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"Er hat die Chancen genutzt, Vorbehalte gegenüber ihm persönlich abzubauen"

Jens Kerstan, Chef der Grünen der Hamburger Bürgerschaft, hält es für wahrscheinlich, dass die schwarz-grüne Koalition in der Hansestadt fortgesetzt wird. "Er hat durchaus deutlich gemacht, dass er ein guter Bürgermeister sein könnte", sagte Kerstan nach einem Ahlhaus-Besuch in der Fraktion.

Jens Kerstan im Gespräch mit Sandra Schulz | 21.08.2010
    Sandra Schulz: Und am Telefon begrüße ich jetzt Jens Kerstan, Vorsitzender der Grünen der Hamburger Bürgerschaft. Herr Kerstan, guten Morgen!

    Jens Kerstan: Schönen guten Morgen, Frau Schulz!

    Schulz: Geht Schwarz-Grün weiter mit Christoph Ahlhaus?

    Kerstan: Na, in der letzten Woche hatten wir mehrere Treffen. Herr Ahlhaus war, wie Sie ja berichtet haben, auf unseren Mitgliederversammlungen, er war gestern Abend in unserer Fraktion und hat seinen Personalvorschlag uns unterbreitet, und ich muss schon sagen, er hat die Chancen genutzt, Vorbehalte gegenüber ihm persönlich abzubauen, aber gleichzeitig auch demonstriert, welche inhaltlichen Vorschläge er für eine weitere Zusammenarbeit hat; und er hat durchaus deutlich gemacht, dass er ein guter Bürgermeister sein könnte, sodass ich glaube, dass es dort deutliche Schritte in Weiterführung der Koalition gegeben hat.

    Schulz: Das heißt also, das für die Grünen inzwischen der Machterhalt wichtiger ist als die Inhalte?

    Kerstan: Nein, ganz im Gegenteil: Wir sind ja eine Partei, die lange Jahre gesagt hat, auf Personen kommt es überhaupt nicht an. Wir haben teilweise noch nicht mal Personen plakatiert im Gegensatz zu anderen Parteien, und haben gesagt, auf die Inhalte kommt es an.

    Und genau das haben wir in den letzten Wochen mit Herrn Ahlhaus geklärt: Wir haben versucht, zu klären, ob der Vertrag, den wir für vier Jahre geschlossen haben, auch mit einer Führung unter Herrn Ahlhaus – inhaltlich – Bestand haben wird; und wir haben in einem keinen einzigen Punkt einen Anhaltspunkt bekommen, dass die CDU gedenkt, sich dort anders zu positionieren.

    Und der viel beschworene Rechtsruck, den manche befürchten – das sind alles bisher Befürchtungen und Vermutungen, und insofern glaube ich, muss man ... hat man auch eine Verantwortung gegenüber den Inhalten, die man seinen Wählern versprochen hat, umzusetzen. Das tun wir gerade, und man kann eine Koalition nur dann beenden, wenn man auch einen stichhaltigen Grund hat, und den vermag ich im Moment in der Tat nicht zu sehen. Aber andererseits gibt es in den Bürgerschaften, die uns anders entscheiden sollten, sofort eine Mehrheit für Neuwahlen, und insofern - falls es wirklich einen Rechtsruck geben sollte, könnten wir innerhalb von 14 Tagen Neuwahlen ausrufen.

    Schulz: Ja. Herr Kerstan, Sie kennen Christoph Ahlhaus jetzt ja schon seit einigen Jahren. Er hat einst angemahnt, es würden zu wenig Asylsuchende abgeschoben und es dauere auch alles zu lange; dann wolle er die Herkunft von Straftätern in der Kriminalstatistik erfassen. Ist das jetzt die neue Linie auch der Grünen?

    Kerstan: Nein, überhaupt nicht. Also man muss ja sagen, dass Herr Ahlhaus in der schwarz-grünen Koalition keine Hardliner-Innenpolitik durchgesetzt hat. Wir haben in vielen Bereichen, bei der Überarbeitung des Polizeigesetztes, liberalere Akzente durchgesetzt. Hamburg ist eins der wenigen Bundesländer, das einen Häftling aus Guantanamo aufnimmt und das auch Regimekritiker aus dem Iran aufnimmt, sodass man sagen muss: Die Hardliner von Herrn Ahlhaus haben sich teilweise in Vorschlägen auf Bundesebene geäußert, aber in keinem einzigen Punkt in der Politik in Hamburg.

    Schulz: Na, das Polizeigesetz, das Sie gerade loben, das hat Herr Ahlhaus seinerseits als das schärfste Polizeigesetz der Republik bezeichnet. Gehen da jetzt die Einschätzungen von Grünen und Konservativen schon so weit auseinander, dass das, was für die Konservativen ein scharfes Gesetz ist, für Sie liberal ist?

    Kerstan: Nein, wir haben jetzt gerade ja im Koalitionsvertrag vereinbart, dieses Gesetz zu ändern, und haben da jetzt in den letzten Monaten dran gearbeitet, und sind jetzt eigentlich dabei, jetzt ein neues Gesetz zu verabschieden, das in vielen Punkten deutlichen Verbesserungen zum alten Zustand herstellen wird. Und dem hat auch Herr Ahlhaus, auch in seiner jetzigen Funktion, auch noch als Innensenator, zugestimmt.

    Schulz: Was ja aber nichts daran ändert, dass es vor allem bei der Basis auch größere Vorbehalte nach wie vor gegen Herrn Ahlhaus gibt. Irritationen hat bei vielen auch ausgelöst seine frühere Gastmitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung. Diese Irritationen, die verstehen Sie überhaupt nicht?

    Kerstan: Doch. Also wir haben uns das ja alle auch überhaupt nicht einfach gemacht. Also bis gestern im Grunde genommen, bevor er uns seine Personalvorschläge vorgestellt hat, hat niemand aus der Führung der GAL gesagt, wir werden die Koalition fortsetzen oder wir werden auch nur dafür plädieren, sondern wir haben die letzten Wochen schon sehr deutlich dafür genutzt, einmal inhaltlich zu prüfen, bleibt es dabei, was wir vereinbart haben, glauben wir Herrn Ahlhaus, dass er diesen Kurs auch selber wirklich weiter verfolgen will, mit welcher Mannschaft will er antreten? Und Herr Ahlhaus hat zu seiner Mitgliedschaft, zu dieser Gastmitgliedschaft in der Burschenschaft sehr ausführlich Stellung bezogen. Er bestreitet, dass er jemals selbst aktiv Mitglied geworden ist und hat sehr deutlich gemacht, dass er auch jetzt, in der jetzigen Situation, nicht zu Inhalten steht, die diese Burschenschaft vertritt. Und das wird er als Bürgermeister gut beweisen können. Er hatte eigentlich gesagt, dass er im nächsten Jahr beim Christopher Street Day mitmarschieren wird, und ich bin mir relativ sicher: Wenn er in solchen Punkten diese Position vertritt, dann wird auch eine solche Burschenschaft ihn gar nicht mehr als Mitglied haben wollen.

    Schulz: Herr Kerstan, Sie haben gerade die neuen Personalvorschläge auch von Christoph Ahlhaus angesprochen, darunter ist auch der nominierte Wirtschaftssenator Ian Karan, der hat einst die Schill-Partei finanziell unterstützt und auch von Ronald Schill persönlich geschwärmt, er sei ein toller Mensch. Was an diesem Personal sieht denn nach schwarz-grüner Kontinuität aus?

    Kerstan: Ja, es ist ja eigentlich nicht üblich, dass ein Koalitionspartner die Personalvorschläge des anderen Partners kommentiert.

    Schulz: Haben Sie aber eben schon gemacht.

    Kerstan: Ja, das ... Na gut, der Bürgermeister ist, glaube ich, noch eine andere Sache. Der Bürgermeister ist der gemeinsame Kopf einer Koalition, wenn der wegfällt, muss man schon noch gucken: Bleibt es eigentlich beim Alten? Bei Herrn Karan sind wir davon abgewichen, weil wir schon gesagt haben, wir möchten ganz gerne, das sind ja Zitate von vor mehreren Jahren, die Sie erwähnt haben, wie er heute dazu steht.

    Er hat sich dazu erklärt, das war hilfreich, und ich glaube, gerade uns Grünen steht es ganz gut an, die ja teilweise Führungspersonal haben, das in den letzten Jahrzehnten eine sehr bewegte Vergangenheit hatte und durchaus auch Positionen verändert hat, eine solche Änderung auch anderen Personen zumindestens zuzubilligen, wenn sie erklären, dass Sie so etwas vollzogen haben. Und das hat Herr Karan getan. Schon vor anderthalb Jahren hat er erklärt, das war der größte Fehler seines Lebens, was er damals gemacht hat.

    Schulz: Jens Kerstan, Fraktionsvorsitzender der Grünen in der Hamburger Bürgerschaft, und heute hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch!

    Kerstan: Ja, gerne!