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Entsorgungsexperte: Aus Asse II wird es "Freisetzungen" geben

Der Diplom-Physiker Wolfgang Neumann sieht keine Möglichkeit mehr, angegriffene Behälter mit radioaktivem Inhalt im Versuchsendlager Asse II sicher zu entsorgen. Anlass ist die Entscheidung von Bund und dem Land Niedersachsen, das Bundesamt für Strahlenschutz zum neuen Betreiber des früheren Salzbergwerks zu machen.

Wolfgang Neumann im Gespräch mit Sandra Schulz | 04.09.2008
    Sandra Schulz: Können die Menschen in der Nachbarschaft jetzt aufatmen?

    Wolfgang Neumann: Entwarnung kann man auf Grundlage der Veränderung der Verantwortlichkeiten sicherlich nicht geben, weil die Gefahr der Freisetzung natürlich existiert, egal wer auch immer Betreiber für die Schließung von Asse ist.

    Schulz: Das Bundesamt für Strahlenschutz wird jetzt also neuer Betreiber. Was ändert sich dann konkret?

    Neumann: Das Bundesamt für Strahlenschutz besitzt natürlich in der Behörde viel mehr Fachleute für den Ablauf von Schließungsaufgaben für ein Endlager, als das bei der GSF der Fall war. Von daher sind diese Fragen sicherlich jetzt beim Bundesamt für Strahlenschutz besser angesiedelt als vorher beim Helmholtz-Zentrum München.

    Schulz: Und technisch wird das Lager jetzt als Atomendlager behandelt. Welche Auswirkungen hat das genau?

    Neumann: Das hat zum Beispiel Auswirkungen in der Prüftiefe für bestimmte Fragen, die vor allen Dingen den Strahlenschutz betreffen. Das hat auch Auswirkungen in Bezug auf das Arbeiten der Leute, der Bergleute unter Tage, die die Schließung durchführen müssen. Hier werden sicherlich in Zukunft sehr viel mehr Untersuchungen und Prüfungen erforderlich sein, um auch deren Sicherheit zu gewährleisten.

    Schulz: Die rechtlichen Vorzeichen haben sich jetzt also geändert. Wie muss die Problemlösung aussehen, denn das Problem liegt ja weiterhin unter der Erde?

    Neumann: Aus meiner Sicht ist dringend erforderlich, den Optionenvergleich, der eben im Bericht ja auch angesprochen worden ist, tatsächlich durchzuführen - und zwar nicht auf der Grundlage der Unterlagen, die bis jetzt vom Helmholtz-Zentrum München zur Verfügung gestellt beziehungsweise erarbeitet worden sind, sondern hier müssen wirklich alle Möglichkeiten, die für die Schließung der Asse existieren, einfließen, berücksichtigt und verglichen werden. Und dann muss möglichst in einem übergreifenden Konsens der Schließungsvorgang festgelegt werden.

    Schulz: Wie könnte der aussehen?

    Neumann: Das ist das erste, was auf jeden Fall passieren muss. - Nach meiner Ansicht sind aber noch zwei weitere Sachen wichtig. Das eine ist, dass in Zukunft absolute Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit gewährleistet ist und diese Öffentlichkeit, insbesondere natürlich die Anwohner der Asse, auch ein bestimmtes Mitbestimmungsrecht bekommen. Das dritte, was ich für ungeheuer wichtig halte, ist, dass nicht nur das Helmholtz-Zentrum München, sondern auch alle Beteiligten in Wissenschaft und Behörden, die bisher die Asse begleitet haben, durchleuchtet werden, welche Verantwortung sie für die Probleme haben, die jetzt bei der Asse offenkundig sind, um dann eben auch Konsequenzen daraus zu ziehen, weil diese Leute sind mindestens zum Teil auch für die weiteren Entscheidungen, die in der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf Endlagerung radioaktiver Stoffe anstehen, mitverantwortlich. Deshalb muss hier identifiziert werden, wer hat welchen Anteil an den Problemen, die in der Asse aufgetreten sind.

    Schulz: Wen meinen Sie da? Bei wem liegen die Versäumnisse?

    Neumann: Es gibt ja eine Zahl von Wissenschaftlern, die nicht im Helmholtz-Zentrum sind, die Sicherheitsbetrachtungen im Laufe der letzten 30 Jahre durchgeführt haben, die zu Ergebnissen gekommen sind, die Sicherheit zeigen sollten, die aber offenbar nicht gegeben ist.

    Schulz: Ist aus Ihrer Sicht sichergestellt, dass die Mitarbeiter, die Experten, die jetzt ans Werk gelassen werden, da andere und vernünftigere Einschätzungen treffen?

    Neumann: Wie gesagt, das muss man hoffen. Aber ob das tatsächlich gegeben ist, sollte man prüfen anhand der Sicherheitsanalysen, die bisher für die Asse gemacht worden sind, und wer für diese Sicherheitsanalysen verantwortlich ist.

    Schulz: Jetzt aktuell liegen diese knapp 130.000 Fässer mit radioaktivem Müll in dem früheren Salzstock. Was muss damit passieren?

    Neumann: Hier muss eine sehr sorgfältige Prüfung durchgeführt werden, ob diese Fässer wieder aus dem Bergwerk entfernt werden können. Da gibt es natürlich Zweifel, dass das möglich ist, weil, wie die kontaminierte Lauge zeigt, ja offenbar mindestens ein Teil der Fässer schon durchkorrodiert ist, dass dies halt schadhaft ist und damit eine Bergung dieser Fässer natürlich unendlich schwierig ist. Das muss aber sorgfältig geprüft werden, weil wenn man sie dort rausholen könnte, dann würde das natürlich eine Erhöhung der Sicherheit bedeuten, weil dass in ferner Zukunft Freisetzungen aus dem Bergwerk Asse in die Umgebung stattfinden werden, das ist, glaube ich, so sicher, das wird heutzutage niemand mehr bestreiten.

    Schulz: Und was würde es bedeuten, wenn das Bergwerk einfach versiegelt würde und man die Sünden der Vergangenheit dort beerdigen würde?

    Neumann: Das ist leider nicht möglich. Man kann nur Maßnahmen treffen, die eine Freisetzung verzögern beziehungsweise begrenzen. Mehr ist da nicht mehr möglich. Das Kind ist in den Brunnen gefallen, um es mal mit einem Sprichwort auszudrücken, und das Wort "Versiegeln" spiegelt da etwas vor, was nicht gegeben ist. Es wird Freisetzungen aus diesen Bereichen, die dort betroffen sind, geben. Die Frage ist nur, wie viel und in welchen Zeiträumen. Da müssen begrenzende Maßnahmen getroffen werden, um diese Werte möglichst gering zu halten, um so der anwohnenden Bevölkerung nur möglichst geringe Belastungen in ferner Zukunft zuzumuten.

    Schulz: Tickt bei diesen Maßnahmen, tickt bei diesen Schritten auch die Uhr?

    Neumann: Ja. Natürlich sollte man sich jetzt nicht zurücklehnen und sagen, jetzt haben wir erst mal die Kompetenzen neu verteilt und jetzt können wir uns erst mal wieder Zeit lassen. Es muss zügig gearbeitet werden. Es muss aber bei diesem zügigen Arbeiten auch gleichzeitig sichergestellt werden, dass sorgfältig gearbeitet wird. Insofern ist dieser Termin, der im Beitrag eben genannt wurde, von 2014 natürlich zu hinterfragen. Ob das wirklich so ist, dass ab dem Jahr 2014 von heute auf morgen die Sicherheitslage sich dermaßen verändert, dass man danach keine Schritte mehr unternehmen kann, das ist auch ein Punkt, der im Rahmen dieses Optionenvergleiches geprüft werden muss

    Schulz: Für wie realistisch halten Sie die Option, die im Moment ja im Spiel ist oder die bisher eigentlich auch die favorisierte Variante war, den Salzstock zu fluten?

    Neumann: Das ist nun eine Frage an die Geologen. Grundsätzlich ist natürlich die Endlager-Philosophie in der Bundesrepublik eine ganz andere. Die ist nämlich die, das Endlager trocken zu halten und gerade keine Laugen oder sonstigen Flüssigkeiten an die Abfälle heran zu lassen. Von daher ist diese Option sicherlich möglich, aber aus meiner gegenwärtigen Kenntnis wird das nicht die sicherste sein. Genau dazu soll, wie gesagt, aber auch dieser Optionenvergleich sein, um festzustellen, gibt es nicht andere Möglichkeiten, die der eigentlichen Sicherheitsphilosophie gerechter werden.