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Epigenetik
Kälte macht den Nachwuchs schlank

Braunes Fettgewebe schützt vor Übergewicht, denn es verbrennt Kalorien, um Wärme zu produzieren. Doch warum haben schlanke Menschen mehr aktive braune Fettzellen? Offenbar sind Umwelteinflüsse vor der Geburt schuld daran. Das zeigt sich bei Mäusen: Tiere, die bei Kälte gezeugt wurden, haben mehr braune Fettzellen.

Von Sabine Goldhahn | 10.07.2018
    In einem Labor der Gewebebank des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum Adipositaserkrankungen (IFL) an der Universität in Leipzig beobachtet eine Tierpflegerin eine adipöse und eine normale Maus.
    Behandlungszentrum Adipositaserkrankungen (IFL) an der Universität in Leipzig beobachtet eine Tierpflegerin eine adipöse und eine normale Maus (picture alliance / Waltraud Grubitzsch)
    Aktivierte braune Fettzellen sind kleine Heizkraftwerke. Sie verbrennen mehr Zucker als jede andere Zelle im Körper und wandeln die Energie in Wärme um. Babys haben deshalb besonders viel davon – als Schutz vor Kälte. Erwachsene hätten gerne mehr – als Schutz vor Übergewicht. Doch die Menge an braunem Fettgewebe ist individuell verschieden und hängt davon ab, wie viel Kälte wir aushalten müssen. Oder wie kalt es war, als unsere Eltern uns gezeugt haben. Das hat ein Team um den Ernährungsforscher Christian Wolfrum von der ETH Zürich jetzt entdeckt – anhand von Bildern aus einem PET-Scanner.
    "Wir haben zusammen mit dem Unispital der Universität Zürich eine Studie an Menschen durchgeführt, wo wir retrospektiv 8400 Probanden analysiert haben im Hinblick auf ihr braunes Fett. Und dann haben wir ganz zufällig festgestellt, dass eine ganz deutliche Korrelation zwischen braunem Fettgewebe und Zeitpunkt der Geburt und Zeitpunkt der Empfängnis besteht. Das heisst, Leute, die in den kalten Monaten gezeugt wurden, so zwischen Oktober und Februar, hatten deutlich mehr braunes Fett als Leute, die in den warmen Monaten gezeugt wurden."
    "Korrelation zwischen braunem Fettgewebe und Empfängnis-Zeitpunkt"
    Dieser Zufallsfund machte die Forscher neugierig. Sie wollten wissen, ob man den Kälteeffekt auf die Nachkommen auch aktiv unter Laborbedingungen erzeugen kann. Und wenn ja, was genau dabei passiert, also ob sich zum Beispiel an der Aktivierung bestimmter Gene etwas ändert. In einer Versuchsreihe haben die Wissenschaftler dafür männliche und weibliche Mäuse eine Woche lang verschiedenen Temperaturen ausgesetzt und sie dann Nachwuchs zeugen lassen, erklärt Christian Wolfrum.
    "Bei den Mäusen, wo die Väter vorher eine Woche bei acht Grad gelebt hatten statt bei 23 Grad, sieht man halt den Anstieg von braunem Fett in den Nachkommen, in den männlichen Nachkommen. Wenn man das mit den weiblichen Mäusen macht, sieht man nichts. Das heißt also, es ist ganz klar über die Spermien übertragen."
    Warum über die Spermien, dafür hat er nur eine Erklärung: Die exponierte Lage der Hoden. Deshalb bekommen die Spermien viel mehr Kälte ab als die Eizellen, die im Inneren des Körpers reifen. Die kalten Temperaturen haben bei den Mäusemännchen die DNA in den Spermien beeinflusst und durch eine Methylierung die Gene so verändert, dass sie anders abgelesen werden. Damit haben die Forscher erstmals den direkten genetischen Effekt eines Umweltfaktors nachgewiesen.
    Kältereiz verändert Genaktivität
    Christian Wolfrum: "Hier haben wir das erste Mal wirklich ein System, wo ein ganz klar definiertes Signal die Kälte ist. Wir wissen ziemlich genau, wie die Kälte im Gehirn signalisiert. Das gibt uns einen Hinweis darauf: Wie werden überhaupt die Methylierungen verändert in den Spermien?"
    Die durch Methylierung veränderte Gen-Aktivität fanden die Forscher auch bei den Nachkommen der kälteerprobten Mäusemännchen.
    "Das sind eindeutig Gene, die einerseits in der braunen Fettzellbildung eine große Rolle spielen und Gene, die in der neuronalen Aktivierung eine Rolle spielen. Das sind beides Prozesse, die wir brauchen, einerseits, um braunes Fett zu machen und andererseits, um braunes Fett zu aktivieren. Und wenn wir dann zurück in die Mäuse gehen, sehen wir genau das: Sie haben mehr braunes Fett, und das braune Fett ist aktiver, reagiert einfach viel schneller als bei einer Maus, die bei Normaltemperaturen gezüchtet wurde."
    Kältereize verändern die Aktivität einzelner Gene und sorgen dadurch für mehr braunes Fett bei den Nachkommen. Dieser epigenetische Effekt könnte Wolfrum zufolge in der Evolution von Vorteil gewesen sein. Zum Beispiel in der Eiszeit. Da mussten unsere Vorfahren ihren Stoffwechsel an Minusgrade anpassen, um nicht zu erfrieren. Doch heute haben wir die Klimaerwärmung, tragen Thermowäsche und leben in überheizten Räumen.
    Wer öfter mal friert, aktiviert seine braunen Fettzellen
    "Braunes Fett haben wahrscheinlich ziemlich viele Leute. Das braune Fett, wenn es nicht aktiv ist, macht gar nichts oder relativ wenig. Man kann davon ausgehen, dass viel mehr Leute inaktives braunes Fett haben. Nur weil wir uns alle so schön thermoneutral kleiden, dass wir nicht frieren, ist das braune Fett unter Normalbedingungen eigentlich nicht aktiv. Es gibt gute Daten aus den letzten Jahrzehnten, dass die durchschnittliche Umgebungstemperatur in der Wohnung um mehrere Grad angestiegen ist, und das korreliert perfekt mit der Entwicklung des Übergewichtes – in den USA."
    Ein bisschen mehr Kälte im Alltag könnte also helfen, dass unsere körpereigene Heizung wieder öfter anspringt und uns vor Übergewicht schützt. Und wenn Männer diesen Rat beherzigen, profitieren vermutlich auch ihre Kinder davon.