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Entwicklung der Leistungsstärke
Was Schachspieler erfolgreich macht

Übung macht den Meister, heißt es. Oder ist Talent angeboren und der Erfolg hängt von den Genen ab? Für beide Sichtweisen gibt es wissenschaftliche Belege. Zumindest für das Schachspiel hat ein internationales Forscherteam die Frage "Training oder Talent?" jetzt in einer Studie beantworten können.

Von Volkart Wildermuth | 27.08.2019
Feature Schachfiguren auf dem Schachbrett
Übung macht den Meister - oder doch nicht? Erfolg beim Schach braucht Talent und Training (imago sportfotodienst)
Schach ist beliebt, wenn es um die Erforschung von Spitzenleistungen geht. Es gibt einen übersichtlichen Satz von Regeln, der ein unendliches Feld von Möglichkeiten eröffnet. Praktisch jeder kann anfangen, Schach zu spielen. Doch wer es meisterhaft beherrschen will, braucht ein umfassendes Wissen und ein Gespür für Taktik und Strategie.
"Wir hoffen über das Schachspiel auch etwas über die Alltags-Fähigkeiten von Menschen zu lernen."
Der Alltag der Menschen ist für Psychologen wie Nemanja Vaci von der Abteilung Psychiatrie der Universität Oxford zu vielfältig und verwirrend für eine klare Analyse. Schach dagegen ist übersichtlich, kennt ein klares Kriterium für Erfolg: die Elo-Zahl der Spielstärke. Die nationalen Schachgesellschaften führen genau Buch darüber, wer, wann, wie gegen wen gespielt hat und wie sich folglich ihre oder seine Elo-Zahl im Lauf der Zeit entwickelt hat. Konkret analysierten Nemanja Vaci und seine Psychologenkollegen die Daten von 90 herausragenden österreichischen Schachspielern.
Entwicklung der Spielstärke ist sehr individuell
"Normalerweise steigt die Leistung am Anfang der Karriere deutlich an. Das ist die erste Lernphase. Mit Mitte bis Ende 30 erreichen die meisten ihre maximale Spielstärke. Danach sinkt ihre Elo-Zahl wieder leicht ab und stabilisiert sich dann ab Mitte 60 oder 70 wieder."
Aber das sind Durchschnittswerte, die Entwicklung jedes Einzelnen verläuft sehr individuell. Das Alter alleine erklärt nur rund zehn Prozent der Leistungsunterschiede zwischen den Spielern. Im nächsten Schritt versuchten die Forscher abzuschätzen, ob Training oder Talent wichtiger ist, um einen große Spielstärke zu erreichen. Die Zahl der Turnierspiele nutzten sie als grobes Maß für die Erfahrung. Die österreichischen Schachspieler hatten auch allen einen IQ-Test gemacht, der viele Aspekte des angeborenen Talents widerspiegelt. Nemanja Vaci hat die beiden Faktoren Training und Talent erst getrennt und dann gemeinsam analysiert.
"Unsere wichtigste Erkenntnis lautet: Untersucht man nur einen Faktor, dann sieht man bloß einen Teil der Geschichte. Training und Talent sind beide wichtig, aber erst wenn wir sie gemeinsam betrachten und besonders ihre Interaktion, dann verstehen wir, warum diese herausragenden Spieler so besonders sind. Talentierte Spieler verbessern sich schnell - aber nur, wenn sie auch viel Zeit investieren, um etwas aus ihrem Talent zu machen."
Erst die Kombination von Training und Talent macht den Meister
Die Ergebnisse des IQ-Tests zusammen mit der Zahl der Turniere und dem Alter erklären etwa die Hälfte der Unterschiede zwischen den Spielern. Der Rest hat wahrscheinlich mit psychologischen Faktoren wie dem Durchhaltevermögen zu tun und mit der Trainingszeit, die die Spieler außerhalb der Turniere in ihr Schachspiel investieren. Für Spitzenleistungen reicht es jedenfalls nicht aus, nur Talent zu haben oder nur viel zu trainieren. Die Kombination macht den Meister. Das hätte der gesunde Menschenverstand schon erwartet, aber jetzt ist es wissenschaftlich beweisen. Und die Daten zeigen zusätzlich: Talent und Training haben im Verlauf einer Karriere zu unterschiedlichen Zeiten besonders großen Einfluss.
"Übung ist gerade am Anfang der Karriere entscheidend: Wer noch nicht viel weiß, profitiert von jeder Erfahrung, deshalb entwickeln sich die Spieler schnell weiter. Intelligenz scheint besonders die maximale Spielstäke im dritten Lebensjahrzehnt zu beinflussen. Aber das Wichtigste ist immer das Zusammenspiel: Intelligentere Leute profitieren mehr von der gleichen Zahl von Turnierspielen."
Das ist spannend für Psychologen, für die Schachspieler selbst ergeben sich aus den Forschungen dagegen kaum praktische Tipps. Den eigenen IQ kann man schließlich nur schwer steigern. Deshalb hat Nemanja Vaci nur einen Rat:
"Machen Sie, was möglich ist. Investieren Sie Zeit, um zu üben, zu spielen. So sammeln Sie Erfahrung und werden besser."

Das gilt sowohl auf dem Schachbrett als auch abseits der 64 schwarzen und weißen Quadrate.