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"Entwicklungszusammenarbeit ist ein Sicherheitsinteresse"

Deutschland kommt seinen Verpflichtungen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit nicht nach, kann Eckhard Deutscher, Leiter des OECD-Entwicklungsausschusses, mit Zahlen belegen. Es berühre Fragen der globalen Verantwortung und der Glaubwürdigkeit, wenn man die internationalen Zusagen nicht einhalte.

Eckhard Deutscher im Gespräch mit Silvia Engels | 17.02.2010
    Silvia Engels: Um 6:48 Uhr blicken wir auf ein Thema, das nicht so häufig im Mittelpunkt der Debatte steht, aber das wichtig ist. Es geht um die Entwicklungshilfe. Die Bundesrepublik Deutschland hat schon in den 70er-Jahren dem Ziel zugestimmt, 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe auszugeben. Davon sind die Bundesregierungen aber stets weit entfernt geblieben. Zwischendurch sank der Anteil und dann bis 2008 wuchs die Quote, allerdings auf lediglich 0,38 Prozent.

    Am Telefon ist der Leiter des OECD-Entwicklungsausschusses, Eckhard Deutscher. Guten Morgen!

    Eckhard Deutscher: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Herr Deutscher, die OECD wird heute in Paris einen Zwischenstand der Geber liefern. Wo liegen Sie bei Ihren eigenen Verpflichtungen? Wir haben es gerade gehört: Offenbar glaubt Entwicklungshilfeminister Niebel schon selbst nicht mehr daran, in diesem Jahr die zugesagten 0,51 Prozent einzuhalten. Wo steht Deutschland?

    Deutscher: Deutschland steht bei 0,40 nach unseren neuesten Berechnungen. Die Berechnungen, die wir auch für alle anderen Geberländer gemacht haben, beruhen auf den eigenen Angaben unserer Mitgliedsländer. Deutschland liegt bei 0,40 und schert damit aus, was den allgemeinen Trend angeht, denn wir haben festgestellt, dass es hier doch eine sehr positive Entwicklung gibt, da nämlich die meisten der Geberländer Verantwortung zeigen und ihre Verpflichtungen einhalten. Es sind bezeichnenderweise und bedauerlicherweise, sage ich, europäische Länder, die ihre Verpflichtungen nicht einhalten. Das sind Frankreich, das ist Deutschland, das ist Österreich, Portugal, natürlich Griechenland und auch Italien. Alle anderen Länder halten ihre Verpflichtungen ein, was ich sehr erfreulich finde. Das gibt natürlich zum Denken Anlass.

    Engels: Haben Sie denn gar kein Verständnis dafür, dass das vielleicht im Rahmen der Finanzkrise schwieriger ist?

    Deutscher: Warum schaffen es die meisten Länder, nämlich 16 von 23, ihre Verpflichtungen zu halten? – Natürlich schlägt die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise auch auf solche Debatten nieder, was können wir uns leisten, aber hier geht es einerseits um die Frage der globalen Verantwortung, die globale Verantwortung schleicht sich hier nicht davon, wenn wir internationale globale Wirtschaftskrisen zu bekämpfen haben, das trifft für jedes Land zu, sondern wir haben auch Fragen der Glaubwürdigkeit gegenüber den Entwicklungsländern zu beantworten und wenn wir nur die Realität nehmen, der berühmte Fall China in Afrika, China ist für die afrikanischen Regierungen ein glaubwürdiger Partner.

    Ich stelle bei meinen Besuchen bei Regierungen auch in der UN fest, man glaubt den westlichen Gebern weniger und weniger. Insofern finde ich das gemischte Bild, was wir hier haben, das ist keine Katastrophe. Die meisten kommen dem nach. Aber auch diejenigen, gerade auch starke europäische Länder, müssen sich an ihre Verpflichtungen halten und diese Verpflichtungen, die resultieren nicht nur aus den Zusagen, die gegeben worden sind im Rahmen der internationalen Entwicklungsziele, sondern auch was die G7 zusagen, denn hier sind ja drei Länder mit dabei, G7-Länder, Frankreich, Italien und Deutschland, die diese Zusagen gemacht haben und die diese Zusagen nicht einhalten. Ich finde das bedauerlich.

    Engels: Sie haben die möglicherweise etwas eingeschränkte Glaubwürdigkeit des Westens dann in den Entwicklungsländern betont. Auf der anderen Seite: wird denn wirklich konkret jetzt an der Hilfe gespart, denn es geht ja nur um Zuwächse, die eigentlich geringer ausfallen als gedacht?

    Deutscher: Es geht in der Tat um Zuwächse, die geringer ausfallen. Wir werden wahrscheinlich eine Debatte in den nächsten Jahren haben, um die internationalen Zusagen neu zu justieren. Ich halte das auch für erforderlich, weil die Fragen der Glaubwürdigkeit, die dauern jetzt schon einige Jahre an und hier müssen verbindliche Zusagen gegeben werden. Entwicklungszusammenarbeit ist keine Wohlstandsförderung mehr. Entwicklungszusammenarbeit ist ein Sicherheitsinteresse. Wenn wir nur hinschauen auf Italien, die Fragen der Migration und der erheblichen sozialen Verwerfungen, die es in Italien gibt, da ist das alt bekannte Prinzip "lasst uns doch die Ursachen von Migration dort bekämpfen, wo sie entstehen, lasst uns Investitionen machen", Entwicklungszusammenarbeit sind politische Investitionen, die auch in unserem eigenen Interesse liegen. Insofern: Das kostet Geld und vor diesen Investitionen darf man nicht zurückscheuen.

    Engels: Nun hat ja auch Entwicklungshilfeminister Niebel von der FDP einige Änderungen in seinem Ministerium angekündigt. Er will zum Beispiel Klimaschutzgelder, die in arme Länder fließen, zu den Entwicklungshilfegeldern rechnen und er will auch mehr Geld in bilaterale statt multilaterale Projekte stecken. Was sagen Sie dazu?

    Deutscher: Die internationalen Diskussionen sind noch zu keinem Abschluss gekommen, ob die Klimagelder, also Investitionen in den Klimawandel, der sogenannten ODA-Quote zuzurechnen sind oder nicht. Ich habe mit den meisten Geberregierungen gesprochen, der Trend ist eindeutig der: Klimagelder sind zusätzliche Gelder. Man kann sich nicht aus den lange Jahre zugesagten Verpflichtungen wegschleichen, sondern die ODA-Quote 0,7 muss beibehalten werden. Und Klimagelder, um das mal so verkürzt zu sagen, sind zusätzliche Gelder. Das scheint der Trend zu sein, aber wie gesagt, es ist international noch nicht abschließend verhandelt worden. Das wird jetzt in den nächsten Monaten und Jahren geschehen müssen.

    Hinsichtlich der bi- und der multilateralen Zusammenarbeit, das muss man an konkreten Beispielen festmachen. Hätte die internationale Gemeinschaft auf die bilateralen gewartet hinsichtlich der globalen Fonds, also Bekämpfung von Aids beispielsweise, wären zwischenzeitlich Hunderttausende von Menschen gestorben. Hier hat sich die internationale Gemeinschaft zusammengetan, einen globalen Fonds geschaffen. Man kann das nicht aneinander ausspielen. Wir haben Strukturprobleme im eigenen Haus. Das heißt, es gibt zu viele Geberagenturen, die in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind. Wir müssen die Anzahl der bilateralen Geber senken und wir müssen gucken, wie die Arbeit der multilateralen Organisationen effizienter wird. Wir haben das grundsätzliche Problem, dass natürlich die multilateralen Organisationen in einer globalisierten Welt eher an Bedeutung gewinnen werden, als sie an Bedeutung verlieren werden. Deswegen ist die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen von allergrößtem Interesse.

    Engels: Vielen Dank an Eckhard Deutscher, OECD-Entwicklungsausschusshelfer. Vielen Dank!