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"Er hat wirklich keinerlei Durchsetzungskraft mehr"

Wird der Bundesrat bei der Laufzeitverlängerung nicht einbezogen, wollen mehrere Bundesländer - wie auch Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) für Rheinland-Pfalz ankündigt - vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Die Opposition sieht den Atomkompromiss als "Mogelpackung".

Kurt Beck im Gespräch mit Stefan Heinlein | 07.09.2010
    Stefan Heinlein: Am Telefon nun der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck (SPD). Guten Morgen, Herr Beck.

    Kurt Beck: Schönen guten Morgen!

    Heinlein: Ist die Bundesregierung käuflich?

    Beck: Sie ist auf jeden Fall dem Druck gewichen, der von den großen Energiekonzernen ausgeübt worden ist, und der Bundesumweltminister steht so nackt da, wie selten ein Politiker dagestanden hat. Er ist wirklich völlig unterlegen.

    Heinlein: Sollte Norbert Röttgen seinen Hut nehmen?

    Beck: Ich glaube, er hat wirklich keinerlei Durchsetzungskraft mehr in dieser Regierung und er muss selber wissen, wie er damit umgeht. Ich jedenfalls habe eine solche politische Niederlage noch nicht erlebt.

    Heinlein: Aber auch Rot-Grün, Herr Beck, wenn Sie sich erinnern, hat seinerzeit mit der Atomenergie über einen Atomausstieg verhandelt und einen Kompromiss geschlossen. Messen Sie da jetzt nicht mit zweierlei Maß?

    Beck: Nein, durchaus nicht, denn das war ein Szenario, das einvernehmlich getroffen worden ist, und es war ein Szenario, das doch ein klares Enddatum hatte, denn es geht auch immer darum, eine befriedende und eine nicht vor den Gerichten ausgetragene Regelung zu finden. Aber dieser Vertrag hätte ja weiter gegolten. Niemand hätte die jetzige Bundesregierung zwingen können, einen mit der Atomwirtschaft abgeschlossenen Vertrag wieder aufzuschnüren und jetzt die Atomwirtschaft ins Sankt-Nimmerleins-Datum hinein weiterzutragen.

    Heinlein: Ist denn für Ihre Partei, die SPD, die Kernenergie insgesamt Teufelszeug, oder auch eine Brückentechnologie, wie Brüderle und Röttgen jetzt argumentieren?

    Beck: Wir hatten ja akzeptiert, dass diese Übergangszeiten wie in dem Vertrag, von dem ich eben gesprochen habe, noch gelten, allerdings die alten Meiler so schnell wie möglich vom Netz gehen, um eine Gefährdung der Bevölkerung, so gut es immer nur geht, zu vermeiden, und je länger die Dinger laufen, umso mehr Müll machen sie. Ich habe selten ein so blödsinniges Argument gehört wie das, zu sagen, das Abreißen macht den Müll. Nein, wenn sie länger laufen, dann wird natürlich viel mehr an abgebrannten Brennstäben, an Material da sein, das endgelagert werden muss, und dann irgendwann steht ja auch der Abriss an. Also eine seltsame Argumentation. Man versucht wirklich, uns zu verdummen, im Übrigen auch mit dem Finanzbeitrag, der hinten und vorne nicht stimmt, wie er uns zunächst verkauft worden ist.

    Heinlein: Herr Beck, ist es auch blöd, wie Sie sagen, wenn künftig die Energieriesen zig Milliarden Euro für erneuerbare Energie ausgeben? So viel Geld wäre ja sonst von den Managern, von den Atommanagern wohl nicht freiwillig lockergemacht worden.

    Beck: Freiwillig, das macht mich schon hellhörig, denn in dem alten Vertrag war ja ebenfalls ein Investitionsvolumen mit drin. Da hatte man sich verpflichtet, auf Zukunftstechnologien hin zu investieren. Und jetzt werden wohl einen Löwenanteil die Steuerzahler wieder zurückbezahlen, denn da machen wir uns ja nichts vor: Das zahlen wir wieder über die Strompreise. Und wir werden noch mal, weil das mit anderen Steuern verrechenbar ist, als Bund, als Länder und Kommunen unseren Beitrag doppelt zu erbringen haben. Also das ist eine wirkliche Mogelpackung. Es gibt ja erste Berechnungen, dass statt den 2,5 Milliarden, die für die Brennelementesteuer genannt werden, maximal 1,5 Milliarden wirklich erbracht werden, der Rest wird verrechnet.

    Heinlein: Dennoch, Herr Beck, Norbert Röttgen, bekanntlich ja kein großer Freund der Atomenergie, ist ja durchaus zufrieden mit den 15 Milliarden – so rechnet er –, die künftig in die Erforschung und den Ausbau erneuerbarer Energien gesteckt werden. Das zahlt die Atomwirtschaft auch nicht aus der Portokasse.

    Beck: Das zahlt sie nicht aus der Portokasse, sie zahlt es aber aus den Strompreisen, die die Bürger bezahlen, und sie zahlen es aus steuerlichen Verrechnungen mit anderen Steuern, die sie zu zahlen hätten. Also im Endeffekt mindestens die Hälfte wird wohl vom Steuerzahler berappt werden und die andere Hälfte von den Stromkunden.

    Heinlein: Sie erwähnen immer wieder die Strompreise. Die Bundesregierung argumentiert ganz anders. Sie sagt, durch den Erhalt der AKW bleibt der Strompreis stabil, und im Gegenteil: Bei erneuerbaren Energien wird der Strom für den Kunden letztendlich teuerer.

    Beck: Wir haben ja schon erlebt, dass die Stromkonzerne gesagt haben, weil wir etwas zahlen müssen – das ist ja in den letzten Tagen durch die Presse gegangen –, wenn das umgesetzt wird, dann erhöhen wir die Strompreise. Also insoweit: Natürlich werden wir das bezahlen und insoweit darf man sich da gar nichts vormachen. Das ist ein wirklich fauler Kompromiss, der da abgeschlossen worden ist.

    Heinlein: Herr Beck, in vielen europäischen Ländern, wenn man über die Grenzen blickt, sieht man ja ganz klar: Dort setzt man auf den Ausbau der Atomenergie. Kann sich denn ein großes Industrieland wie Deutschland leisten, dauerhaft auf diese Energiequelle zu verzichten?

    Beck: Wir müssen, glaube ich, den Weg gehen, regenerative Energien einzusetzen. Dort sind riesige Technologievorsprünge in Deutschland da. Wir haben in den letzten Jahren ein deutliches Wachstum der Unternehmen erlebt, die auf Energiesparen und auf regenerative Energien und einen Mix daraus setzen. Da sind Arbeitsplätze, da ist Technologietransfer in die Praxis hinein, und wir haben in wenigen Bereichen eine so tiefe Wertschöpfung wie beim Energiesparen und beim Einsatz erneuerbarer Energien, von den Grundtechnologien über die Dämmstoffe bis hin zum Handwerksbetrieb, der das verbauen kann und dann auch in der Praxis umsetzt, und das ist natürlich auch ein Pfund, mit dem wir im Ausland wuchern können.

    Heinlein: Jetzt müssen wir zum Schluss, Herr Beck, noch über diese schwierigen verfassungsrechtlichen Fragen reden. Der Bundesrat soll ja – so will es die Bundesregierung – nicht zum Atomkonzept gefragt werden. Steht für Sie schon klipp und klar fest, Sie werden klagen in Karlsruhe?

    Beck: Absolut, wenn das so kommt, denn wir haben erste gutachterliche Stellungnahmen, die sagen, jede Veränderung in diesem Bereich bedarf der Zustimmung des Bundesrates, und der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Dr. Papier, hat am 27. Mai 2010 deutlich gemacht, dass diese Auftragsverwaltung geradezu eine Beteiligung im Bereich des Atomrechts in jedem Fall auslöst, es sei denn, es handele sich um nur unwesentliche Änderungen, und dass Laufzeiten von mindestens 8, wahrscheinlich bis zu 40 Jahren keine unwesentliche Änderung sind, ich glaube, das muss man nicht besonders begründen. Also da wird auch ein klarer Verstoß gegen die Verfassung von der Bundesregierung geplant und wir erwarten, dass sie das ordnungsgemäß nach der Verfassung macht, dass wir ordnungsgemäß ein so wichtiges Gesetz beraten können.

    Heinlein: Sie haben Gutachten, die Bundesregierung hat auf der anderen Seite andere Gutachten, die genau das Gegenteil behaupten. Es steht also wieder Meinung gegen Meinung. Muss letztendlich wieder Karlsruhe entscheiden, weil die Politik, die Parteien sich nicht einigen können?

    Beck: Da geht es nicht um die Parteien, denn es ist ja weit über die SPD hinaus so, dass auch andere Länder diesem Atomverlängerungsgesetz nicht zustimmen werden, und insoweit: Da geht es auch nicht um Parteienstreit im üblichen Sinne, sondern um eine elementare Zukunftsfrage in Deutschland. Und im Übrigen: so weit ich weiß, haben auch die Gutachten der Bundesregierung zumindest bei Laufzeitverlängerungen in diesen Größen unzweifelhaft deutlich werden lassen, dass der Bundesrat ordnungsgemäß zu beteiligen ist.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck. Herr Beck, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Beck: Gerne geschehen!

    Weitere Informationen zum Thema auf DRadio.de:
    Merkel lobt Energiekonzept als "Revolution"- Regierung zeigt sich zufrieden mit Atomkompromiss, Kritik von Opposition, Aktuell vom 9.6.2010