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"Er macht eigentlich alles falsch"

Sollte Bundespräsident Christian Wulff vor dem Landtag in Niedersachsen nicht die volle Wahrheit gesagt haben, dann müsse er zurücktreten, fordert der ehemalige WDR-Intendant Friedrich Nowottny. Die Würde des Amtes sei mit einer Falschaussage Wulffs dahin.

Friedrich Nowottny im Gespräch mit Dirk Müller | 19.12.2011
    Dirk Müller: Der Spiegel hat sich bereits festgelegt: "Christian Wulff ist der falsche Präsident", titelt das Nachrichtenmagazin, jedenfalls, weil er als Ministerpräsident seinen umstrittenen Privatkredit doch mit dem Unternehmer Egon Geerkens ausgehandelt haben soll und nicht, wie früher im niedersächsischen Landtag behauptet, mit dessen Ehefrau. Aussage steht hier gegen Aussage. Warum entschuldigt sich der Bundespräsident nicht öffentlich dafür, fragen sich viele. Die Opposition fordert eine lückenlose Aufklärung, einige stellen schon Vergleiche mit dem Verhalten von Karl-Theodor zu Guttenberg her. Daneben gibt es noch diverse Urlaubsreisen, die Christian Wulff auf Einladung millionenschwerer Unternehmer unternommen hat. – Am Telefon ist nun der Journalist, Publizist und frühere Intendant des WDR, Friedrich Nowottny. Guten Morgen.

    Friedrich Nowottny: Hallo, Herr Müller! Ich grüße Sie.

    Müller: Herr Nowottny, was macht Christian Wulff alles falsch?

    Nowottny: Alles! Er macht eigentlich alles falsch. Er hätte von vornherein auf die Bühne treten sollen und hätte klipp und klar entweder sagen lassen – er hat ja genug Personal dafür -, oder er hätte es lieber selbst gesagt, wie es um die Sache steht. Ich darf Konrad Adenauer zitieren in diesem Zusammenhang. Er sagte einmal: "Wie mein Freund Pferdmenges unterscheide ich drei Stufen der Wahrheit: die einfache Wahrheit, die reine Wahrheit und die lautere Wahrheit." Wir können jetzt in diesem Fall des Bundespräsidenten auswählen, wie es denn mit der Wahrheit und dem Bundespräsidenten bestellt ist. Sollte er vor dem Landtag in Niedersachsen eine Falschaussage gemacht haben, dann steht sein Amt und dann steht er zur Disposition – Entschuldigung, nicht das Amt.

    Müller: Es gibt ja noch eine Wahrheit: die ganze Wahrheit. Davon haben wir jedenfalls in den Medien die vergangenen Tage gesprochen. Warum fällt ihm das so schwer, die ganze Wahrheit zu präsentieren?

    Nowottny: Das frage ich mich auch die ganze Zeit. Im Grunde genommen hat er einen guten Freund um einen Freundesdienst gebeten und er wurde ihm gewährt. Dass der gute Freund vorher wegen einer schweren Krankheit sein Vermögen seiner Frau übertragen hat, nun gut, das kommt öfter vor. Warum hat er denn nicht klipp und klar und offen gesagt, ja, ich brauchte Geld, meine Scheidung kostete viel und ich habe mir das Geld geliehen, bei meinem Freund zu, wie es heute oder gestern schon hieß, marktüblichen Konditionen, was ja auch schon wieder in Zweifel gezogen wird, da von Tilgung noch keine Rede ist. Und dass an der ganzen Sache etwas auch nach dem Empfinden des Bundespräsidenten nicht den Tagesnormen der Bankgeschäfte entsprochen haben könnte, kann man ja doch daran ersehen, dass er diesen Kredit vorher getilgt hat, als er fällig gewesen ist, es sei denn, es ist überhaupt eine Fälligkeit vereinbart worden. Davon habe ich noch nichts gehört und nichts gelesen.

    Müller: Es war ja viel, Herr Nowottny, auch davon die Rede, dass keine Sicherheit hinterlegt worden ist, was andere Kreditnehmer, private Kreditnehmer ja durchaus einbringen müssen. Brauchen Ministerpräsidenten Millionärsfreunde?

    Nowottny: Also wissen Sie, es ist immer gut, wenn man reiche Freunde hat, glaube ich. Ich hatte noch keine. Vielleicht kommt das ja noch. Aber Politik und Geld sind immer eine sensible Sache. Es hat in der Vergangenheit der Republik von Flick-Strauß über das Kaufen von Stimmen bei der Wiederwahl Willy Brandts über Wienand und Barzel immer Verdächtigungen gegeben, dass Politiker mit dem Geld anderer Leute wer weiß wie herumgehen. Die Flick-Affäre war ein typisches Beispiel dafür, dass ein sehr reicher Mann zur Pflege der politischen Landschaften, wie er es verlauten ließ, viel Geld lockergemacht hat – wo immer es geblieben ist: In den Parteikassen zur Finanzierung der Parteien, was weiß ich. Es hat große Untersuchungsausschüsse gegeben.

    Müller: Wie ist das mit den Urlauben bei Freunden, die auch alle Unternehmer sind, Urlaube, die dann preiswerter, billiger, vielleicht sogar kostenlos werden? Ist das in Ordnung?

    Nowottny: Ich würde sagen, das hat ein Geschmäckle, wie die Schwaben es formulieren würden. Der Bundespräsident, der Ministerpräsident sollte nicht auf Kosten anderer Leute Urlaub machen. Er verdient Geld genug, wenn auch nicht genug, wie man sieht, um seinen Lebensstandard zu bezahlen und zu halten. Er sollte gefälligst seine Urlaube selbst finanzieren.

    Müller: Und er sollte in einem Flugzeug auf dem Sitz Platz nehmen, den er bezahlt hat?

    Nowottny: Na ja, auch das. Wissen Sie, das Upgrading ist ja so eine Sache. Als ich noch eine bekannte Fernsehnase war, wurde ich auch upgegradet, ohne etwas dafür zu bezahlen. Ich hatte nie ein schlechtes Gewissen. Ich habe mir immer gesagt, was soll das, ein leerer Sitz ist ein leerer Sitz. Vielleicht konnten sie meinen in der Holzklasse, in der ich üblicherweise fliege, noch gut verkaufen.

    Müller: Blicken wir auf die nächsten Tage und Wochen, Herr Nowottny. Wenn der Bundespräsident jetzt noch mal zu einer Rede antreten muss, Thema Transparenz, Offenheit, Wahrhaftigkeit, dann wird das schwer.

    Nowottny: Ja. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken und auch nicht in der Haut der Redenschreiber. Das können Sie mit Philosophie nicht klären. Entweder jetzt kommen die Karten auf den Tisch oder er fällt unter den Tisch.

    Müller: Jetzt wird auch viel von der Würde des Amtes gesprochen. Wir haben vor gut einer Stunde hier im Deutschlandfunk auch Wolfgang Schäuble gefragt zum Umgang des Bundespräsidenten in dieser Affäre, in dieser Entwicklung, und er sagt, man sagt nichts gegenüber dem Bundespräsidenten, das würde der Würde des Amtes schaden. Ist das noch eine gültige Kategorie?

    Nowottny: Das Amt des Bundespräsidenten steht durch diese Vorgänge mitten in der allgemeinen politischen Diskussion. Die Würde, die wie ein Schutzschild um dieses Amt gezogen worden war, ist dahin.

    Müller: Schon seit Horst Köhler?

    Nowottny: Na ja, sie war schon dahin, als man erkennen konnte, wie die Öffentlichkeit mit dem Verdacht gegenüber Johannes Rau umgegangen ist, er habe unrechtmäßig die Flüge eines Flugzeuges beansprucht, das die WestLB, eine Landesbank, an der das Land maßgeblich beteiligt war, gechartert hatte.

    Müller: Da nennen Sie ein Stichwort, und Christian Wulff hat damals gesagt, er sei fast höchst gradig erschreckt, dass Johannes Rau damit nicht offener umgeht.

    Nowottny: Politiker sollten immer dann, wenn sie besonders markige Sätze formulieren, in den Spiegel gucken und sagen, könnte das auch nicht mich betreffen. Wir sehen: So ist es.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Journalist und Publizist Friedrich Nowottny. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Nowottny: Danke!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.