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"Er war ein Sadist"

Vor einigen Wochen wurde der 97-jährige Laszlo Csatary in Budapest festgenommen. In der Slowakei diskutiert man seitdem über ein Auslieferungsgesuch. 1944 soll sich der Ungar in Kosice an der Deportation von 16.000 Juden beteiligt haben. Zeitzeugen bezeichnen ihn als "Monster" und "Sadisten".

Von Kilian Kirchgessner | 14.08.2012
    Viele Zeugen leben nicht mehr in der ostslowakischen Stadt Kosice, die den damaligen Polizeichef Laszlo Csatary im Krieg erlebt haben. Eine alte Frau hat das slowakische Fernsehen gefunden, die damals verfolgt worden ist. Im Fernsehen bleibt sie ohne Namen. Es ist ihre Aussage, die jetzt in der Slowakei die Debatte anheizt.

    "Er war ein Sadist, jeder hat vor ihm gezittert und furchtbare Angst gehabt. Er war ein Monster."

    In der Slowakei wird nicht nur die moralische Seite des Falls diskutiert. Es geht erst einmal darum, wer eigentlich zuständig ist. Laszlo Csatary war in Kosice tätig; das ist heute die zweitgrößte slowakische Stadt ganz im Osten des Landes, nur wenige Kilometer entfernt von der ukrainischen Grenze. Während des Krieges aber gehörte sie zu Ungarn. Ist also die ungarische Justiz heute zuständig oder die slowakische? Der Historiker Milan Zemko aus Bratislava, der über die Zeit des Zweiten Weltkriegs forscht, kennt die Argumente für beide Seiten.

    "Es geht um einen ungarischen Bürger, und auch wenn es heute slowakisches Territorium ist – damals gehörte es zu Ungarn. Andererseits: Die Opfer waren ja Slowaken, und sie haben Anspruch auf ein gerechtes Verfahren gegen einen Menschen, der ihr Leben und das Leben ihrer Familien so stark beeinflusst hat. Ich finde deshalb, man sollte dafür kämpfen, dass ihm hier in der Slowakei der Prozess gemacht wird."

    Csatary soll als Polizeichef von Kosice die Deportation von fast 16.000 Juden mitorganisiert haben. Darüber hinaus sollen nach Recherchen von slowakischen Wissenschaftlern mehr als 500 Menschen in Kosice in seinem Auftrag ermordet worden sein. Wegen dieser Verbrechen hat es in der Slowakei bereits einen Prozess gegen Laszlo Csatary gegeben – das war 1948. Er selbst war damals flüchtig; erst jetzt haben ihn die Behörden in Budapest wieder aufgegriffen. Die umfangreichen Akten vom Verfahren aus dem Jahr 1948 liegen heute bei der slowakischen Behörde, die das Unrecht in den Diktaturen aufarbeiten soll. Deren wissenschaftlicher Leiter Ondrej Podolec hat das mehr als sechzig Jahre alte Urteil gefunden.

    "Das Gericht hat Laszlo Csatary der faschistischen Verbrechen und Unterstützung der Okkupanten für schuldig erklärt. Nach dem Urteil hat er auf eigene Initiative und systematisch Menschen verhaftet, gequält und erschießen lassen. Dafür wurde er zum Tod durch den Strang verurteilt."

    Um dieses frühe Urteil vom Volksgerichtshof drehen sich heute die slowakischen Diskussionen. Historiker Milan Zemko:

    "Das Problem ist, dass das Urteil zu Zeiten der Unfreiheit verkündet worden ist, unter dem alten Regime. Da kann man in vielen Fällen die Frage stellen, ob bei den Verhandlungen nicht das Urteil schon vorher feststand, ob der ganze Prozess nicht inszeniert war. Hinzu kommt, dass es nach 1945 den Straftatbestand des Kriegsverbrechens gar nicht gab. Im Gesetz standen nur Kategorien wie faschistischer Verbrecher, Okkupant, Kollaborant und Verräter."

    Ob diese Begriffe, die immer wieder von der kommunistischen Propaganda missbraucht wurden, auch heute noch juristisch haltbar sind, muss sich zeigen. Denn wenn die slowakische Justiz die Auslieferung von Laszlo Csatary beantragen wird, dann dürfte sie sich dabei auf den Prozess und auf das Urteil von 1948 berufen. Wenn Richter das Todesurteil in eine Freiheitsstrafe abändern würden, könnten sie sich damit um die Auslieferung Csatarys bemühen. Der slowakische Justizminister Tomas Borec hat das Thema inzwischen zur Chefsache erklärt.

    "Wir tun im Justizministerium alles dafür, dass es zu einer schnellstmöglichen Bestrafung dieser unentschuldbaren Verbrechen kommt. Ich habe persönlich das größte Interesse daran, dass Laszlo Csatary - nach einer umfangreichen Prüfung aller Zusammenhänge durch ein slowakisches Gericht – in die Slowakei ausgeliefert wird und seine Freiheitsstrafe antritt."

    Auch der Verband der jüdischen Gemeinden in der Slowakei macht sich für eine Auslieferung stark. Ob der mutmaßliche Kriegsverbrecher aber tatsächlich hinter Gitter kommt, steht derzeit noch nicht fest.