Dienstag, 19. März 2024

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Entscheidung zum Astrazeneca-Impfstoff
Medizinrechtler: "Wir sollten darauf vertrauen, was die EMA macht"

Die Europäische Arzneimittelagentur EMA mache ihre Arbeit sehr ordentlich, sagte der Fachanwalt für Medizinrecht, Alexander Ehlers, im Dlf. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union täten gut daran, Empfehlungen der Agentur grundsätzlich als bindend anzuerkennen.

Alexander Ehlers im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 18.03.2021
Der Impfstoff von Astrazeneca steht in einem Kühlschrank bei der Eröffnung des überregionalen Impfzentrum Gera. In der Pandorfhalle stehen zwölf Impfkabinen zur Verfügung.
"Ich würde mich auf jeden Fall mit diesem Impfstoff impfen lassen", sagte Alexander Ehlers im Interview (picture alliance/dpa/Bodo Schackow)
Die Impfung mit Astrazeneca ist in Deutschland und einigen weiteren Ländern aktuell ausgesetzt. Die Europäische Arzneitmittelagentur prüft, ob Fälle von Thrombosen der Hirnvenen im Zusammenhang mit dem Impfstoff stehen. Am Donnerstag, den 18. März wird die Europäische Arzneimittelagentur EMA bekanntgeben, ob sie den Impfstoff weiterhin empfiehlt oder nicht.
Die europäischen Mitgliedsstaaten sollten auf Urteile der EMA vertrauen und ihren Empfehlungen folgen, sagte der Fachanwalt für Medizinrecht, Alexander Ehlers, im Deutschlandfunk. die Agentur leiste "ausgezeichnete Arbeit".
Die EMA hatte den Corona-Impfstoff von Astrazeneca Ende Januar ohne Altersbeschränkung empfohlen; die Ständige Impfkommission in Deutschland teilte diese Einschätzung anfangs allerdings nur für unter 65-Jährige, weitete ihre Empfehlung aber am 4. März aus. "Wir sollten darauf vertrauen, was die EMA macht", sagte Ehlers. Er plädierte dafür, EMA-Entscheidungen als bindend anzuerkennen.
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Bei der Abwägung zur Nutzung von Impfstoffen müsse man immer sowohl Nutzen als auch Risiken betrachten, sagte Ehlers. "Man muss einfach festhalten, dass durch den Impfstopp von Montag bis Donnerstag auch eine Anzahl von Patienten an Covid versterben wird", sagte Ehlers. Diese Zahl werde sehr wahrscheinlich höher sein als die Zahl der potentiell durch den Impfstoff geschädigten.
"Ich würde mich auf jeden Fall mit diesem Impfstoff impfen lassen", sagte Ehlers. Ob die Hinvenen-Thrombosen in einem kausalen zusammenhang mit dem Impfstoff stehen, sei überhaupt nicht klar.
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Das vollständige Interview im Wortlaut:

Dirk-Oliver Heckmann: Herr Ehlers, alles blickt heute nach Amsterdam zur EMA, denn sollte AstraZeneca ausfallen, wäre das ein herber Rückschlag für die Impfkampagne in Deutschland. Was ist denn die wahrscheinlichste Variante aus Ihrer Sicht, ein Verbot, eine komplette Zulassung, oder eine Zulassung mit Einschränkungen? Was denken Sie?
Alexander Ehlers: Vielen Dank für diese sehr wichtige Frage. Wir alle gehen davon aus, dass die EMA erwartungsgemäß kein Verbot, keinen Rückruf, keinen Widerruf der Zulassung verhängen wird. Dafür spricht eigentlich nichts. Wir erwarten vielmehr, dass die EMA wahrscheinlich einen Warnhinweis ergänzend aufnehmen wird, und zwar dahin gehend, dass Patientinnen und Patienten mit Blutgerinnungsstörungen und Einnahme von Kontrazeptiva, also Anti-Baby-Pille, hier von der Impfung ausgenommen werden sollten. Das ist zu erwarten und insofern wird der Impfstoff weiterhin zur Verfügung stehen.
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Kausaler Zusammenhang "steht überhaupt nicht fest"

Heckmann: Wir werden heute sehen, wie die EMA in der Tat entscheidet und wie es dann weitergeht. Jens Spahn hatte die Impfung ja nach einer entsprechenden Warnung durch das Paul-Ehrlich-Institut gestoppt und sieht sich jetzt heftiger Kritik ausgesetzt, Herr Ehlers. Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt hat gesagt, das hat das Vertrauen in die Impfpolitik untergraben, und FDP-Vize Wolfgang Kubicki forderte sogar die Entlassung des Ministers. Karl Lauterbach von der SPD hat Verständnis für Spahn geäußert, aber auch gesagt, ich hätte die impfkampagne während der Prüfung weiterlaufen lassen. Hatte Jens Spahn, der Minister, da überhaupt eine Wahl?
Ehlers: Er hätte sicherlich auch anders entscheiden können. Das zeigen die Diskussionen. Was richtig ist, dass im Zusammenhang mit der Impfung, ohne dass damit feststehen würde, dass es einen kausalen Zusammenhang gibt, embolische Risiken aufgetreten sind. In Deutschland bei 1,6 Millionen Geimpften sind sieben Patienten aufgefallen mit einer Hirnwvenen-Thrombose. Das ist etwas mehr, als man normalerweise erwarten würde, und insofern war es richtig, dass hier geprüft wird, ob es einen kausalen Zusammenhang mit der Impfung gibt. Aber das steht überhaupt nicht fest und von daher gäbe es durchaus diese beiden Optionen. Man hätte unter Vorsichtsmaßnahmen weiterimpfen können, bis die EMA zu einer finalen Entscheidung kommt – am Donnerstag, es geht hier um fünf Tage –, oder man hätte auch mit Hinweis auf ein Risiko die Impfung aussetzen können.
Es ist immer eine Abwägungsfrage und man muss einfach festhalten, dass durch den Impfstopp von Montag bis Donnerstag auch eine Anzahl von Patienten an Covid versterben wird. Diese Zahl – nach allen Berechnungen, die vorliegen – wird höher sein und von daher hätte ich wahrscheinlich mich der Auffassung von Herrn Lauterbach angeschlossen und unter Vorsichtsmaßnahmen weiterimpfen lassen. Denn die Bevölkerung ist natürlich verunsichert, beunruhigt und kann auch nicht wirklich einschätzen, wie das Risiko der Impfung ist.
Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte
Impfstoff ausgesetzt - Karl Lauterbach: "Ich würde mich mit Astrazeneca impfen lassen"
Es sei sehr wahrscheinlich, dass ein Zusammenhang zwischen dem Impfstoff von Astrazeneca und schwerwiegenden Hirnvenen-Thrombosen bestehe, sagte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im Dlf. Lauterbach hätte die Nutzung des Impfstoffs trotzdem nicht pausiert, der Nutzen übersteige weiterhin die Risiken.
Heckmann: Jetzt sollte die EMA die Impfung erneut empfehlen. Sie sagen ja, das wird wohl so sein. Wie ist da Ihre Einschätzung? Werden sich die Deutschen denn mit AstraZeneca in den nächsten Wochen und Monaten impfen lassen, oder ist das Image jetzt schon so ramponiert, dass das schwierig wird?
Ehlers: Dass hier tatsächlich ein gewisser Image-Schaden aufgetreten ist, kann nicht von der Hand gewiesen werden. Das muss man einfach festhalten. Ob und wie viele Bundesbürger jetzt darauf verzichten, sich impfen zu lassen, ist ein Blick in die Glaskugel. Das kann ich nicht beurteilen. Ich persönlich hoffe, dass sich jeder, der nicht unter diesen denkbaren Risiken, die ich vorhin erwähnte, leidet, auf jeden Fall impfen lässt. Wir werden in den nächsten Tagen feststellen müssen, wenn dann die EMA heute entschieden hat und die Impfung wieder aufgenommen wird, wie viele Patienten von ihren Impfterminen zurücktreten, und dann wäre es gegebenenfalls notwendig, die Priorisierung zumindest für diesen Impfstoff aufzuheben. Das ist ja ein Vorschlag, den der bayerische Ministerpräsident gemacht hat, um dann den Impfstoff allen, die wollen, zur Verfügung zu stellen.
Ich persönlich muss ganz ehrlich sagen, ich würde mich auf jeden Fall mit diesem Impfstoff impfen lassen. Jede Impfung, jedes Arzneimittel hat Risiken. Das wusste schon unser ärztlicher Urvater Hippokrates. Es ist immer eine Abwägung zwischen Risiken und Vorteilen. In der Gesamtabwägung, was heute die EMA zu leisten hat – wir werden heute die Entscheidung hören –, ist das eine Frage, wie hoch ist das Risiko tatsächlich einzuschätzen. Nach den Äußerungen, die wir beispielsweise von der EMA-Direktorin Emer Cooke gehört haben am Dienstag, gehen alle davon aus, dass es so kommen wird, wie ich es gerade besprochen habe.

"Hätte wahrscheinlich auch dort die EMA-Entscheidung als bindend angenommen"

Heckmann: Das Image-Problem haben wir gerade angesprochen. Die Ständige Impfkommission hatte ja eine Impfung für Ältere ab 65 Jahren zunächst nicht empfohlen und dann diese Einschränkung wieder zurückgenommen. Sie war damit von der Empfehlung der EMA abgewichen. War das möglicherweise auch ein Fehler?
Ehlers: Auch hier kann man natürlich trefflich streiten. Die Ständige Impfkommission hat aufgrund der damals vorliegenden Datenlage gesagt, wir haben zu wenig Daten, um das Risiko für über 65jährige einzuschätzen. Andererseits muss man einfach sagen: Wir haben eine europäische Zulassungsbehörde, die – das habe ich in unserem letzten Gespräch schon betont – ausgezeichnete Arbeit leistet. Wenn man daran denkt, wie lange es auch bei der BioNTech-Zulassung gedauert hat – das war ihr ja vorgeworfen worden -, dann zeigt dies, sie macht ihre Arbeit wirklich ordentlich. Insofern glaube ich schon, dass wir und die europäischen Mitgliedsstaaten eigentlich darauf vertrauen sollten, was die EMA macht. Von daher hätte ich wahrscheinlich auch, denn die EMA hatte Astrazeneca zugelassen, auch für über 65jährige – ich hätte wahrscheinlich auch dort die EMA-Entscheidung als bindend angenommen und hätte es verimpft. Es ist ja dann auch genauso gekommen, wie die EMA entschieden hat.
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Heckmann: Großbritannien tut das ja auch, impft seit Anfang an alle Menschen allen Alters mit AstraZeneca. Da sind keine Fälle von Thrombosen bekannt geworden. Woran liegt das aus Ihrer Sicht? Vielleicht auch daran, dass da nicht genau geschaut wird?
Ehlers: Nein. Ich meine, die Anzahl der Fälle ist ja sehr gering, und das ist ein statistisches Problem. Dass die Engländer und die englische Zulassungsbehörde weniger schaut, kann man definitiv nicht unterstellen. Die englische Zulassungsbehörde ist ebenfalls eine ausgezeichnete, sehr, sehr erfahrene Zulassungsbehörde und von daher wird in England genauso in der Nachbeobachtung bei Arzneimitteln und auch bei Impfstoffen darauf geachtet. Es spricht eigentlich sehr viel dafür, dass bei in England inzwischen elf Millionen Geimpften diese Zwischenfälle im Zusammenhang mit der Impfung nicht aufgetreten sind, und das kann ein statistischer Zufall sein. Von daher teile ich auch die Auffassung, dass die Anzahl der Impfungen, die inzwischen in England und in Europa insgesamt durchgeführt worden sind, im Verhältnis zu diesen sehr, sehr seltenen Risiken der Hirnwehnen-Thrombose zeigen, dass es zwar im Zusammenhang, aber nicht kausal mit der Impfung auftritt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.