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Entwicklungshilfe
"Syrien ist dramatisch"

Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) beklagt, dass wegen des Krim-Konflikts die Lage in Syrien aus dem Blickfeld der Weltöffentlichkeit gerät. Dabei sei die Lage dort dramatisch, sagte Müller im Deutschlandfunk. Doch auch für die Ukraine kündigte Müller neue Hilfe an.

Gerd Müller im Gespräch mit Jürgen Liminski | 22.03.2014
    Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) verfolgt am 21.03.2014 die Debatte über den EU-Afrika-Gipfel im Bundestag in Berlin.
    Gerd Müller will die zivile Hilfe in Krisenregionen ausbauen. (picture alliance / dpa / Bernd Von Jutrczenka)
    Jürgen Liminski: Man nennt ihn den Friedensminister. Und in dieser Bezeichnung für Gerd Müller, den Chef des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, steckt ein hoher Anspruch. Aber schon nach knapp 100 Tagen im Amt hat sich Gerd Müller Ansehen in allen Fraktionen erworben, es ist ihm auch gelungen, sich von zwei Personen abzugrenzen, zum einen vom Bomber der Nation, dem gleichnamigen Fußballer, und von seinem Vorgänger, dem FDP-Politiker Dirk Niebel. Gestern Morgen hielt er eine Regierungserklärung, in der er vor allem über das neue Afrika-Konzept seines Hauses sprach. Jetzt sind wir mit ihm verbunden, guten Morgen, Herr Müller!
    Gerd Müller: Ja, guten Morgen!
    Liminski: Herr Müller, was macht ein Friedensminister in und mit Krisengebieten, in denen die Entwicklung mit der Waffe in der Hand betrieben wird?
    Müller: Wir bringen Entwicklung, wir organisieren die zivile Zusammenarbeit, auch Krisenprävention. Auch kriegerische Auseinandersetzungen in den Staaten Afrikas oder in anderen Ländern der Welt haben eine Vorgeschichte und häufig ist es erkennbar, dass sich solche Konflikte irgendwann entladen. Deshalb habe ich ganz interessiert zur Kenntnis genommen, dass beispielsweise die Afrikanische Union ein Zentrum für Krisenprävention und Beobachtung aufgebaut hat. Also, wir gehen in die Konfliktschlichtung. Und das heißt, meistens entstehen Konflikte, auch Bürgerkriege dort, wo die Armut, die Not am größten ist. Und da setzt unser Ansatz an.
    "Wir haben seit vielen Jahren mit der Ukraine gute Zusammenarbeit"
    Liminski: Konkret was zum Stichwort Konfliktschlichtung: Was macht denn Deutschland in der Ukraine, was in der Krim?
    Müller: Wir haben seit vielen Jahren mit der Ukraine gute Zusammenarbeit. Ich habe jetzt entschieden, aufgrund der aktuellen Krisensituation, dass wir den Ansatz verdoppeln auf 40 Millionen, und die Arbeit geht insbesondere in die Frage stabile Verwaltung, Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen. Aber dann auch die ganz konkreten Fragen: Schule, Ausbildung, Krankenhaus, Entwicklung des Gesundheitswesens. Und das ist wirklich elementar für die Bevölkerung.
    Liminski: Das gilt wahrscheinlich für die Ukraine. Haben Sie auch Projekte auf der Krim?
    Müller: Wir haben in der Tat auch ein Projekt auf der Krim im Bereich der Aidsprävention. Denn erstaunlicherweise haben wir dort eine sehr, sehr hohe Aidsrate. Das Programm setzen wir fort.
    "Jetzt ist Freundschaft und Partnerschaft angesagt"
    Liminski: Sind diese Projekte durch die Krise irgendwie gefährdet?
    Müller: In der Ukraine auf keinen Fall, in der Krim, denke ich, das muss man sich jetzt genau anschauen. In der Ukraine werden wir verstärken, jetzt ist Freundschaft und Partnerschaft angesagt und da können wir ganz Entscheidendes leisten, auch beispielsweise im ländlichen Bereich. Wir haben über das Bundeslandwirtschaftsministerium seit fünf Jahren ein Projekt laufen zur Ausbildung von Bauern, sozusagen eine Musterfarm mit einem Berufsbildungszentrum, und haben dort große Erfolge. Also, wir werden die Anstrengungen verstärken.
    "Es kommt jetzt wirklich darauf an, der Ukraine schnell, unbürokratisch zu helfen"
    Liminski: Könnte die Sanktionspolitik gegenüber Russland, die jetzt anvisiert ist, auch Ihr Haus betreffen?
    Müller: Nein, ich glaube nicht. Wir sind das Entwicklungsministerium. Ich werde mich einsetzen, dass wir zur, ich sage mal, Konfliktbeilegung ein Stück beitragen können, und das heißt zum Beispiel als Gouverneur der Weltbank, das Engagement der Weltbank auch in der Ukraine auszubauen. Angekündigt sind drei Milliarden US-Hilfe. Es kommt jetzt wirklich darauf an, der Ukraine schnell, unbürokratisch zu helfen.
    Liminski: Sind Ihre Projekte eigentlich im Osten oder im Westen der Ukraine?
    Müller: Die sind sowohl als auch. Wir differenzieren hier nicht.
    "Syrien ist dramatisch"
    Liminski: Ein anderer aktueller Krisenherd ist Nahost, Stichwort Syrien-Flüchtlinge. Wo sehen Sie da Chancen für eine Friedenspolitik?
    Müller: Syrien ist dramatisch, was dort abgeht. Und ich muss sagen, es ist ein Skandal, dass die Scheinwerfer der Weltöffentlichkeit hier ausgeblendet sind. Man spricht heute von 130.000 Toten, wir haben drei bis fünf Millionen Flüchtlinge in den umliegenden Ländern. Ich war selber in einem großen Flüchtlingscamp in Jordanien mit 120.000 Menschen. Die Not, das Elend schreit einem entgegen. Aber ganz besonders prekär ist die Lage in Syrien selber. Ich habe mit Vertretern des Rotkreuzes und von humanitären Organisationen gesprochen, die in Syrien tätig sind: Wir können es nicht hinnehmen, dass humanitäres Völkerrecht in Syrien nicht gilt, dass die eigene Bevölkerung als Opfer, als Geisel genommen wird und die Menschen vor dem Nichts stehen! Die UN hat nun einen Beschluss zur Bildung von humanitären Korridoren gefasst, auch Russland hat zugestimmt. Aber jetzt muss gehandelt werden. Das ist wirklich dramatisch, dass die Weltbevölkerung hier zusieht.
    Liminski: Humanitäre Hilfe ohne militärisch abgesicherte Korridore für diese Hilfe scheint aber doch eine Illusion zu sein! Braucht man nicht doch auch das Schwert, die militärische Hilfe zur Durchsetzung von Friedenspolitik?
    Müller: Vielfach geht es ohne besser. In Syrien ist die Situation, die internationalen Organisationen UNHCR, Welthungerhilfe, aber auch das Internationale Komitee Rotes Kreuz sind noch in Syrien, und sie sind die Einzigen, die direkt den Menschen helfen können. Und nun müssen wir sicherstellen, dass die Hilfe wirklich auch effektiv und umfassend geschieht.
    "Schreiende Not" in Krankenhäusern in Zentralafrika
    Liminski: In Zentralafrika, anderes Krisengebiet, sind französische Bataillone in Mali, zusätzlich auch deutsche Ausbilder. Trotzdem wird dort gekämpft. In Zentralafrika ist der Staat de facto in Auflösung. Wie kann man da helfen oder da gar eine nachhaltige Entwicklungspolitik betreiben?
    Müller: Ich war vor Kurzem in Zentralafrika, in Bangui. Dort gibt es sechs Krankenhäuser, ich aber eines besucht. Schreiende Not, ein medizinischer Standard wie 1948 in Deutschland. Es regnet in die Operationssäle, es fehlt am Notwendigsten. Aber die Krankenhäuser sind da, sechs Krankenhäuser, aber es fehlt an der Ausstattung, an Medizin, an Ärzten. Hier können wir sofort helfen.
    Liminski: Tun wir das auch?
    Müller: Nicht ausreichend, wie ich meine. Die zivile Komponente der Hilfe in solchen Spannungsgebieten ist unterentwickelt und deshalb habe ich entschieden im Gespräch mit der Präsidentin, die ZAR als Zielland der Entwicklungshilfe wieder aufzunehmen, zusammen mit dem französischen Kollegen starten wir dort die Projektarbeit, stabilisieren die Regierung im Aufbau von Verwaltungsstrukturen, eines Gerichtswesens. Und ich glaube, mit dieser Hilfe können wir sehr, sehr viel auch zur Stabilität des Landes beitragen. Ich habe nicht den Ruf nach deutschen Soldaten vernommen, aber nach deutscher Medizin, nach Ärzten und nach grundlegender Hilfe.
    Liminski: Herr Müller, Sie plädieren für eine wertebasierte Entwicklungspolitik, und Ihr Leitbild ist eine ökologische und soziale Marktwirtschaft. Machen Sie humanitäre, rettende Hilfe von Wertvorstellung abhängig?
    Müller: 25.000 Kinder sterben heute jeden Tag. Wir leben jetzt in der Fastenzeit, wo sich viele Menschen eine Diät überlegen, weil eine Milliarde auf diesem Globus an Übergewicht leidet und eine Milliarde an Unterernährung und Hunger. Und ich empfinde das auch als Christ als absolut inakzeptabel, dass wir zuschauen. Denn dieses Problem lässt sich lösen. Der Planet Erde bietet acht bis zehn Milliarden Menschen Nahrung. Wir müssen unser Wissen, unser Können in die Länder Afrikas, aber auch Asiens transferieren. Und deshalb habe ich eine Sonderinitiative "Eine Welt ohne Hunger" gestartet und ich möchte unser Können, unser Wissen für eine nachhaltige Landwirtschaft in diese Länder transferieren, damit Armut und Hunger, dieses schreiende Elend, das uns anklagt, ein Ende findet.
    Liminski: Hunger und Entwicklungsprobleme lassen sich lösen, sagt Gerd Müller, Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Berlin. Besten Dank für das Gespräch, Herr Müller!
    Müller: Herzlichen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.