Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Entstehungszeit der Almwirtschaft
Ötzi war kein Hirte

Die Gletschermumie Ötzi beflügelt die Forschung zur Jungsteinzeit im Alpenraum. Der Mann aus dem Südtiroler Vinschgau, der vor 5200 Jahren starb, ist Anknüpfungspunkt für zahlreiche Untersuchungen zur Entwicklung der Menschen. Wissenschaftler der Universität Innsbruck haben nun untersucht, was Ötzi dort oben gemacht haben könnte.

Von Dagmar Röhrlich | 27.07.2015
    Eine Nachbildung der Ötzi-Mumie steht am 08.11.2013 in Herxheim (Rheinland-Pfalz) im Museum. Vor 5300 Jahren wurde Gletschermann "Ötzi" ermordet.
    Eine Nachbildung der Ötzi-Mumie. Vor 5300 Jahren wurde Gletschermann "Ötzi" ermordet. (picture alliance / dpa / Uwe Anspach)
    Sein Ende kam wohl schnell: Der Pfeil, der Ötzi in den Rücken traf, ließ ihn innerhalb weniger Minuten verbluten. Und weil sich niemand die Mühe machte, ihn zu beerdigen, deckten Schnee und Eis ihn zu - 5200 Jahre lang, bis 1991. Während die Umstände von Ötzis Todes weitgehend geklärt sind, ist eine andere Frage offen: Wie kommt der überhaupt dazu, da oben hinaufzugehen?"
    Ötzis Ausrüstung spricht dagegen, dass er Jäger war, Krieger, Schamane oder Erzprospektor, erläutert Klaus Oeggl, Professor für Archäobotanik an der Universität Innsbruck. Das Tisenjoch, wo Ötzi starb, war und ist karges Hochgebirge:
    "Dann waren Mitte der Neunzigerjahre, diese ersten Pollenanalysen verfügbar, und in diesen Pollenanalysen hat man gesehen, da steigen plötzlich Weidezeiger eklatant an, und hat dann sofort gesagt, ja o.k., das ist sozusagen eine Beweidung."
    Trieben die Menschen also schon vor mehr als 5000 Jahren Tiere auf Weideflächen im Hochgebirge? War Ötzi ein Hirte - wie es diese Analysen der Pollen von Brennnessel- und Gänsefußgewächsen nahelegen? Das Problem: Diese Arten sind im Gebirge zwar seltener als rund um den Misthaufen im Tal, aber sie treten dort oben auch ohne tierischen Dünger auf. Und:
    "Der zweite Nachteil von dem ist der, dass Brennnessel und Gänsefuß ihren Pollen hervorragend verbreiten, dass dieser Pollen sozusagen eine Luftverschmutzung genereller Natur ist, weil der Pollen sehr sehr weit vertragen wird."
    Sprich: Die Pollenzunahme könnte also auch einfach von der steigenden Viehhaltung im Talboden zeugen. Deshalb gingen die Wissenschaftler die Frage von zwei Seiten her an. Obwohl Almwirtschaft kaum materielle Reste hinterlässt, suchten die Archäologen der Gruppe nach Spuren. Ihr Ergebnis: "Da zeigt sich, dass die frühesten Anzeichen, die wir finden können, das ist jetzt wirklich die Bronzezeit."
    Almwirtschaft wohl erst in der Bronzezeit
    Also etwa 1500 bis 2000 Jahre nach Ötzis Tod. Um diese Aussage der Archäologen stützen zu können, mussten die paläobotanischen Analysen erst einmal an die speziellen Bedingungen im Hochgebirge angepasst werden. Um den Beginn der Hochweidewirtschaft zu erkennen, geht es um andere Pflanzen als im Tiefland:
    "Im Hochgebirge verändert sich nur das Mosaik der Vegetation, das heißt, es werden einzelne Pflanzen bevorzugt durch die Beweidung, und andere werden benachteiligt."
    Als Zeigerpflanzen erwiesen sich typisch hochalpine Gewächse wie die behaarte Glockenblume oder der Enzian. Sie behaupten sich in gestörten Ökosystemen besonders gut. Weil sie stickstoffreiche Böden lieben, profitieren sie vom Weidevieh und gleichzeitig bleiben ihre Pollen lokal. Und so bestätigen die paläobotanischen Analysen die Funde der Archäologen: Der sommerliche Viehtrieb ins Hochgebirge begann erst mehr als 1000 Jahre nach Ötzis Ermordung:
    "Diese Beweidung beginnt also in der Bronzezeit. Die Triebfeder, das ist in erster Linie die Einführung der Metallurgie. In dem Moment, ab der Frühbronzezeit, steigt dann kontinuierlich der Bedarf an diesem Kupfer, und der erreicht dann praktisch in der Mittelbronzezeit ein Maximum. Da, wenn man jetzt sozusagen plakativ spricht, wird dieser mittlere Alpenraum zum Ruhrpott. Das wird dermaßen gewaltig umstrukturiert, das hat jetzt nicht nur Auswirkungen auf die Umwelt, sondern das hat auch Auswirkungen auf die Gesellschaft."
    Weil die Bauern Überschüsse zur Versorgung der Bergleute produzieren müssen, wurde das Land im Tal zu wertvoll, um Vieh darauf zu halten: Die Hochweidewirtschaft ergab wirtschaftlich Sinn. Die Archäologen fanden auch heraus, dass sie Sache der Frauen war. Das belegen Bernsteinperlen, die in einer bronzezeitliche Brandopferstätte in 2400 Metern Höhe entdeckt worden sind. An einem zweiten, 400 Meter tiefer gelegener Opferplatz, versammelten sich hingegen, den Dolchfunden zufolge, die Männer.