Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


"Entwicklung dieses Landes profitiert sehr von intakten Hochschulen"

Der Wissenschaftsrat hat seine Empfehlungen für die Hochschullandschaft von Sachsen-Anhalt vorgestellt. Der Präsident der Landesrektorenkonferenz, Armin Willingmann, kann in den Vorschlägen keine Unterstützung für den drastischen Sparkurs der Landesregierung erkennen.

Armin Willingmann im Gespräch mit Kate Maleike | 12.07.2013
    Kate Maleike: Braunschweig war in den letzten Tagen quasi so was wie die zweite Heimat des Wissenschaftsrates. Zur Sommersitzung war dieser Rat zusammengekommen, der sowohl den Bund als auch die Landesregierung ja in Fragen der Entwicklung der Hochschulen, der Wissenschaft und der Forschung berät und – viel wichtiger noch – Empfehlungen ausspricht. Diesmal ging es um besonders brisante Themen, die im Vorfeld schon für heftige Debatten gesorgt hatten. Zum einen arbeitet der Wissenschaftsrat an einem Papier, das den Umbau des deutschen Wissenschaftssystems generell im Auge hat, und er hatte den Auftrag, speziell für Sachsen-Anhalt Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Hochschullandschaft zu erarbeiten Zu Sachsen-Anhalt gab es vor gut einer Stunde eine Pressekonferenz.

    Dass Sachsen-Anhalt so wie andere Bundesländer auch sparen muss, ist keine Neuigkeit. Allerdings will die Landesregierung auch die Hochschulen kräftig zur Ader lassen, darüber haben wir in "Campus und Karriere" hier ja schon in den letzten Wochen immer wieder mal berichtet. Es gab Proteste gegen die Sparpläne von Ministerpräsident Haseloff, der das Ziel ausgegeben hatte, von 2015 an jährlich fünf Millionen Euro bei den Hochschulen kürzen zu wollen. Auch der Erhalt der Medizinerausbildung in Halle stand infrage. Aber das scheint zumindest vom Tisch. Auf der Pressekonferenz des Wissenschaftsrates in Braunschweig wurde gerade empfohlen, dass sich die erste Phase der Medizinerausbildung in Sachsen-Anhalt zwar auf Magdeburg konzentrieren soll, Halle bleibe aber als klinisch-medizinischer Standort erhalten. Die Lehrerbildung soll dagegen von Magdeburg nach Halle wechseln. Dazu Wissenschaftsminister Hartmut Möllring:

    Hartmut Möllring: "Was wir umsetzen, weiß ich jetzt noch nicht. Zunächst mal hat der Wissenschaftsrat gesagt, die gesamte Lehrerausbildung in Halle zu konzentrieren. Also, es wird nicht nur Halle was weggenommen. Und der Wissenschaftsrat hat empfohlen, die vorklinischen Semester, also bis zum Physikum, nicht mehr in Halle auszubilden, sondern zum Beispiel in Magdeburg. Das ist ein so weitreichender Vorschlag, ob der umsetzbar ist, kann ich nicht sagen. Ich habe eher Zweifel."

    Maleike: Am Telefon begrüße ich jetzt den Vorsitzenden der Landesrektorenkonferenz in Sachsen-Anhalt und Rektor der Hochschule Harz, Professor Armin Willingmann. Guten Tag, Herr Willingmann!

    Armin Willingmann: Guten Tag, Frau Maleike!

    Maleike: Jetzt sind die Empfehlungen des Wissenschaftsrates im Beisein Ihres Landeswissenschaftsministers also in Braunschweig ausgesprochen worden. Wie ist eigentlich Ihr Informationsstand aktuell, kennen Sie diese Empfehlungen?

    Willingmann: Nun ja, es ist ja in der Tat so gewesen, dass ein Großteil dieser Empfehlungen im Vorfeld, im Entwurfsstadium bekannt wurden. Ihre Kolleginnen und Kollegen aus den Medien hatten darüber ja weithin berichtet und insoweit waren wir als Hochschulleitungen auch informiert und das war auch, fand ich, gar nicht so schlecht, denn man konnte sich schon ein bisschen darauf einstimmen. Immerhin sind es einige Hundert Seiten Gutachten.

    Maleike: Einige Hundert Seiten, die aber auch einige Veränderungen mit sich bringen wollen. Vor allem schwebt ja über allem noch der Sparzwang, was hören Sie dazu aktuell?

    Willingmann: Da haben wir im Moment wahrscheinlich das größte Problem als Rektoren des Landes. Denn einen Zusammenhang zwischen den drastischen Sparkürzungen, vor allen Dingen den kurzfristigen, die die Landesregierung da beschlossen hat beziehungsweise ins Auge fasst, und diesem Gutachten, das können wir so recht nicht herstellen. Jedenfalls gibt das, was wir von dem Gutachten kennen, und auch die Erklärung, die wir vom Wissenschaftsrat jetzt hier über die Presse erfahren, nichts dafür her, dass man derart kurzfristig und schnell Geld aus dem System ziehen sollte.

    Maleike: Könnte man nicht auch sagen, im Gegenteil, eigentlich sagen die Empfehlungen, es darf gar nicht gekürzt werden?

    Willingmann: In der Tat. Wenn wir sie mal genau betrachten, dann attestiert der Wissenschaftsrat dem Gesamtsystem nicht nur, dass es für dieses Land ein angemessenes Institutionengefüge geschaffen hat, sondern es sagt vor allen Dingen auch, dass man in einer anstehenden Umstrukturierungsphase nicht kurzfristig Geld herausziehen kann. Und das ist unser größtes Problem. Darüber hinaus sagt der Wissenschaftsrat, dass es außerordentlich sinnvoll sei für die weitere Entwicklung Sachsen-Anhalts, wenn die Anzahl der finanzierten Studienplätze von 34.000 im Lande nicht abgesenkt werde. Diese 34.000 Studienplätze muss man aber mit Personal unterrichten, das wir zurzeit an Bord haben und das fehlen würde, wegfallen müsste, wenn diese Kürzungspläne realisiert werden.

    Maleike: Herr Möllring sprach davon, fünf bis sieben Jahre zu brauchen, um tatsächlich diese Umstrukturierung durchzuführen. Das ist relativ viel Zeit, aber auch wieder nicht, wenn man natürlich Strukturen verändern will. Was wollen Sie denn als Rektoren verändern?

    Willingmann: Die Rektoren haben frühzeitig gesagt, dass wir uns sowohl am Konsolidierungskurs im Lande als auch an den Strukturreformen selbstverständlich beteiligen. Auch wir sehen Potenziale hier bei uns. Wir haben durch den Wissenschaftsrat erfahren, dass es durchaus noch Effizienzreserven gibt und das ein oder andere verbessert werden kann. Nur, die zentrale Aussage des Wissenschaftsrats lautet nun einmal, Land Sachsen-Anhalt, seid froh, dass ihr diese sieben staatlichen Hochschulen habt, die in sehr unterschiedlicher Ausrichtung sehr, sehr gut mit der regionalen Wirtschaft kooperieren, die für die Kultur des Landes wichtig sind und für seine weitere Entwicklung. Darauf müssen wir achten, wenn wir jetzt Strukturmaßnahmen ergreifen. Und wir müssen eben sehen: All diese Strukturmaßnahmen haben sehr viel mit Menschen zu tun, mit Personal. Und deshalb braucht man dafür Zeit, eine Zeit, die uns bislang die Landesregierung noch nicht geben wollte. Ich gehe davon aus, dass der Wissenschaftsrat jetzt doch einen deutlichen Impuls setzt, um klarzumachen, ihr könnt nicht ganz kurzfristig hier Geld rausziehen, und auf die längere Sicht kommen wir da sicherlich in einen vernünftigen Verhandlungsmodus.

    Maleike: Profilbildung scheint ja vor allem den Wissenschaftsrat auch für Sachsen-Anhalt getrieben zu haben, wenn man sieht, dass zum Beispiel die Lehrerbildung jetzt weg soll aus Magdeburg, hin nach Halle, und andersherum auch die Medizinerausbildung quasi im Profil geschärft wird. Es war aber auch vorhin zu hören, dass Sie möglicherweise noch mal darüber nachdenken müssen, welche Studiengänge Sie eigentlich anbieten. Wird darüber auch in der Rektorenkonferenz ernsthaft diskutiert?

    Willingmann: Ja, selbstverständlich wird darüber ernsthaft diskutiert, wie überhaupt über die Empfehlungen ernsthaft diskutiert werden muss. Das ist ja ein Expertengremium, das sich mit uns beschäftigt hat und mit den Hochschulen im letzten Jahr sehr intensiv beschäftigt hat. Deshalb werden wir natürlich uns auch Gedanken darüber machen, wo möglicherweise Studienangebote in dieser Form nicht mehr aufrechtzuerhalten sind oder wo sie an anderer Stelle vielleicht sinnvoll angeordnet werden. Ob das dann alles eins zu eins so kommt, wie es der Wissenschaftsrat schreibt, das weiß ich noch nicht. Dafür sitzen wir in vernünftigen Verhandlungen oder sitzen jedenfalls die Rektoren untereinander, sind im Gespräch, und ich bin da ganz optimistisch.

    Maleike: Letzte Frage: Was wird, wenn tatsächlich die Sparpläne der Landesregierung so durchgezogen werden, wie sie jetzt angedeutet werden, was wird dann in Sachsen-Anhalt nicht mehr passieren können an den Hochschulen aus Ihrer Sicht?

    Willingmann: Dann haben wir einen drastischen Verlust von Studienplätzen. Wir rechnen damit, dass dann 5000, 7000, bis 10.000 Studienplätze dieser 34.000, von denen wir gerade sprachen, wegfallen. Was das für kleinere Regionen bedeutet, aber auch für die Großstädte, das weiß, glaube ich, jeder, der hier im Lande Sachsen-Anhalt lebt. Die demografische Entwicklung dieses Landes profitiert sehr von intakten Hochschulen, unsere Wirtschaft und Kultur auch. Ich kann deshalb nur dringend davon abraten, dass man meint, jetzt kurzfristig den Kopf durch die Wand schieben zu müssen, indem man sagt, wir kürzen das alles mit dem Rasenmäher. Nichts anderes wäre raus. Wir brauchen einen vernünftigen, abgestimmten, langfristigen Plan und dann kommen wir da auch ein ganzes Stück weiter. Dieses Signal geht meines Erachtens vom Wissenschaftsrat aus.

    Maleike: Der Wissenschaftsrat hat heute seine Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Hochschullandschaft in Sachsen-Anhalt vorgestellt. Ein erstes Echo dazu war das vom Vorsitzenden der sachsen-anhaltinischen Rektorenkonferenz von Professor Armin Willingmann. Vielen Dank!

    Willingmann: Gerne!

    Maleike: Ja, und das größere Empfehlungspapier zum Umbau der gesamtdeutschen Hochschullandschaft, das wird erst am Nachmittag so richtig spruchreif. Deswegen haben wir auch unsere Sendung "Pisa plus" morgen genannt: "Wie Tanker im Nebel. Wohin steuert das deutsche Hochschulsystem?". Das wollen wir hier morgen fragen im Deutschlandfunk, ab 14:05 Uhr.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.