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"Er konnte nicht sagen, ich warte jetzt ab"

"Es wird natürlich auch gezielt Desinformationspolitik betrieben," sagt Andreas Schockenhoff über die Taktik der Taliban nach dem NATO-Luftangriff in Afghanistan. Franz Josef Jung (CDU) habe nur das sagen können, was an Information vorlag.

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Stefan Heinlein | 08.09.2009
    Stefan Heinlein: In Berlin begrüße ich jetzt den stellvertretenden Unions-Fraktionsvorsitzenden Andreas Schockenhoff. Guten Morgen!

    Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Fühlen Sie sich von Minister Jung ausreichend informiert über den Verlauf dieser Luftangriffe?

    Schockenhoff: Wir sollten jetzt das Ergebnis der Untersuchung des Vorfalls abwarten. Keiner weiß heute abschließend, was in dieser Nacht vorgefallen ist. Und jetzt nur unter dem Gesichtspunkt "Wahlkampf" den Verteidigungsminister anzugreifen, bringt in der Sache nichts. Es geht darum, ruhig und sachlich die Lage aufzuklären, und dann müssen wir allerdings auch die notwendigen Rückschlüsse ziehen.

    Heinlein: Ruhig und sachlich aufklären, so Ihre Forderung, Herr Schockenhoff. War es also ein Fehler, dass Franz-Josef Jung zu einem frühen Zeitpunkt zivile Opfer ausschloss?

    Schockenhoff: Er hat sich auf Berichte des Gouverneurs von Kundus berufen. Es gibt heute widersprüchliche und unterschiedliche Angaben. Es wird natürlich auch gezielt Desinformationspolitik betrieben, das gehört dazu. Deswegen müssen wir uns ein Bild machen und müssen sehr sorgfältig prüfen und auch vor Ort wirklich sicherstellen, wie in dieser Nacht die Vorfälle abgelaufen sind.

    Heinlein: Wusste das Minister Jung nicht, dass es diese schwierige Informationslage gab?

    Schockenhoff: Natürlich wusste er das, aber er konnte auch nicht nichts sagen. Er konnte nicht sagen, ich warte jetzt ab, sondern er hat dargelegt, was ihm an Informationen vorliegt. Dass es nicht die einzige Darstellung war, das war bekannt, aber er hat auch nie ausgeschlossen, dass es möglicherweise auch andere Darstellungen gibt.

    Heinlein: Warum ist es so schwierig, jetzt, Tage danach, den Verlauf dieses Luftangriffes aufzuklären?

    Schockenhoff: Weil natürlich die Taliban genau an dieser Taktik interessiert sind, Verunsicherung zu streuen. Wir sind nicht in Europa, wo wir Medien haben, wo wir Bilder haben, wo wir praktisch in Echtzeit auch eine solche schwierige Mission verfolgen können, sondern wir müssen jetzt wirklich nach und nach im Nachhinein das Puzzle zusammensetzen.

    Heinlein: Können Sie denn zum jetzigen Zeitpunkt definitiv ausschließen, dass der deutsche Oberst übereilt die Luftangriffe angefordert hat? Hat er die Nerven verloren?

    Schockenhoff: Sie haben jetzt immerhin eine andere Vokabel genannt als Ihr Kollege vorher im Kommentar. Der hat ja gesagt, der deutsche Oberst habe den Luftangriff befohlen. Es ist nicht ein Einzelner, der das befehlen kann, sondern es gibt eine Kette innerhalb der NATO von Entscheidungen, die dann auch abwägen, und es ist nie ein einzelner, der dann in einer Stresssituation eine einsame Entscheidung trifft. Angesichts der Bedrohung, der unsere Soldaten dort 24 Stunden am Tag ausgesetzt sind, sollte man den taktischen Entscheidungen, die nicht nur ein Einzelner trifft, auch etwas mehr Respekt und etwas weniger Selbstgewissheit entgegensetzen. Es ist in außergewöhnlich schwierigen Umständen eine Arbeit, die unheimlich schwierig ist und wo viele verschiedene Entscheidungsstränge innerhalb der NATO zusammenlaufen müssen, bis es zu einem solchen Einsatz kommt.

    Heinlein: Warum funktioniert offenbar nicht die Befehlskette zwischen Bundeswehr und der US-Luftwaffe?

    Schockenhoff: Die Befehlskette funktioniert. Es kann überall natürlich auch zu Fehlern kommen. Aber wir müssen auch hier die Klärung der Fakten abwarten. Dass ein Tanklastzug, dass zwei Tanklastzüge entführt werden, übrigens die Besatzungen sofort brutal ermordet werden, in unmittelbarer Nähe eines Feldlagers, ist eine sehr ernste Bedrohung und ich glaube nicht, dass es eine leichtfertige Reaktion auf eine solche Bedrohung gegeben hat.

    Heinlein: Herr Schockenhoff, in seinen neuen Richtlinien zum Afghanistaneinsatz hat der ISAF-Kommandeur erklärt, man wolle Partner der Afghanen werden. Es geht um Vertrauen, um Zusammenarbeit. Wie sehr wird nun dieses Ziel durch den Luftschlag infrage gestellt?

    Schockenhoff: Grundsätzlich gilt, dass jeder Tod von Zivilisten schlimm ist und wenn immer möglich vermieden werden muss. Das war schon immer so und bleibt das erklärte Ziel der ISAF-Taktik. Aber wir müssen auch wissen, dass die NATO dort gegen einen Gegner kämpft, der zivile Opfer nicht nur in Kauf nimmt, sondern der zivile Opfer absichtlich herbeiführen will aus taktischen Gründen, auch um die öffentliche Meinung in Afghanistan, aber vor allem auch in den Ländern der NATO-Partner zu manipulieren.

    Heinlein: Der Tod von Zivilisten ist schlimm, sagen Sie, Herr Schockenhoff. Wird sich denn Angela Merkel, die Kanzlerin, heute in ihrer Regierungserklärung bei den möglichen zivilen Opfern entschuldigen?

    Schockenhoff: Ich kenne ihre Regierungserklärung nicht, aber wenn es nachgewiesen ist, dass es zivile Opfer gibt, ist es natürlich erforderlich, dass wir das nicht nur bedauern, dass wir uns entschuldigen, dass wir uns um die Hinterbliebenen kümmern. Wir sind Partner der Afghanen, wir sind nicht Gegner der Afghanen und deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die afghanische Regierung möglichst schnell selbst für die Sicherheit der Menschen sorgen kann. Dann können wir Afghanistan verlassen. Wir brauchen auch eine neue Strategie, wie wir die eigenen Fähigkeiten der afghanischen Sicherheitsorgane möglichst schnell stärken und aufbauen können. Vielleicht haben wir da in der Vergangenheit zwar viel erwartet, viel gefordert, aber vielleicht müssen wir noch mehr tun, um so schnell wie möglich eine Situation zu schaffen, in der wir nach und nach die Sicherheit in Afghanistan in die eigenen Hände der dortigen Organisationen geben können.

    Heinlein: Brauchen wir auch möglichst rasch eine Strategie, wann und wie die Bundeswehr aus Afghanistan abzieht?

    Schockenhoff: Diese Strategie haben wir. Wir können dann aus Afghanistan abziehen, wenn Afghanistan selbst für seine Sicherheit sorgen kann, also so bald wie möglich, aber wir bleiben so lange wie nötig. Aber im nächsten Jahr, 2010, läuft der sogenannte Afghanistan-Compact der internationalen Gemeinschaft aus und deshalb brauchen wir jetzt schnell eine Konferenz der Vereinten Nationen, die bald klärt wie es weitergeht und die auch klärt, wie wir unsere Anstrengungen verstärken, afghanische Polizisten, afghanische Armee auszubilden.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen Unions-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Schockenhoff: Auf Wiederhören, Herr Heinlein.