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"Er kann die Emotionen in den Gesichtern nicht lesen"

Die Mutter von Finn bemerkte schon im Kleinkindalter, dass ihr Sohn anders ist. Inzwischen steht fest: Finn leidet am Asperger-Syndrom. Eine Krankheit, die psychische Störungen im Autismusspektrum aufweist und Schwierigkeiten im Alltag mit sich bringt.

Die Mutter eines Autisten im Gespräch mit Friedbert Meurer | 02.04.2012
    Friedbert Meurer: Wenn man jemanden als "Autisten" bezeichnet, dann ist das eine ziemlich rüde Beleidigung. Im Alltag fällt das Wort schnell und unbedacht, wenn man jemanden als unsozial und rücksichtslos abstempeln will. Heute ist Weltautismustag. Dieser Tag will auf die Menschen aufmerksam machen und für sie um Unterstützung werben, die wirklich unter einer Autismusstörung leiden. Wenn man sich den einzelnen Fall näher anschaut, versteht man das erst gar nicht, was da vorgeht. So erging es auch den Eltern des fünf Jahre alten Finn hier in Köln. Die Mutter von Finn habe ich gefragt, wann sie zum ersten Mal etwas Auffälliges an ihrem Sohn bemerkt hat.

    Katrin S.: Ja, das hat schon im Kleinkindalter angefangen, weil er einfach keinen Kontakt zu anderen Kindern haben wollte. Also er hat den Kontakt ganz klar gemieden, er wollte nicht angefasst werden, nicht angeschaut werden. Das war als Kleinkind und Baby erst mal unauffällig, später wurde es immer merkwürdiger.

    Meurer: Wie muss man sich das vorstellen, zum Beispiel bei einem Kindergeburtstag?

    S.: Schwierige Frage, weil wir sind ja nie auf Kindergeburtstagen eingeladen. Aber es gibt andere Beispiele. Zum Beispiel auf einem Spielplatz ist er so lange nicht gerutscht, bis die Rutsche frei war. Und wenn ein Kind mit einem kleinen Finger die Rutsche berührt hat, ist er nicht auf die Rutsche gegangen, oder er ist rückwärts die Rutsche runtergegangen. Ich war wütend, habe gesagt, du willst doch rutschen, jetzt geh auf die Rutsche drauf, alle Kinder rutschen auch, nur du nicht - ich habe das erst gar nicht verstanden.

    Meurer: Und jetzt wird er zum Kindergeburtstag nicht eingeladen, weil die anderen Kinder das nicht mögen, oder weil der Finn das nicht will?

    S.: Er kommt halt nicht in Kontakt mit Kindern. Er möchte mittlerweile den Kontakt zu Kindern, das hat sich verändert. Er sucht den Kontakt aber über Schubsen und über Hauen, und natürlich mögen das die anderen Kinder nicht und so lädt ihn auch kein Kind ein.

    Meurer: Finn geht in einen ganz normalen Kindergarten, aber da wäre er fast rausgeflogen. Was ist da passiert?

    S.: Ja er sprengt einfach die Gruppe. Es sind 25 Kinder, drei Erzieherinnen und sein Schubsen wird auch irgendwann gefährlich, die Kinder fallen blöd und die Erzieherinnen haben Angst und haben uns ganz klar gesagt, er kann nur noch bis Sommer bleiben.

    Meurer: Wenn Sie mit ihm reden und ihm sagen, schubs doch nicht, mach das nicht, du tust den anderen Kindern weh, wie reagiert er dann?

    S.: Er versteht das nicht. Das ist ja das Störungsbild letztendlich. Er kann die Emotionen in den Gesichtern nicht lesen. Das heißt, wenn ein Kind weint, ist das bei ihm nicht automatisch wie bei einem Baby, das recht früh merkt, ach, das tut mir leid, ich habe ein Empathiegefühl; das hat er nicht. Er muss kognitiv lernen: Der Mund geht nach unten, die Augen gehen nach unten, eine Träne rollt, aha, das Kind ist traurig. Und so ist es mit allen anderen Emotionen auch.

    Meurer: So sieht die Therapie also aus: Ihm wird erklärt, wie er das Gesicht seines Gegenübers interpretieren soll?

    S.: Genau. Wir sind in einer Frühförderstelle angebunden, und dort laufen die Therapien für ihn als auch für uns. Das heißt, wir Eltern bekommen dort auch therapeutische Unterstützung, und das läuft sehr gut. Durch den Kindergartenwechsel, der im Sommer ansteht, in einen integrativen Kindergarten wird das aber automatisch gekappt. Das heißt, die Stadt sagt, das zahlen wir nicht beides, und mein Sohn muss jetzt einfach alle Therapien, die er hat, hinter sich lassen, den Kindergarten, den er hat, hinter sich lassen. Wir Eltern müssen unsere Therapien hinter uns lassen und haben im Grunde jetzt einen neuen Kindergarten und können mit allem von vorne anfangen.

    Meurer: Die Mutter des fünfjährigen Finn, er leidet unter dem sogenannten Asperger-Syndrom.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.