Donnerstag, 28. März 2024

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"Er kann reden wie ein Philosoph, aber er kann auch fluchen"

Der jüngst zum Witwer gewordene Helmut Schmidt wird heute 92. Ihm haftet der Ruf des großen, weisen Politikers an. Theo Sommer erklärt das unter anderem mit Schmidts Redekunst - nicht ohne auf die letztlich gescheiterte Politik des Bundeskanzlers a. D. hinzuweisen.

Theo Sommer im Gespräch mit Jasper Barenberg | 23.12.2010
    O-Ton Helmut Schmidt: Die heutige Europäische Union besteht aus 27 Staaten. Das sind ein bisschen zu viele. Das kann man nicht rückgängig machen. – Die heutige Euro-Währung umfasst 16 oder 17 Staaten. Das sind ein bisschen zu viele. Kann man auch nicht rückgängig machen. – Was man aber dringend braucht, ist eine gemeinsame ökonomische Politik dieser 16 oder 17 Staaten, und da fehlt es an Entschlusskraft, da fehlt es an Führung.

    Jasper Barenberg: Helmut Schmidt vergangene Woche in der Sendung der Kollegin Sandra Maischberger im Ersten. So kennen wir den Altkanzler, klar im Urteil, klar und genau in der Wahl seiner Worte, abgeklärt geradezu. Eine Mehrheit im Land achtet und schätzt Helmut Schmidt heute als überparteiliche moralische Instanz, ein Phänomen, über das wir in den nächsten Minuten mit Theo Sommer sprechen wollen, der für Helmut Schmidt gearbeitet hat, der ihn vor allem aber bei der ZEIT erlebt hat, seit aus dem SPD-Politiker Helmut Schmidt der Autor und Publizist Helmut Schmidt geworden ist. Einen schönen guten Morgen, Herr Sommer.

    Theo Sommer: Guten Morgen!

    Barenberg: Herr Sommer, warum hat das Wort von Helmut Schmidt in der Öffentlichkeit noch immer ein so großes Gewicht?

    Sommer: Noch immer weiß ich gar nicht. Das ist gewachsen erst in den letzten zehn Jahren, sage ich mal, und wahrscheinlich ist es gewachsen, weil die Menschen vermissen, dass einer genau so freikundig urteilt.

    Barenberg: Arrogant, kalt und nüchtern waren ja die Charaktereigenschaften, die man Helmut Schmidt in seiner Zeit als Kanzler vor allem angedient hat und ihn so bezeichnet hat, auch kritisiert hat dafür. Manche haben ihn gehasst. Warum werden dieselben Eigenschaften denn jetzt gerade gelobt in dieser Zeit?

    Sommer: Weil vielleicht bei den Nachfolgern davon doch vielleicht zu wenig zu finden ist.

    Barenberg: Erfüllt Helmut Schmidt so etwas wie ein Bedürfnis nach einer moralischen Autorität, das die meisten aktiven Politiker nicht erfüllen können oder wollen?

    Sommer: Gut, er tut es, weil er ja auch nun sagt, was er denkt. Er nimmt keine Rücksicht mehr, braucht auch keine Rücksicht mehr zu nehmen.

    Barenberg: Und das unterscheidet ihn vor allem von anderen Politikern?

    Sommer: In der Tat, ja.

    Barenberg: Spiegelt denn sein Ruf auch den Überdruss an der herkömmlichen Politik?

    Sommer: Na gut, er ist ja selber ein herkömmlicher Politiker, aber er hat immer gesagt, ich denke, ich urteile ohne Rücksicht auf Meinungsumfragen, ich denke und sage meine Meinung so, wie ich sie für richtig halte.

    Barenberg: Also die Geradlinigkeit vor allem ist es?

    Sommer: Es ist seine Geradlinigkeit, seine Aufrichtigkeit. Außerdem: Er kann sich ausdrücken, und zwar kann er sich auf jeder Ebene ausdrücken. Er kann reden wie ein Philosoph, aber er kann auch fluchen, wenn es sein muss.

    Barenberg: Nun ist es ja so, dass Staatsverschuldung, Massenarbeitslosigkeit, dass Probleme, sagen wir, mit den Renten, oder die Ungleichheiten im Bildungswesen, dass all das in der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt begonnen hat, dass viele Probleme da auch ihren Ausgang genommen haben, und diese Probleme beschäftigen uns bis heute. Aber trotzdem hat man den Eindruck, dass ihm das gar nicht angelastet wird heute. Warum ist das so?

    Sommer: Na gut, er hat die Probleme ja nicht geschaffen, sondern die sind auf ihn zugekommen, wie sie auch heute auf die heutige Führungsgarnitur zukommen. Aber er hat sie angepackt, er hat analysiert, er hat gesagt, das ist das Problem, er hat dann gesagt, was machen wir, und er hat es durchgesetzt. Am Ende ist er ja gescheitert, wenn wir ehrlich sind. In seiner eigenen Partei ist ja seine Politik nicht angekommen.

    Barenberg: Und eben deshalb ist so erstaunlich, dass ihm dieser Ruf heute anhaftet.

    Sommer: Gut, das kommt natürlich daher, dass er einfach seine Meinung sagt, dass er keine Angst hat, Menschen zu verschrecken, dass er einfach weiß, was er will, und dass er das ausdrücken kann. Er artikuliert sich ja auch fabelhaft.

    Barenberg: Nun gibt es – ich glaube, da tritt man Helmut Schmidt gewiss nicht zu nahe, wenn man sagt, dass es bedeutendere Intellektuelle in Deutschland gibt, zum Beispiel Jürgen Habermas oder Hans Magnus Enzensberger. Personen wie sie haben viele Essays geschrieben, wichtige Einwürfe gemacht in die aktuellen politischen Debatten, und doch reicht ihre öffentliche Rolle in keiner Weise heran an die beispielsweise von Helmut Schmidt. Warum ist das eigentlich so in Deutschland?

    Sommer: Na gut, das kommt wohl daher, dass er einfach sehr vielseitig begabt ist, um es mal so zu sagen. Wir haben keinen Politiker gehabt, keinen Kanzler, der in so vielen Sesseln sattelfest war, der Wirtschaftspolitiker, der Außenpolitiker, der Sicherheitspolitiker, der Finanzpolitiker. Da hat er einfach - - Habermas wunderbar, Enzensberger wunderbar, aber das waren Leute oder sind Leute, die eigentlich nur in einem Sattel sich wirklich sattelfest fühlten. Er hat da doch wie kein anderer Politiker in seiner Zeit und auch heute in vieler Hinsicht was sagen können und was Begründetes, Resoniertes, Vernünftiges sagen können.

    Barenberg: Theo Sommer, Editor-at-large, also Altherausgeber gleichsam der Wochenzeitung DIE ZEIT. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Sommer.

    Sommer: Danke und schönen Tag. Tschüß!

    Barenberg: Ihnen auch.
    Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) mit seiner Ehefrau Hannelore "Loki", fotografiert vor ihrem Ferienhaus am Brahmsee
    Helmut Schmidt (SPD) mit seiner verstorbenen Ehefrau Hannelore "Loki" (AP)
    Bundeskanzler Helmut Schmidt und Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski am 30. September 1977 im Bonner Kanzleramt
    Bundeskanzler Helmut Schmidt und Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski am 30. September 1977 im Bonner Kanzleramt (AP)