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Entwicklungshilfe in Afghanistan
Die Arbeit an Geisterprojekten

Die internationale Geberkonferenz für Afghanistan geht heute in Brüssel in die entscheidende Phase. Deutschland steckt jährlich 430 Millionen Euro in Entwicklungshilfe für Afghanistan, mehr als 20 Millionen allein in die Sicherheit der Helfer. Viele ihrer Projekte können die Deutschen nicht mehr selbst überprüfen – zu gefährlich.

Von Jürgen Webermann | 05.10.2016
    Bewaffnete afghanische Soldaten in Uniformen
    Die Sicherheitslage in Afghanistan ist wegen der Bedrohung durch die Taliban weiter angespannt. (imago / Xinhua)
    Harun ist 27 Jahre alt, er trägt einen Anzug und kann sich glücklich schätzen. Er hat einen Job. Am Institut für Mechanik in Kabul arbeitet er als Lehrer.
    "Sonst bekommt man hier Arbeit nur durch Beziehungen. Ich unterrichte aber wegen meiner Fähigkeiten. Weil ich gut ausgebildet war und der Klassenbeste dazu."
    Diese Fähigkeiten verdankt er unter anderem den Deutschen. Er ist Absolvent einer Ausbildungsakademie für Berufschullehrer, die von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, kurz: GIZ, aufgebaut wurde. Die GIZ führt Projekte im Auftrag der Bundesregierung durch.
    Die Akademie soll Fachkräfte ausbilden. Eine Frau ist hier Direktorin, junge Menschen bekommen eine gute Schulung, der Campus ist neu, blitzsauber und mit deutschem Geld gebaut. Hier scheint die deutsche Hilfe für Afghanistan noch anzukommen.
    430 Millionen Euro steckt Deutschland jährlich in Entwicklungshilfe für Afghanistan. Die GIZ kümmert sich um ein Auftragsvolumen von 120 Millionen Euro. 2015 wurden zwei GIZ-Mitarbeiter entführt, einmal in Kundus und einmal mitten in Kabul. In der afghanischen Hauptstadt kommt es regelmäßig zu Anschlägen auch auf internationale Organisationen. Die GIZ sieht die Sicherheitslager seitdem sehr kritisch. Das räumt auch Landeschef Robert Kressirer ein:
    "Erstmal hat sich die Lebens- und Arbeitssituation sehr verändert. Früher haben wir in Privathäusern wohnen können. Dies ist inzwischen untersagt, weil wir dort nicht mehr ausreichend Schutz gewährleisten können."
    Personal arbeitet hermetisch abgeriegelt
    Jetzt wohnt das Personal auf dem GIZ-Gelände im Stadtzentrum von Kabul, hermetisch abgeriegelt. Allein in die Sicherheit deutscher Entwicklungshelfer in Afghanistan investiert die Bundesregierung jetzt mehr als 20 Millionen Euro pro Jahr. Die Zahl der deutschen und internationalen Mitarbeiter der GIZ hat sich auf 100 halbiert. Und in Kabul fahren sie nur noch in gepanzerten Wagen – wenn sie überhaupt heraus kommen. Robert Kressirer formuliert das so:
    "Es hat sich auch verändert, dass wir mit unseren Partnern etwas weniger in Kontakt sind, aber trotzdem noch regelmäßig die Treffen organisieren können."
    Das gilt aber nur für Kabul und das noch relativ sichere Mazar-i-Sharif in Nordafghanistan. In Kundus arbeiten keine Entwicklungshelfer der GIZ mehr, seit das Büro vor einem Jahr von den Taliban geplündert wurde. Auch jetzt wird in Kundus gekämpft, die Provinz ist zu einem großen Teil unter Kontrolle der Taliban. Die Projekte in Kundus, seien es der Betrieb von Schulen oder Wasserprojekte – all das kann die GIZ nicht mehr selbst überprüfen. Diesen Job müssen lokale Vertragspartner übernehmen.
    Wirtschaftliche Aussichten sind düster
    "Das ist sicher ein schwieriges Thema. Wir glauben, es ist trotzdem gerechtfertigt, in Kundus zu bleiben und nicht die Bevölkerung dafür leiden zu lassen, dass die Sicherheitsbedingungen schwieriger sind."
    Sicherheitsberater, die für internationale Organisationen auch in Kundus unterwegs sind, äußern sich da deutlicher. Sie nennen zwar nicht explizit die GIZ, sprechen aber im Zusammenhang mit den Vorhaben ausländischer Organisationen von "Geisterprojekten", die es nur noch auf dem Papier gebe, Schulen etwa, in denen kein Unterricht mehr stattfinde. Eine Nachvollziehbarkeit sei in den meisten Fällen kaum möglich. GIZ-Leiter Robert Kressirer sieht aber keine Alternative zur derzeitigen Strategie:
    "Es ist ja immer eine Frage, was hätten wir gerne. Wir müssen uns nun mal orientieren an den gegebenen Umständen. Die sind schwieriger geworden. Wichtig ist, dass es dabei nicht nur um Partner geht wie Ministerien, sondern um Menschen, die unsere Hilfe schätzen und benötigen."
    In der Lehrer-Ausbildungsakademie in Kabul wird die GIZ natürlich geschätzt. Afghanistan benötigt Lehrer wie Harun, den Klassenbesten. Viele Fachkräfte haben das Land verlassen. Die Bevölkerung ist jung und bildungshungrig. Aber die wirtschaftlichen Aussichten sind düster. Für die Absolventen der Lehrer-Akademie sieht es da schon besser aus. Jeder zweite, der hier ausgebildet wurde, erhält später einen Job. Für Afghanistan ist das eine sehr gute Quote.