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"Er ist kein Befreiungstheologe"

Soziales Engagement sei ein gemeinsames Thema von Protestanten und Katholiken, betont Landesbischof Friedrich Weber, Ökumenebeauftragter der Evangelischen Kirche Deutschlands anlässlich des Weltjugendtags in Rio de Janeiro. Trotz seines Engagements sei der Papst jedoch kein Befreiungstheologe.

Friedrich Weber im Gespräch mit Friedbert Meurer | 24.07.2013
    Friedbert Meurer: In Rio de Janeiro in Brasilien ist heute Nacht der katholische Weltjugendtag eröffnet worden. Geschätzte zweieinhalb Millionen Jugendliche aus der ganzen Welt feiern und beten, unter anderem mit dem neuen Papst Franziskus. Seit ein paar Tagen ist er im Land. Mit der Fußballweltmeisterschaft und den Olympischen Spielen ist dies das dritte ganz große Ereignis in Rio de Janeiro, und die Begeisterung für den neuen Papst ist riesengroß.

    Papst Franziskus wird am Donnerstag vor Millionen Jugendlichen predigen. – Friedrich Weber ist evangelischer Landesbischof von Braunschweig, Beauftragter der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland, für die Ökumene, für die Zusammenarbeit unter anderem auch mit der Katholischen Kirche. Guten Morgen, Herr Weber.

    Friedrich Weber: Guten Morgen.

    Meurer: Wenn wir uns erinnern: Der evangelische Kirchentag liegt zwei Monate zurück, immerhin mit 100.000 Teilnehmern. Jetzt haben wir zwei Millionen, genau kann das so niemand sagen. Beeindruckt Sie das schon ein bisschen, wenn Sie das aus der Ferne beobachten?

    Weber: Ich war schon sehr beeindruckt bei dem letzten und vorletzten Weltjugendtag, der noch von anderen Päpsten besucht wurde, und auch von der Begeisterung, von den Reaktionen der jungen Menschen, auch von der gelebten Frömmigkeit, soweit man das über mediale Vermittlung nachempfinden kann, und das hat mich sehr gefreut, dass so was möglich ist und erlebbar ist. Mit einem Kirchentag kann man das nicht vergleichen, der ist national und auch regional.

    Meurer: Das bringt mich zu der Frage: Diese Internationalität der Katholischen Kirche, dass da Jugendliche aus über 100 Ländern zusammenkommen, hat da die Katholische Kirche die Nase vorn?

    Weber: Die Katholische Kirche hat diese Universalität, muss man ja wirklich sagen. Sie ist ja rund um den Globus präsent, und zwar erkennbar als die eine Kirche, die Katholische Kirche, erkennbar an ihrer liturgischen Form, an ihren Priestern, wie sie wirken, auch teilweise früher an der Sprache, eben am Latein. Das ist schon eine große Stärke und hat auch etwas mit dem zu tun, was man unter Kirche versteht: Sie ist universal.

    Da haben wir sicher mit den evangelischen Kirchen, die auch auf der ganzen Welt präsent sind, aber doch in sehr unterschiedlicher Ausgestaltung, da haben wir sicher einen Nachteil, dass wir sehr regional, landeskirchlich eben auf Deutschland bezogen, manchmal nur auf eine Region in Deutschland bezogen, organisiert sind und uns auch so verstehen. Da tut uns das, was wir in der Ökumene auch erleben, gut, um uns aus dieser Enge auch herauszuführen, in der wir manchmal sind.

    Meurer: In Lateinamerika hatte sich der Vorgänger von Papst Franziskus, Papst Benedikt XVI., einen Namen gemacht als radikaler Gegner der Befreiungstheologie. Das wurde in Lateinamerika natürlich auch ziemlich kritisch gesehen. Kommt Papst Franziskus in Lateinamerika jetzt besser an?

    Weber: Na ja, im Nachgang zu seiner Wahl hat es ja zwei, drei Tage Diskussionen gegeben, ob es da eventuell auch Probleme gegeben hat von ihm als Ortsbischof im Verhältnis auch zu anderen theologischen Gruppierungen. Das ist dann ausgeräumt worden, Gott sei Dank.

    Meurer: Aber Sie sehen ihn schon weit weg von der Befreiungstheologie?

    Weber: Er ist kein Befreiungstheologe. Er hat auch nie ein Hehl daraus gemacht. Die Befreiungstheologie verbindet uns, auch die evangelische Theologie, bestimmte Strömungen mit katholischer Theologie, Leonardo Boff und andere Leute sind von großer Bedeutung für die soziale Entwicklung, für die politische Entwicklung, und da wiederum trifft er die Befreiungstheologie.

    Meurer: Papst Franziskus setzt ja erkennbar andere Akzente als sein Vorgänger Papst Benedikt. Er will sich für die Armen und Schwachen engagieren, nahe bei Menschen sein. Das hat er auch jetzt wieder gezeigt, dass er sich in das kleinste Auto der Wagenkolonne gesetzt hat und da eine gewaltige Begeisterung ausgelöst hat. Dieses soziale Engagement des Papstes, sein Besuch auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa, dass er die Füße von Sträflingen gewaschen hat, bringt das soziale Engagement Katholiken und Protestanten in der Ökumene zusammen oder näher?

    Weber: Das ist ein gemeinsames Thema. Wir haben ja auch hier in Deutschland eine ganze Menge Ebenen, wo wir gerade im Bereich der Caritas und der Diakonie, aber auch des deutlichen Eintretens für Menschen, die in dieser Gesellschaft nicht klarkommen, die ausgegrenzt werden, wo wir verbunden sind, wo wir ökumenisch gemeinsam agieren.

    Ich erinnere mich an ganz präsente Situationen auch in Niedersachsen, als es um Flüchtlinge ging, die abgeschoben werden sollten, Asylbewerber. Da war Ökumene und ist Ökumene, das gemeinsame Handeln auch von Evangelischen und Katholischen in einer Linie, sodass wir in vielen Ebenen ja nach wie vor verbunden sind. Aber hier wird es dann ganz praktisch.

    Meurer: Wenn wir uns die Situation in Lateinamerika anschauen – erstaunlicherweise sind inzwischen, die letzten Zahlen lauten, 14 Prozent aller Brasilianer evangelisch. Die meisten von uns hätten gedacht, alle Brasilianer sind katholisch. Freut Sie das?

    Weber: Ich bin vor einigen Jahren eine Woche in Porto Alegre gewesen, da war die Vollversammlung des Ökumenischen Rats, und hatte Gelegenheit, sowohl ein Favela zu sehen, ein Viertel, in dem Menschen in Armut leben, nicht nur zu sehen, sondern auch mit Menschen zu sprechen, die dort ihren Glauben in die Tat umsetzen und anderen beistehen, um Projekte zu besuchen, und da habe ich auch diese, sie nennen sich, Assembléias de Deus, also Gottesversammlungen und diese neuen Gruppierungen gesehen.

    Die versammeln sich in jeder Ecke. In jeder zehnten Garage bildet sich eine neue Freikirche oder sie hat dort ihren Ort. Das ist wiederum mit dem, was wir als Evangelische Kirche verstehen, noch nicht so ganz vergleichbar. Es ist auch nicht unbedingt mit dem vergleichbar, was wir in Deutschland als Freikirche verstehen. Es sind Bewegungen, die teilweise um Einzelpersonen sich bilden, die begeistern können, die aber auch Menschen, die in tiefer Not sind, teilweise mit irrwitzigen Versprechungen …

    Meurer: Zum Beispiel welche?

    Weber: Na ja, Heilung, Lösung von Drogensucht, Überwindung von Armut oder zerstörte Familien finden zusammen. Und das, was dann dort umgesetzt wird, auch teilweise in einer sehr rigiden Form, dass das Leben sich ändern muss, führt – und das ist eigentlich das Spannende – dazu, dass sich das Leben der Leute am Ende tatsächlich ändert und sie, indem sie sich an die harten Regeln dieser kleinen Kirchenführer halten, tatsächlich von ihrer Alkoholsucht befreit werden, frei werden und zu einer neuen, auch sozialen Existenz finden.

    Meurer: Beunruhigt es Sie, dass da vielfach konservative Evangelikale aus den USA dahinter stecken, die sozusagen in Lateinamerika missionieren?

    Weber: Ich will mal so sagen: Zwei Begriffe haben Sie gebraucht: einmal den des Konservativen und den des Evangelikalen. Wir haben beides in Deutschland, aber auch beides in unseren Kirchen, und wenn ein evangelikaler Mensch sich dadurch auszeichnet, dass er dem Evangelium besonders sich verbunden und verpflichtet fühlt und dies mit einer wertkonservativen Haltung verbindet, kann man ja nichts dagegen haben.

    Meurer: Es sei denn, er zwingt uns das Bestreiten von Darwin auf?

    Weber: So ist es. Wenn er uns in den Kreationismus einreiht, in all diese Theorien oder in faschistische Weltbilder und anderes mehr, dann haben wir ein Problem. Und wenn es das ist, dann müssen wir sehr besorgt sein, weil wir dann an vielen kleinen Orten in einer Region, die eigentlich demokratische Lebensformen entwickeln müsste, die neu entdecken müsste, was heißt Freiheit, auch Solidarität, frei von Angst und Zwang, dass wir genau das Gegenteil entwickeln, das wiederum muss natürlich jetzt betrachtet werden auf der Situation, in der das geschieht.

    Und wenn ich an die Proteste denke, die vor noch gar nicht so langer Zeit durch Brasilien gezogen sind, und die Demonstrationen, die nun nichts mit dem Papstbesuch zu tun haben, sondern mit der Armutsbewegung, dann kann einem um das ganze Land mehr als bange sein.

    Meurer: Der evangelische Landesbischof Friedrich Weber bei uns im Deutschlandfunk heute Morgen zum Weltjugendtag in Brasilien, zum Auftritt von Papst Franziskus dort und zur Ökumene, zur Zusammenarbeit zwischen Evangelischer Kirche und Katholischer Kirche. Danke schön.

    Weber: Ja, danke.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.