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"Er kann der NATO keine Richtung aufdrücken"

Anders Fogh Rasmussen, Ex-Ministerpräsident Dänemarks, beginnt heute seine Arbeit als NATO-Generalsekretär. "Er ist da eher ein Moderator," sagt der Politikwissenschaftler Johannes Varwick über Rasmussens geplante Neuausrichtung des Bündnisses.

Johannes Varwick im Gespräch mit Bettina Klein | 03.08.2009
    Bettina Klein: 'Es ist besorgniserregend, dass es Menschen und Gesellschaften gibt, die meinen, die richtige Antwort auf eine Zeichnung, die sie nicht billigen, ist Gewalt, Zerstörung, Brandstiftung. Doch es sind sie und nicht wir, die ein Problem haben. Wir leben in einer freien Gesellschaft, in der die Medien und drucken und bringen können, was sie wollen, egal, ob es um einen Propheten oder einen Ministerpräsidenten geht.'

    Dies war ein Zitat von Anders Fogh Rasmussen, vor drei Jahren verteidigte er mit diesen Worten als dänischer Ministerpräsident die Meinungsfreiheit in seinem Land, und es war genau diese klare Haltung, die ihm schließlich Schwierigkeiten bereitet hatte, als es darum ging, ob er NATO-Generalsekretär werden darf. Die Türkei hatte erhebliche Probleme damit und Rasmussen unter Verdacht, antiislamische Ressentiments zu bedienen. US-Präsident Obama selbst setzte sich dann für Rasmussen ein. Dieser Mann wird also heute seine Arbeit als NATO-Generalsekretär aufnehmen und über die neue Ära bei der NATO möchte ich jetzt sprechen mit Johannes Varwick, Politikwissenschaftler und NATO-Experte an der Uni Kiel. Er ist uns aus Berlin zugeschaltet. Guten Morgen, Herr Varwick!

    Johannes Varwick: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Wenn wir auf das schauen, was ich gerade skizziert habe – bleibt davon etwas übrig oder halten Sie das für vergeben und vergessen, dass die Türkei sich gegen Rasmussen seinerzeit ausgesprochen hat?

    Varwick: Das ist sicherlich eine Hypothek, mit dem der neue Generalsekretär sein Amt beginnt. Ich denke aber, dass er weiß, dass er diese Hypothek jetzt in eine Chance umdrehen muss und dazu gehört auch, dass er deutlich sagt, dass er an einem Dialog mit der islamischen Welt interessiert ist, wichtige Einsätze wie Afghanistan gehen nicht ohne Konsens mit dem politischen Islam, nicht dem radikalen Islam, aber dem politischen Islam. Das weiß Rasmussen und ich denke, dass er da jetzt viel Energie reinlegen wird, diese Hypothek abzubauen.

    Klein: Heißt "Hypothek abbauen" auch, dass er von seiner klaren Haltung, von einer Verteidigung der westlichen Werte, wie wir sie damals gehört haben, abgehen muss?

    Varwick: Nein, das denke ich überhaupt nicht. Dieser Gegensatz ist ja ein Scheingegensatz. Wenn man sich noch mal genau anguckt, was damals passiert ist bei dem Karikaturenstreit – das war nicht die Haltung von Rasmussen, sondern es war eher Management-Fehler, dass er das nicht begleitet hat mit wirklich einer guten diplomatischen Initiative, und da wird er noch dazulernen müssen und ich denke, er hat auch dazugelernt.

    Klein: Inwiefern kann er diese Hypothek, wenn es denn noch eine ist, abbauen?

    Varwick: Na, er muss jetzt deutlich signalisieren, dass er die Türkei mitnimmt, die Türkei hat ja letztlich auch dem zugestimmt, insofern ist das formal jetzt Konsens, dass er Generalsekretär ist, aber es wird eine seiner großen Aufgaben sein, dass er eben deutlich macht, hier geht es nicht um einen Konflikt mit dem Islam und das sind wirklich Debatten, die falsch gelaufen sind, sondern wir müssen hier einen neuen Konsens suchen in dieser Frage und die Türkei einbinden und ich denke, das wird auch gelingen.

    Klein: Heißt das auch, dass er sich möglicherweise einsetzen wird für einen baldigen EU-Beitritt der Türkei oder wird er sich da raushalten?

    Varwick: Da wird er sich sicherlich raushalten. Er ist ganz gewiss ein politisches Schwergewicht an der Spitze des Bündnisses, deswegen haben die Staats- und Regierungschefs ihn auch ausgewählt. Er soll der NATO gewissermaßen neues Leben einhauchen, aber die Frage der EU-Mitgliedschaft der Türkei hat nun wirklich nichts damit zu tun und ich denke, da wird er sich klugerweise auch raushalten.

    Klein: Was bedeutet die Tatsache, dass er neuer NATO-Generalsekretär wird, sein wird, angesichts der Tatsache, dass sich die NATO auch in Staaten wie Afghanistan engagiert, nicht zum Wohlgefallen aller dort? Kann es sein, dass es die Sache eben nicht einfacher macht, oder doch?

    Varwick: Wie gesagt, das ist eine Hypothek, aber ich würde meinen, er wendet diese Hypothek in eine Chance, jedenfalls muss er das, wenn er Erfolg haben will. Das sind aber wirklich nicht die einzigen Fragen, mit denen er sich beschäftigen wird. Die NATO ist in einer schwierigen Phase und die NATO braucht eine Politisierung, sie braucht eine bessere Vermittlung in der Öffentlichkeit, sie braucht eine bessere Legitimität ihrer Einsätze und genau deshalb hat man ein politisches Schwergewicht jetzt an die Spitze gesetzt und da wird er viel machen müssen.

    Klein: Er hat ja bereits versprochen, dass er die NATO so transparent machen wolle, wie sie noch nie gewesen sei. Was erwarten Sie in dieser Hinsicht?

    Varwick: Er weiß, dass man, wenn man Legitimität haben will, dann braucht man Rückhalt in der Bevölkerung. Er hat selbst davon gesprochen, dass am NATO-Rat nicht nur 28 Staaten sitzen, sondern gewissermaßen 28 plus 1, und mit plus 1 meinte er die nationalen Öffentlichkeiten. Das heißt: Wenn man das Thema NATO in den Bevölkerungen sozusagen konsensfähig halten will, dann muss man Zustimmung zu der Grundausrichtung der NATO haben. Und das kann man heute nur in modernen Demokratien, wenn man eine kluge Öffentlichkeitsarbeit macht, wenn man eine offene Debatte hat, und ich glaube, das könnte ein Markenzeichen seiner Amtszeit werden, dass er das erkannt hat. Das heißt nicht, dass damit die wichtigen Streitfragen schon gelöst sind, aber das ist Voraussetzung für die Relevanz der NATO, dass sie in den Bevölkerungen vermittelbar ist.

    Klein: Was würde für Sie kluge Öffentlichkeitsarbeit heißen im Unterschied zu früheren Jahren?

    Varwick: Das soll keine Kritik sein an früheren Jahren, aber es ist doch so, dass in vielen Staaten der NATO, Deutschland an erster Stelle, die NATO sozusagen nicht mehr richtig wahrgenommen wird hinsichtlich ihrer Grundfunktionen, hinsichtlich ihrer Relevanz, und auch die Bedeutung der NATO eigentlich nicht mehr richtig eingeschätzt wird. Die NATO ist aus meiner Sicht ein strategisch wichtiges Bündnis für die sicherheitspolitischen Interessen ihrer Mitglieder, und das muss deutlicher werden und ich denke, dass der NATO-Generalsekretär da eine wichtige Rolle spielen kann. Er kann das nicht alleine, die NATO lebt vom Konsens der Mitgliedsstaaten, aber eine sichtbare politische Führung als Generalsekretär kann da schon was Wichtiges zu beitragen.

    Klein: Bedeutung richtig einschätzen, sagen Sie, da haben wir es natürlich mit sehr unterschiedlichen Sichtweisen innerhalb der NATO zu tun auf die eigene Rolle. Die Ansprüche reichen ja von einem Verteidigungsbündnis im klassischen Sinne bis hin zu einer Art Weltpolizei. Wie kann er diesen verschiedenen Vorstellungen denn gerecht werden?

    Varwick: Er kann der NATO keine Richtung aufdrücken, aber er muss jetzt diesen Prozess moderieren. Die NATO hat sich ja entschieden, eine neue Strategie sich zu geben und da sind jetzt die Vorbereitungen angelaufen. Es gibt eine Expertengruppe aus hochrangigen Persönlichkeiten, unter anderem die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright, die ehemalige amerikanische Außenministerin arbeitet da mit, und dieser Prozess der Strategieentwicklung, den muss er eben klug moderieren und die unterschiedlichen Interessen der Mitgliedsstaaten, die wirklich erheblich sind und die Risse im Bündnis sind auch erheblich, weil es eben kaum noch eine gemeinsame Sicht auf die sicherheitspolitischen Probleme gibt oder diese Sicht droht verloren zu gehen. Da muss der Generalsekretär moderieren, mehr kann er letztlich nicht machen, weil die NATO lebt von souveränen Nationalstaaten und er ist da eher ein Moderator, aber wenn man sich entscheiden müsste in der Rolle, wie er sich jetzt positioniert, er als Sekretär, als unpolitischer Sekretär oder als starker politischer General, dann würde ich meinen, wissen die Staats- und Regierungschefs, dass man jetzt eher einen politischen General braucht und das ist eben Rasmussen. Er war Staats- und Regierungschef, er ist der erste Staats ... ehemalige Regierungschef eines ... als NATO-Generalsekretär. Alleine deshalb schon, denke ich, wird er eine starke Rolle haben und da wird schon einiges an Arbeit auf ihn zukommen.

    Klein: Dieses strategische Konzept, das Sie ansprachen, wird ja wohl erst nächstes oder übernächstes Jahr verabschiedet werden. Was, erwarten Sie, wird der Kern dessen sein?

    Varwick: Aus meiner Sicht muss der Kern sein, dass man den Kern des NATO-Vertrages, den berühmten Artikel fünf, der eben sagt, dass ein Angriff auf einen ein Angriff auf alle ist, dass man die Substanz dieses Artikels neu formuliert, dass man also versucht, die Bedrohung, die heute für die Sicherheitspolitik relevant sind, in das Aufgabenspektrum der Allianz abzubilden und in dieser Debatte werden sich viele Fragen bündeln. Sie haben schon erwähnt, dass es da unterschiedliche Einschätzungen gibt, ob man sich eher als regionales Bündnis versteht oder als globalen Akteur, da gibt es sehr unterschiedliche Sichtweisen in den Mitgliedsstaaten. Es gibt auch sehr unterschiedliche Sichtweisen, welche Themen denn sich in diesem Artikel fünf die Frage zum Beispiel, ob Angriffe auf Energieinfrastruktur da eine Rolle spielen sollen, die Frage etwa, ob Angriffe auf die Tele ... die Informationstechnologie eine Rolle spielen, also Angriffe heute nicht mehr so einfach sind, dass ein Staat einen anderen überfällt, sondern eben subtiler ist und die NATO, wenn sie relevant bleiben will, muss eben alle möglichen sicherheitspolitischen Bedrohungen in ihr Aufgabenspektrum reinholen. Und da gibt es, wie gesagt, noch eine lange Liste an unterschiedlichen Sichtweisen, und das wird er zusammenführen müssen, wenn er Erfolg haben will.

    Klein: Der neue NATO-Generalsekretär Rasmussen nimmt heute seine Arbeit auf. Das war ein Gespräch darüber mit dem Politikwissenschaftler Johannes Varwick. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Varwick!

    Varwick: Sehr gerne!