Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Entscheidung im NPD-Verbotsverfahren
Extremismus-Experte: "Verfahren wichtig und richtig"

Unabhängig vom Ausgang sei das NDP-Verbotsverfahren richtig gewesen, sagte Eric Wallis vom RAA-Regionalzentrum Mecklenburg-Vorpommern im DLF. Solch Verfahren seien ein wichtiges Werkzeug des Rechtsstaats, um zu prüfen, ob Politik möglicherweise mit Gewalt durchgesetzt werden soll.

Eric Wallis im Gespräch mit Sandra Schulz | 17.01.2017
    Vor Beginn der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht über ein Verbot der rechtsextremen NPD am 01.03.2016 in Karlsruhe (Baden-Württemberg) liegen Aktenordner auf einem Tisch.
    Eric Wallis: "Wichtiges Werkzeug des Rechtsstaats." (dpa / picture alliance / Uwe Anspach)
    Das Regionalzentrum berät und qualifiziert bei den Themen Demokratieentwicklung und Rechtsextremismus. Eric Wallis sagte, er teilte die Sorge nicht, dass die Rechtsextremen bei einem erneuten Scheitern des Verbotsverfahrens triumphieren könnten. Letztlich handle es sich bei dem Verfahren nur um ein Werkzeug des Rechtsstaates. Und dieser mache es sich nicht leicht mit der Frage eines Parteienverbots.
    Wallis gab zu bedenken, dass auch ein Verbot der NPD nicht zwangsläufig zum gewünschten Ergebnis führen könne. Denkbar sei, dass sich die Beteiligten neu organisierten, etwa eine neue Partei gründeten. Damit wäre nichts gelöst.
    Wallis betonte, es sei dennoch gut, dass die NPD in Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr im Landtag vertreten sei. So könne sie etwa keine Mittel mehr generieren, die dann in die rechtsextremen Strukturen vor Ort flössen. Mit Blick auf den Erfolg der AfD bei der letzten Landtagswahl erklärte Wallis, man habe jetzt mit Rechtspopulismus auf breiter Ebene zu kämpfen. Dies sei immerhin eine "sichtbare" Herausforderung.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Hoch kontrovers, hoch emotional ist gestritten worden, über Jahre gestritten worden nach dem ersten gescheiterten NPD-Verbotsverfahren, ob das Wagnis lohnt, ein zweites Mal nach Karlsruhe zu ziehen mit dem Ziel, die rechtsextreme Partei verbieten zu lassen. Den zweiten Anlauf haben die Länder vor gut drei Jahren gestartet. Nach der mündlichen Verhandlung gab es viele skeptische Stimmen, weil klar wurde, dass Karlsruhe die Hürden hochlegt, und heute um zehn Uhr urteilt das Bundesverfassungsgericht. Entscheidend mit vorangetrieben hat das Land Mecklenburg-Vorpommern das NPD-Verbotsverfahren, diesen neuen Anlauf.
    Am Telefon ist jetzt Eric Wallis von der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern. Er leitet das Büro Vorpommern-Greifswald. Schönen guten Morgen!
    Eric Wallis: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Viele Beobachter rechnen ja damit, dass das NPD-Verbotsverfahren jetzt erneut scheitern könnte. Was erwarten Sie?
    Wallis: Ja, es ist natürlich schwierig für mich, als Leiter eines Regionalzentrums jetzt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorwegzunehmen. Da würde ich die Richter doch am liebsten selbst entscheiden lassen. Die Frage ist letztendlich, was sind die Konsequenzen eines Verbotes oder eines Nichtverbotes.
    Schulz: Darauf komme ich gleich zu sprechen. Aber zur Einstimmung fände ich das einfach interessant. Sie sagen, das ist gar nicht so wichtig, was rauskommt?
    Wallis: Faktisch nicht. Beide Möglichkeiten haben unterschiedliche Konsequenzen und der Prozess, so wie er jetzt ist, und das, was man bisher mitbekommen hat, ist ja - und das war auch das, worauf Ihre Frage abzielt -, dass es eher schwierig ist, eine Partei in Deutschland zu verbieten, und dass man sich das sehr, sehr genau überlegt in Deutschland. Da zeigt das Bundesverfassungsgericht einfach, wie grundsätzlich und schwierig solche Fragen in Deutschland behandelt werden, und das zeigt auch, dass es sich der deutsche Rechtsstaat, in dem wir leben, nicht einfach macht, einfach so eine Partei zu verbieten, sondern ganz genau zu gucken, obwohl Gefährdungslagen bestehen bei der NPD, weil sie gut vernetzt ist mit auch Kameradschaften vor Ort, wo durchaus Gewaltpotenzial herrscht und Gewaltdelikte vorliegen und vorlagen, dass man es sich nicht einfach macht. Selbst wenn es jetzt nicht zu einem Verbot kommt, zeigt das ganz einfach, dass unser Staat es mit Verantwortung sieht und dass man nicht einfach so eine Partei verbieten kann und sollte.
    Die Frage ist natürlich auch, was sind die Konsequenzen eines Verbots. Verbietet man jetzt die NPD, dann verbietet man in erster Linie auch ein Etikett und die Strukturen, die es vor Ort gibt, das man sich relativ schnell neu suchen kann. Man kann sich einfach eine neue Partei gründen. Das ist ja auch schon zum Teil passiert bei ähnlichen Fällen und damit hat man am Ende dann doch auch gar nichts gelöst. Das Problem, was bleiben wird, das sind die Strukturen vor Ort. Das sind rechtsextreme Gesinnungen, die in der Gesellschaft sind und die dazu beitragen, dass es unserer Gesellschaft nicht unbedingt besser geht.
    "Verfahren einfach im Werkzeugkasten der Demokratie"
    Schulz: Jetzt ist speziell die NPD, speziell diese Partei nun ein Thema, an dem sich der Staat jetzt wirklich schon lange Zeit abgearbeitet hat. Die Sorge oder die Befürchtung, wenn das Verfahren jetzt noch mal scheitert, dass die Rechtsextremen dann triumphieren, die teilen Sie nicht?
    Wallis: Die teile ich ganz und gar nicht. So ein Verfahren ist ganz einfach ein Werkzeug in einem Rechtsstaat, um zu gucken, gibt es dort ernst zu nehmende Gefährdungen unserer demokratischen Grundordnung, und damit ist so ein Verfahren einfach im Werkzeugkasten der Demokratie mit drin, um das zu überprüfen, um zu gucken und um noch mal abzuwägen, lohnt es sich, diese Akteure zu verbieten. Es ist sogar wichtig, dass wir solche Verfahren machen können und dass nicht wir oder Sie oder die Politik darüber entscheidet, ob eine Partei verboten wird, das kann man sich ja vorstellen, dass dann vielleicht auch missliebige andere Oppositionsparteien ganz schnell mal verboten werden, sondern dass das auf der Ebene der Gerichte landet und dort einen geordneten Gang geht. Das ist ganz wichtig und das zeigt ganz einfach jetzt, dass auch die Gerichte es sich ganz und gar nicht einfach machen und dass man dort wirklich sehr genau abwägt.
    Schulz: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann finden Sie dieses NPD-Verbotsverfahren auch deswegen wichtig, weil die Akteure sich ja nach einem Verbot, wenn es denn kommen sollte, neu organisieren könnten. Wie mächtig sind Rechtsextreme in Mecklenburg-Vorpommern?
    Wallis: Dazu muss ich noch mal sagen: Ich fand das Verbotsverfahren an sich wichtig und richtig. Die Frage ist natürlich, ob ein Verbot richtig und wichtig wäre. Das Verfahren ist ein rechtsstaatliches Werkzeug, um zu überprüfen, ob versucht wird, Politik mit Gewalt durchzusetzen, und zwar auf breiter Ebene, so dass wirklich Gefährdungslagen bestehen, die unsere Grundordnung gefährden. Ein Verbotsverfahren ist ein gutes, wichtiges Tool, um so was zu machen. Das sollten wir auch immer wieder machen, wenn es solche Parteien gibt. Die können sich ja wie gesagt schnell umbenennen.
    Für die Strukturen vor Ort jetzt, was bedeutet es? Wir haben hier bei uns im Landkreis und auch in Mecklenburg-Vorpommern starke Verflechtungen von Kameradschaften und der NPD. Nach der letzten Landtagswahl hat die natürlich sehr an Bedeutung verloren. Die lag dann nur noch bei drei Prozent, wobei ich auch sagen muss, "nur", weil drei Prozent sind immer noch über 20.000 Wähler. Und angesichts, sage ich mal, des neuen Faktes der AfD, die wir jetzt haben, wo man sieht, dass rechte Einstellungen, rassistische Einstellungen über 20 Prozent der Wähler mobilisiert haben in Mecklenburg-Vorpommern, muss man auch sagen, dass für die politische Bildungsarbeit vor Ort und für uns als mobile Beratung sich nun auch ganz neue Themenfelder eröffnen.
    "Angst ist die Währung des Rechtsextremismus"
    Schulz: Welchen Anteil der AfD sehen Sie daran, dass die NPD jetzt zuletzt im Herbst, im September rausgeflogen ist aus dem Landtag in Schwerin?
    Wallis: Unsere Politikwissenschaftler hier vor Ort sagen, die haben einen Anteil daran, weil es eine Wählerwanderung gegeben hat, und ich glaube, das steht auch mittlerweile außer Frage. Das ist gut zu erkennen. Die Frage ist natürlich jetzt, ist das gut oder schlecht. Zuerst einmal ist es gut, dass die NPD nicht mehr im Landtag ist, weil sie doch beträchtliche Mittel dadurch hat generieren können, die dann in die Strukturen vor Ort geflossen sind. Andererseits hat man natürlich jetzt mit Rechtspopulismus zu kämpfen, und zwar auf breiter Ebene. Ich sehe darin allerdings auch nicht nur die große Krise der Demokratie, sondern vor allem eine Herausforderung, weil rechtspopulistische Einstellungen, die jetzt wählbar geworden sind, zeigen uns ganz einfach auf, wo wir in der politischen Bildungsarbeit ansetzen müssen, dass wir Menschen ganz neu erklären müssen und das auch können, dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rassismus keine Lösungsstrategien in unserer Gesellschaft sind, dass wir immer vor Ort und sei es im kleinsten Dorf gucken müssen, wie leben wir, die wir hier jetzt gerade sind, gut miteinander zusammen. Das bleibt jetzt die große Herausforderung, aber das ist jetzt auch endlich eine Herausforderung geworden, die sichtbar geworden ist, viel sichtbarer als noch vor einigen Jahren, als nur noch die NPD oder wenige Randparteien wirklich rechtsextreme Einstellungen bedient haben.
    Schulz: Das ist ja das Thema unseres Gesprächs, was hilft im Kampf gegen rechtsextreme Einstellungen. Da haben Sie mir im Vorgespräch gesagt, wir müssen gegen diese Angst ankämpfen. Wie machen Sie das?
    Wallis: Angst ist die Währung des Rechtsextremismus und auch des Rechtspopulismus. Da wird Menschen einfach Angst gemacht. Jetzt kommen die Flüchtlinge hierher, dann habt ihr weniger, dann ist euer Hab und Gut bedroht. Das basiert in vielen Fällen nicht auf Fakten. Selbst wenn sich natürlich immer Fälle nachweisen lassen, so ist doch klar, dass die Kriminalitätsrate nicht größer ist, sogar geringer ist, zumindest laut der Information der Polizei in unserem Landkreis, als bei Deutschen. Das heißt natürlich, es werden Ängste geschürt, die man sonst nicht hätte. Ängste lassen sich aber sehr schnell schüren und dagegen gilt es letztendlich vorzugehen und das geht nur gemeinsam. Wir müssen vor Ort die politische Bildungsarbeit verstärken. Wir müssen auch Kommunalpolitiker zum Teil, glaube ich, weitaus stärker in die Pflicht nehmen, dass sie Verantwortung übernehmen. Wir haben hier im Landkreis auch zum Beispiel Kommunalpolitiker, die sich herumgedrückt haben um die Flüchtlinge und gesagt haben, das ist ein Problem, das will ich hier nicht angehen, darüber will ich nicht reden. Die haben den Diskurs verwehrt aus irgendeiner Befürchtung heraus.
    Ich muss ganz klar sagen, da hat man keine Verantwortung übernommen. Wenn solche Menschen hier Kommunalpolitik machen und sich davor drücken, die Gemeinschaft mit einzubeziehen, wenn Flüchtlinge kommen, dann sind die auf der falschen Position als kommunaler Vertreter, als vielleicht Bürgermeister vor Ort. Wir sehen zum Beispiel in Gemeinden, wo Bürgermeister ganz offen sagen kommt, wir kommen zusammen, wir kriegen Flüchtlinge, wir müssen reden, wie machen wir das, wo Verantwortung auch verteilt wird und die Menschen mitgenommen werden, da läuft das auch ganz gut komischerweise. Und ich muss ganz ehrlich sagen, es ist nicht nur Angela Merkel schuld oder Erwin Sellering; es sind auch die Menschen vor Ort, die, sage ich mal, Verantwortung übernehmen müssen, und da sind einfach Bürgermeister und kommunale Vertreter sehr, sehr wichtig, das auch voranzubringen, Verantwortung zu übernehmen auch für die Herausforderungen, die jetzt nicht so einfach sind wie die Eröffnung eines neuen Kindergartens oder, oder, oder.
    Schulz: Wenn sie sich nicht ihrerseits aus Angst vor Anfeindungen zurückziehen, muss man an der Stelle vielleicht noch bemerken. - Eric Wallis von der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank Ihnen.
    Wallis: Gerne, Frau Schulz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.