Dienstag, 23. April 2024

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Entwicklungspolitik
"Die Afrikaner müssen mehr Verantwortung für sich selbst übernehmen"

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe Recht, wenn sie von falschen Vorstellungen über Europa in Afrika spreche, sagte der Journalist und ehemalige Entwicklungshelfer Kurt Gerhardt im DLF. Die Sozialleistungen in Deutschland zögen die Menschen dennoch an. Stattdessen müsse man dafür sorgen, dass sie in ihrer Heimat blieben.

Kurt Gerhardt im Gespräch mit Sandra Schulz | 11.10.2016
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    Sandra Schulz: Vor der Sendung habe ich mit Kurt Gerhardt gesprochen, Afrika-Kenner, für den Deutschen Entwicklungsdienst in Niger und Mit-Initiator des "Bonner Aufrufs" für eine andere Entwicklungspolitik. Als Erstes habe ich ihn gefragt, ob es eine gute Nachricht ist, dass Deutschland sich stärker für Afrika engagieren will.
    Kurt Gerhardt: Ja. Sich miteinander engagieren, ist immer gut, und wenn es für beide nützlich ist, für beide Seiten, umso besser. Ob das leicht ist und was dabei herauskommen kann, das ist eine andere Frage.
    Schulz: Sie begleiten das Ganze mit großer Skepsis.
    Gerhardt: Ja!
    Schulz: Sagen Sie uns warum.
    Gerhardt: Na ja, weil ja die Geschichte der Verhältnisse nicht so ganz einfach ist. Wenn man sieht, wie lange Afrika schon dahinkrebst, vor allen Dingen was die wirtschaftliche Entwicklung betrifft, und was an Anstrengungen von außen schon alles gelaufen ist, mit Geld und Personen, um das mehr voranzubringen, dann ist das Ergebnis nicht besonders ermutigend. Deswegen kann man sich natürlich vorstellen, dass jetzt in der Zukunft nicht plötzlich Wunder passieren werden.
    Schulz: Was müsste denn passieren?
    Gerhardt: Es müsste vor allen Dingen passieren, dass die Afrikaner mehr auf eigene Kräfte bauen, nicht so viel nach außen gucken, nicht so sehr die Hand aufhalten für Entwicklungshilfe-Gelder, sondern durchsetzten, dass sie mit eigener Kraft vorankommen. Ich bin manchmal dafür, die ganze Entwicklungshilfe zu streichen, damit dieses sich Einmischen da aufhört. Das ist nicht gut.
    Schulz: Aber wer oder was soll dafür sorgen, dass das auch passiert?
    Gerhardt: Die Afrikaner! Die Regierungen sollen das. Nur leider kommt es in Afrika auch wirtschaftlich nicht gut voran, sondern die meisten Regierungen sind auch zu schlecht. Es sind zu viele Leute in den verantwortlichen Posten, in den Regierungen, denen das Wohl des Volkes nicht an erster Stelle steht, sondern, wenn ich es ganz böse sagen soll, das Wohl der eigenen Familie und des Bankkontos.
    Schulz: Aber dürfen dafür die Menschen in diesen Ländern bestraft werden, dass sie schlechte Regierungen haben?
    Gerhardt: Nee! Wer bestraft sie denn?
    Schulz: Sie nehmen es ja in den Mund. Das ist ja auch eine der Forderungen des Bonner Aufrufs, weniger auf die Entwicklungshilfe zu schauen, den Ländern mit den schlechtesten Plätzen auf dem Transparency-Index das Geld zu streichen.
    Gerhardt: Das ist doch keine Strafe, das ist was Gutes!
    Schulz: Das ist doch dann eine Strafe für die Menschen dieser Länder?
    Gerhardt: Nein, ist keine Strafe. Nein, nein, nein, nein! Das muss, wenn es richtig gemacht wird, dazu führen, dass die Menschen mehr Verantwortung für sich selbst übernehmen. Das ist auch eine Frage der Menschenwürde. Wenn man zu viel Verantwortung auf andere schiebt und anderen überträgt für sich selbst, das widerspricht auch völlig dem Grundgesetz allen Helfens, nämlich dem Subsidiaritätsprinzip. Das ist eigentlich der Kerngedanke guter Hilfe. Und das heißt, dass man erst dann helfen darf, wenn die eigenen Möglichkeiten der Menschen ausgeschöpft sind, und das sind sie bei weitem nicht. Afrika hat zum Beispiel viele Reichtümer im Boden: Bodenschätze. Die Weltgegenden, die sich wirtschaftlich bemerkenswert entwickelt haben in Ostasien, die haben kaum Bodenschätze. Da ist es vorangegangen. Afrika ist gesegnet mit Bodenschätzen und es kommt kaum voran.
    "Bloß das Ergebnis der Migration muss positiv sein"
    Schulz: Aber wir beobachten jetzt diese Abstimmung mit den Füßen. Immer mehr Menschen sagen, hier will ich nicht mehr länger leben, ich will nach Europa. Viele machen sich auf den Weg, auf den gefährlichen Weg. Viele Menschen verlieren dabei auch ihr Leben. Stellen Sie das überhaupt ausreichend in Rechnung?
    Gerhardt: Das will ich hoffen. Ich kann mich nur bemühen darum. Aber die Lösung kann doch eigentlich nicht sein, dass Leute ihre Heimat verlassen. Wir sagen doch immer, wie wichtig die Heimat ist für Menschen, die Verwurzelung in einem Volk, das man kennt, in einer Kultur, in der man sich zuhause fühlt, denn man haut doch nicht einfach ab. Ich meine, das Aussteigen aus Kultur, das Hinausgehen in die Welt, in andere Länder, das hat ja nun eine reiche Tradition. Wie viele Deutsche haben das gemacht, wie viele Europäer in den letzten Jahrhunderten, wenn man allein an Amerika denkt, aber auch an Australien, an Südafrika und was weiß ich. Das ist ein ganz normaler Vorgang. Bloß das Ergebnis muss positiv sein. Und wenn viele Afrikaner hier herkommen, die unsere Sprache nicht sprechen und von denen viele sich auch nicht genug anstrengen, um unsere Sprache zu lernen, und die keine Ausbildung haben, dann sehe ich nur mit Schwierigkeiten, dass ein solcher Wechsel ein positives Ende bekommt.
    Schulz: Das heißt, den Appell der Kanzlerin, die heute ja auch wieder gesagt hat, viele Menschen machen sich da vollkommen falsche Vorstellungen von dem Weg nach Europa, das finden Sie soweit richtig?
    Gerhardt: Ja, sicher! Aber solange die wirtschaftlichen Verhältnisse so sind, wie sie sind, werden viele Menschen davon nicht abgehalten werden. Da geben die auf die Kanzlerworte nicht so viel, sondern mehr auf das, was sie im Internet oder im Fernsehen sehen, und die wissen ja auch, was es bei uns zum Beispiel an sozialen Leistungen gibt. Und wenn die das Doppelte und Dreifache dessen sind, was man dort verdienen kann, ja gut, dann ist doch klar, was dabei herauskommt.
    Schulz: Jetzt ist es ja auch nicht so, dass die Menschen sich aus reiner Abenteuerlust auf den Weg machen würden nach Europa. Sie sind auf der Flucht vor Armut, vor Hunger, vor Kriegen, vor Konflikten, und auch da weist die Kanzlerin darauf hin, dass viele Flüchtlinge ja auch Zuflucht finden auf dem afrikanischen Kontinent. Kann Europa da sagen, na ja, aber mit Geld - sorry, das ist nicht unser Ding?
    Gerhardt: Nein. Das zunächst mal Nachbarn einander helfen, halte ich für normal. Insofern bin ich da nicht beunruhigt. Aber wenn es klar ist, dass die Nachbarn das nicht leisten können, was geleistet werden muss, ja dann greift man doch denen unter die Arme. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Allerdings erst mal auch zum Beispiel auf dem afrikanischen Kontinent, die Nachbarn, auch die, die weiter entfernt sind, die Staaten, die reich sind, wie Angola, Nigeria, die riesige Bodenschätze-Reichtümer haben. Bloß von denen hört und sieht man da nicht viel in solchen Situationen.
    Marshall-Plan? "Verrückte Idee!"
    Schulz: Jetzt ist die Rede von einem Marshall-Plan für Afrika.
    Gerhardt: Um Gottes Willen!
    Schulz: Ich wollte Sie eigentlich gerade fragen: Wenn Sie den beschreiben müssten, wie sähe der aus?
    Gerhardt: Der Marshall-Plan, der sähe so aus, dass ich das Wort streichen würde. Das ist eine verrückte Idee.
    Schulz: Welchen Plan würden Sie aufschreiben?
    Gerhardt: Das habe ich ja schon gesagt, die Menschen dazu zu bringen, dass sie ihre eigenen Möglichkeiten ausschöpfen und dass erst wenn das passiert ist wir dann an die Reihe kommen. Aber wir stehen viel zu weit vorne in der wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas und das kann nicht funktionieren, und das sehen wir ja auch, dass es nicht funktioniert. Die Menschen müssen selbst mehr Verantwortung für ihr Leben übernehmen und sie brauchen vor allen Dingen tüchtigere Regierungen. Und es ist ja das Verrückte: Die sind alle gewählt, diese nichtsnutzigen Regierungen. Das ist ein bisschen scharf, aber es gibt zu viel Nichtsnutzigkeit in den Regierungen, will ich es etwas abgeschwächt sagen. Aber die sind ja alle gewählt, und deswegen frage ich mich: Wie kann man erreichen, dass die Afrikaner bessere Regierungen kriegen.
    Schulz: Wollte ich Sie auch gerade fragen.
    Gerhardt: Ja! Mir fällt da auch nichts anderes ein als Bildung, Bildung, Bildung, die Menschen besser bilden.
    Schulz: Der Afrika-Kenner Kurt Gerhardt bei uns im "Journal vor Mitternacht" im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.