten, wie im Herbst 2009. Bei den sportpolitischen Runden der CDU am Vortag des Ausschusssitzungen wurde regelmäßig über unbotmäßige Berichterstatter debattiert, wurden geeignete Maßnahmen der Einflussnahme – etwa bei Chefredakteuren und Intendanten - besprochen.

    Ende September war die Berichterstattung – in neuen und alten Medien – wieder forciert worden. Einige Journalisten – und Bürger – erlebten erstmals derlei Sitzungen, etwa beim Thema Sport und Korruption. Sie erlebten also: uninformierte und desinteressierte Abgeordnete, die einschliefen und lieber am iPad Karten spielten, statt sich darauf zu konzentrieren, wofür sie gewählt wurden und bezahlt werden:

    Darauf, die mit Steuermitteln alimentierten Sportverbände und die Sportabteilung des Bundesinnenministeriums sowie alle anderen Ministerien, die Sportetats verwalten, zu kontrollieren.

    Die Augenzeugen, Journalisten und Blogger, berichteten wahrheitsgemäß darüber.

    Wahrheitsgemäß, es ist wichtig, dies festzuhalten: Denn es gibt keine konkrete Vorwürfe an die Berichterstatter, keinerlei Belege von Fehlern oder Übertreibungen. Nichts kann die Koalition vorlegen – und argumentiert deshalb zutiefst unredlich.

    Der Beschluss vom Mittwoch, die Öffentlichkeit auszuschließen, garniert mit der feigen Berufung auf eine Geschäftsordnung aus einem vergangenen Jahrtausend, ist nichts als eine Demonstration von Macht, Arroganz, Unverständnis, Verlogenheit und Dummheit.

    Das Medienecho ist verheerend.

    Der Ausschluss der Öffentlichkeit sei nur deshalb "kein Skandal", weil sich der Sportausschuss mit seiner unzureichenden Arbeit längst in die Bedeutungslosigkeit manövriert habe, urteilte Michael Reinach in der "Frankfurter Allgemeinen". Der Ausschuss gehe damit "zurück in den Dunstkreis" der Hinterzimmer-Mauschelei.

    "Das Unterhaltungsprogramm auf Phones und Pads, dem sich mancher der Abgeordneten während der Ausschusssitzungen wohl auch weiterhin hingeben wird, war nicht nur Gastrednern unangenehm aufgefallen, die feststellen mussten, dass sie ins Leere sprachen. Nun standen die Abgeordneten vor der Frage, ob sie verbieten wollten, dass ihnen Gäste weiter über die Schulter auf die Patiencen gucken oder ob sie sich so gut vorbereiten und konzentrieren wollen, dass sie eine sportpolitische Debatte mit offenen Karten bestehen können. Ihre Antwort sagt alles."

    "Wie bei Putin" titelte die "Süddeutsche Zeitung".

    "Das Ende der Transparenz" beklagte "n-tv".

    "Skat ohne Zuschauer", schrieb der "Tagesspiegel".

    "Geisterspiele im Bundestag" kommentierte die "taz".

    "Sportausschuss wirft Bürger raus", kritisierte die "Rhein-Zeitung".

    Über die "Nickerchen im Bundestag" lästerte die "Badische Zeitung".

    Und die "Leipziger Volkszeitung" monierte "Geheimniskrämerei" sowie "totalen Irrsinn".

    Selten einmal hat der Sportausschuss so viele Schlagzeilen gemacht. Noch nie waren sich die Kommentatoren quer durch Deutschland so einig.

    Die Aufzählung ließe sich fortführen. Berichtet wurde zunächst ausführlich in sportpolitischen Internet-Blogs, dann in den herkömmlichen Medien. Das Interesse an diesem Thema ist vergleichsweise groß, wie sich unschwer an Klickzahlen, Facebook-Einträgen und Twitter-Meldungen ablesen lässt.

    In Zeiten, da Transparenz und Bürgerengagment nicht nur in Deutschland, sondern von Demokraten weltweit eingefordert werden, entscheidet sich jener Ausschuss des Bundestages, der als erster generell öffentlich tagte, die Türen wieder zu schließen.

    In Zeiten, da die Piraten mit ihrem offenen Herangehen das Politiksystem durcheinanderwirbeln, da Facebook-Revolutionäre Diktatoren verjagen, die Occupy-Bewegung weltweit Wirkung hinterlässt und Politiker sich täglich rechtfertigen müssen, entscheiden sich CDU und FDP im Sportausschuss für eine Steinzeit-Kommunikation.

    Die Botschaft ist eine Katastrophe.

    Und die Begründungen an Armseligkeit kaum zu überbieten.

    Da behauptet der FDP-Mann Joachim Günther, der Boykott der Öffentlichkeit solle eine "effizientere Arbeit" ermöglichen. Die Presse werde künftig "im Anschluss an die Sitzungen informiert".

    Günther hat nichts begriffen und beugt die Wahrheit, wenn er behauptet, er stehe stets für Themenanfragen zur Verfügung.

    Die nachträglichen Rechtfertigungsversuche von Klaus Riegert (CDU) sind nicht substanzieller und nicht weniger verlogen.

    Er behauptet, der Ausschuss könne nun "effektiver" und "fachpolitischer" arbeiten. Dabei weiß jeder, der auch nur eine Sitzung des Ausschusses live verfolgt hat, dass es vor allem Riegert ist, auch sein Nebenmann Frank Steffel, der immer wieder mit verworrenen, ahnungslosen und von Parteipolitik geprägten Wortbeiträgen schon allein Ansätze von vernünftigen Debatten erstickt.

    Man muss nur sein Interview mit "Zeit Online" lesen, in dem er auf kaum eine Sachfrage eine vernünftige Antwort hat und die Kritik an der FIFA und dem flächendeckenden Korruptionssystem als "übertrieben" bezeichnet.

    Pavel Mayer, der gerade für die Piratenpartei ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen ist, hat kürzlich in der "FAZ" einen bemerkenswerten Aufsatz über moderne Politikansätze und Kommunikation im dritten Jahrtausend veröffentlicht. Er spricht von "Kartellen der Angst", die sich dem Wandel entgegenstemmen.

    "Kartelle der Angst" werden von den Realitäten überholt und politisch marginalisiert, schreibt Mayer.

    "Doch wenn sie im Untergang ihre alte Macht rücksichtslos nutzen, können sie nicht nur vorübergehenden gesellschaftlichen Schaden verursachen."

    Genau das ist dem von CDU/CSU und FDP dominierten Sportausschuss überzeugend gelungen.