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Eötvös-Oper "Der goldene Drache"
Leidensgeschichte eines Migranten

Peter Eötvöss Kammeroper "Der goldene Drache", die vom Tod eines jungen Chinesen im Westen erzählt, zeigt das ganze Elend prekärer Lebensverhältnisse von Migranten. Als Gesamtkunstwerk aus Wort, Ton und Szene überzeugt die Uraufführung an der Frankfurter Oper - bis auf das Unbehagen am Empörungspopulismus des Librettos.

Von Christoph Schmitz | 30.06.2014
    Der ungarische Komponist Peter Eötvös im Bockenheimer Depot in Frankfurt am Main, wo sein Stück "Der goldene Drache" aufgeführt wird.
    Der ungarische Komponist Peter Eötvös im Bockenheimer Depot in Frankfurt am Main, wo sein Stück "Der goldene Drache" aufgeführt wird. (picture alliance / dpa / Foto: Boris Roessler)
    Peter Eötvöss Kammeroper "Der goldene Drache" erzählt eine sehr traurige Geschichte, eigentlich die traurigste, die man sich vorstellen kann, obwohl es nur so eine kleine Geschichte ist von einem jungen Chinesen. Er ist ohne Papiere in den Westen gelangt auf der Suche nach seiner Schwester. Er bekommt schlimmes Zahnweh. Die Köche in der winzigen Küche des "Goldenen Drachen", eines Thai-China-Vietnam-Schnellrestaurants operieren den faulen Schneidezahn mit einer Rohrzange heraus. Der Zahn fliegt durch die Luft in den Wok und landet von dort in der Suppenschale einer Stewardess im Restaurant.
    Eine Leidensgeschichte
    Die OP überlebt der junge Mann jedoch nicht. Er verblutet, und seine Leiche wird heimlich in den Fluß geworfen. Der Fluß trägt sie ins Meer, die Meeresströmung spült das Skelett an die Küste Chinas. Eötvöss Stück ist eine Leidensgeschichte, eine Passion, in der das ganze Elend prekärer Lebensverhältnisse von Migranten aufscheint. Mittels eines kleinen kariösen Zahns den großen Kummer dazustellen, die Qualen und die Kälte des Menschen, das gelingt dem Dramatiker und Librettisten Roland Schimmelpfennig auf beeindruckende Weise. Vom Kleinen zum Großen. Ähnlich verfährt auch Peter Eötvös mit seiner Musik. Den maschinellen Rhythmus, die messerscharfen Klänge und die kantigen Konturen schöpft er aus dem engen Klangraum der Küche des Schnellrestaurants zu Beginn der Oper.
    Geburt des Musiktheaters aus dem Geiste des Küchengeklappers
    So erlebt man die Geburt des Musiktheaters aus dem Geiste des Küchengeklappers, das die gesamte Komposition durchrhythmisiert. Aber das Kochen dient hier lediglich dem Überleben, wenn überhaupt. Das Geschepper klingt immer mehr nach Folterkeller, zu dem die Asia-Küche nach und nach tatsächlich mutiert. Aber auch ruhige Augenblicke gibt es, traumverlorene, wenn auch äußerst selten. Ein unablässiges Pulsieren belebt das Klanggewebe insgesamt. Fäden traditioneller chinesischer Musik schimmern hindurch, liedhafte Passagen und schlagerartige Momente. Die Musik macht die Qualen, die Boshaftigkeit und Kaltherzigkeit, die Langeweile und Aggressivität mit theatralem Effekt immer deutlich. Souverän und musikantisch gespielt vom Ensemble Modern unter dem sekundengenauen Dirigat des Komponisten selbst.
    Doppelte Distanzierung
    Die Fabel von Grille und Ameise erklärt das Ausbeutungsmotiv des Stücks. Die Grille hat im Sommer immer nur gesungen, statt für den Winter vorzusorgen. Jetzt friert sie, hat nichts zu essen und wird von den Ameisen für ein paar tote Fliegenstücke gnadenlos abgezockt und verstümmelt. Roland Schimmelpfennigs Libretto rückt den Schrecken jedoch auf Distanz, indem die fünf, übrigens allesamt bravourösen Sängerdarsteller das erzählen, was die 18 Figuren der Geschichte sagen und tun. Hin und wieder schlüpfen sie auch in deren Rollen. Die Frankfurter Inszenierung von Elisabeth Stöppler unternimmt einen zweiten Distanzierungsschub. Sie macht aus dem Drama eine Komödie, einen Mummenschanz aus Verkleidungskapriolen. Für die bitterböse Groteske bedienen sich die Sänger beim Verkleiden aus einem Fundus aus Theaterrequisiten, Messi-Chaos, Abfallhalde und Schnellküche. Doch mittels dieser doppelten Distanzierung grinst der Schrecken umso böser. Zynisch schwenken dazu die vermeintlich glücksbringenden japanisch-chinesischen Winkekatzen ihre Pfoten. Wieder einmal spannendes Musiktheater in Frankfurt.
    Eindimensionales Menschenbild
    So gelungen dieses Gemeinschaftskunstwerk aus Wort, Ton und Szene ist, so bleibt doch ein Unbehagen. Denn das Menschenbild, das hier gezeigt wird, ist eindimensional. Im "Goldenen Drachen" sind alle ausschließlich böse, bis auf das Opfer, das nur Opfer ist. Damit macht es sich das Libretto zu einfach. Mit Schockbildern kann man zwar gut unterhalten, aber dem paradoxen Wesen des Menschen mit seinen zerstörerischen und schöpferischen Fähigkeiten nähert man sich mit dieser Holzhammermethode nicht an. Schimmelpfennig betreibt Empörungspopulismus. Man könnte auch sagen: Elendsporno.