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"Er war immer ein Befürworter von "Agenda 2010" und "Hartz IV""

Vor dem Hintergrund der Kandidatenfrage für die Bundespräsidentenwahl 2009 hat der Vorsitzende der Partei "Die Linke", Oskar Lafontaine, bekräftigt, man wolle sich erst im Herbst festlegen. Köhler habe sich zwar bemüht, ein guter Bundespräsident zu sein. Er vertrete aber neoliberale Positionen und stehe hinter der Agenda 2010 und Hartz IV.

Moderation: Christoph Heinemann | 23.05.2008
    Christoph Heinemann: Die Linken treffen sich morgen zum Parteitag in Cottbus - knapp ein Jahr nach der Vereinigung der ostdeutschen Linkspartei PDS - vormals SED - mit der westdeutschen WASG. Wahlergebnisse bescheinigen der Partei gegenwärtig Fortune. Linke Abgeordnete sitzen im Bundestag, in 10 von 16 Landtagen und im Europaparlament. Auch die Antworten auf Umfragen können sich sehen lassen. In Teilen des Ostens hat die Linke die Volksparteien schon auf die Plätze verwiesen und das, obwohl oder vielleicht weil die Partei bis heute über kein Programm verfügt. Die politischen Aussagen der Linken übersteigen selten das Format eines Aufklebers. "Weg mit Hartz" oder "Raus aus Afghanistan" versteht jeder. Ob das Land damit auf einen guten Weg gebracht würde, ist eine ganz andere Frage. Vertreter der Linken werden heute in einem Jahr der Bundesversammlung angehören, die den Bundespräsidenten wählen wird. Einen Bewerber für das Amt gibt es: den Amtsinhaber. Horst Köhler hat gestern seine Bereitschaft zu einer zweiten Amtszeit erklärt. Vor dieser Sendung habe ich Oskar Lafontaine, den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion und der Partei Die Linke, gefragt, ob er eine zweite Amtszeit des Bundespräsidenten Horst Köhler befürwortet.

    Oskar Lafontaine: Wir haben uns besprochen und haben entschieden, dass wir zuerst einmal abwarten, wie die Bundesversammlung sich zusammensetzt. Danach wollen wir abwarten wer kandidiert und dann werden wir uns entscheiden.

    Heinemann: Das galt bis zu Horst Köhlers Ankündigung. Nun werden die Parteien früher Farbe bekennen müssen, wenn sie ernst genommen werden wollen.

    Lafontaine: Das ist richtig. Aber da man von uns nicht erwartet, dass wir für Köhler eintreten - wir haben ihn ja auch, das heißt die Vorläuferorganisation PDS hat ihn ja auch das letzte Mal nicht unterstützt -, können wir uns Zeit lassen und uns in Ruhe ansehen, wer kandidieren wird.

    Heinemann: Wie bewerten Sie die Amtsführung des gegenwärtigen Bundespräsidenten?

    Lafontaine: Er hat sich bemüht, ein guter Bundespräsident zu sein. Das ist keine Frage. Er sucht das Gespräch mit der Bevölkerung. Was wir zu kritisieren haben ist seine neoliberale Grundausrichtung. Er war immer ein Befürworter von "Agenda 2010" und "Hartz IV" und bekanntlich lehnen wir diese verfehlte Arbeitsmarktpolitik, die zu Massenarmut geführt hat, ab.

    Heinemann: Immerhin erkennt er auf den Finanzmärkten Monster.

    Lafontaine: Das ist erfreulich. Allerdings wäre es gut gewesen, wenn er als IWF-Direktor versucht hätte, diese Erkenntnis schon zu berücksichtigen, denn der Internationale Währungsfonds hat natürlich eine Möglichkeit, die Finanzmärkte zu beeinflussen.

    Heinemann: Nun sind das zwei völlig unterschiedliche Ämter.

    Lafontaine: Das ist richtig, aber deshalb ist ja der Internationale Währungsfonds die Stelle, an der man etwas zur Regulierung der Finanzmärkte tun kann.

    Heinemann: Wer wäre denn besser geeignet?

    Lafontaine: Ich weiß ja nicht wer kandidiert. Insofern ist es mir logisch unmöglich zu sagen, wer besser geeignet wäre.

    Heinemann: Wenn Sie jetzt Gesine Schwan ins Spiel brächten, könnten Sie die SPD in Zugzwang setzen.

    Lafontaine: Das ist richtig, aber ich überlasse es der SPD, wen sie als Kandidatin oder Kandidaten nominiert.

    Heinemann: Herr Lafontaine, wenn Sie jetzt Konstellationen abwarten, dann signalisieren Sie, dass Sie die Konstellation für wichtiger halten als die Personen.

    Lafontaine: Das ist falsch. Ich sage ja: Ich weiß nicht wer kandidiert. Insofern ist es mir wirklich logischerweise nicht möglich, jetzt zu sagen, wer wohl die bessere Wahl sein wird.

    Heinemann: Also bis zur Landtagswahl in Bayern gilt dann, jede Stimme für die CSU ist eine für Horst Köhler?

    Lafontaine: Jede Stimme für die CSU ist eine für Horst Köhler, aber ich glaube nicht, dass die Bayern in erster Linie an Horst Köhler denken, wenn sie wählen, sondern viele werden an ihre zu niedrigen Löhne denken, an die Leiharbeit oder an die Hartz-IV-Leistungen, die sie empfangen, oder vielleicht auch daran, dass ihre Kinder arm sind.

    Heinemann: Welche wären denn Ihre Bedingungen für die Stimmen der Linken für eine Kandidatin oder einen Kandidaten der SPD oder der Grünen?

    Lafontaine: Das sollten Sie mich bitte fragen, wenn es so weit ist.

    Heinemann: Warum jetzt noch nicht?

    Lafontaine: Weil ich jetzt noch nicht weiß wer kandidiert.

    Heinemann: Herr Lafontaine, der "Spiegel" fasste in dieser Woche eine interne Wählerstudie Ihrer Partei zusammen. Ein Ergebnis: In der Wirtschafts- und in der Außenpolitik trauen Ihnen nicht einmal die eigenen Wähler über den Weg. Wann wird sich die Linke programmatisch so häuten, dass sie im Bund als Koalitionspartner ernst genommen werden kann?

    Lafontaine: Wir werden in erster Linie als die Partei wahrgenommen, die in Deutschland wieder für soziale Gerechtigkeit eintritt. Insofern kommentiert ja auch die überwiegende Mehrheit der Presse, dass wir die Agenda der deutschen Politik bestimmen. Und wir sind mit den ersten Korrekturen, die wir erreicht haben, ein Stück vorangekommen, aber das genügt nicht.
    Die Frage, wann wir als Partner zur Verfügung stehen, beantwortet sich aus unserer Sicht ganz einfach durch die Inhalte der Politik. Solange die anderen Parteien etwa an der "Agenda 2010" festhalten oder an völkerrechtswidrigen Kriegen, sind sie für uns keine Partner, denn wir sind in den Fragen fest. Wir wollen eine andere Sozialpolitik und wir wollen eine Außenpolitik, die das Völkerrecht wieder beachtet.

    Heinemann: Kann man ohne wirtschafts- und außenpolitische Kompetenz regierungsfähig werden?

    Lafontaine: Die Wahrnehmung der Wählerinnen und Wähler ist die eine. Wir sind ja eine Partei, die erst noch nicht mal ein Jahr alt ist. Unsere Kompetenz ist eine andere. Wir vertreten in der Wirtschaftspolitik beispielsweise einen keynesianischen Ansatz, der überall in der Welt noch große Anhängerschaft hat, nur in Deutschland an den Universitäten so gut wie nicht mehr gelehrt wird. Deshalb haben wir ja auch das Ergebnis, das darin besteht, dass wir seit Jahrzehnten kann man sagen eine viel zu schwache Binnenmarktentwicklung haben - eine der Ursachen für die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland.

    Heinemann: Dieser Ansatz ist vielleicht nicht ganz grundlos aus den Lehrbüchern gestrichen worden. Auf dem Parteitag soll jetzt ein Zukunftsinvestitionsprogramm gestrichen werden.

    Lafontaine: Hier muss ich energisch widersprechen!

    Heinemann: Darf ich ganz kurz die Frage noch stellen? Sie wollen ein Zukunftsinvestitionsprogramm auf den Weg bringen im Umfang von 50 Milliarden Euro. Ist Geldausgeben für Sie ein Selbstzweck?

    Lafontaine: Nein. Ich möchte zunächst sagen, dass der keynesianische Ansatz in klassischen Lehrbüchern, die weltweit vertrieben werden, natürlich eine große Rolle spielt. Aber jetzt zu Ihrer Frage: Es ist unstreitig unter gescheiten Ökonomen, dass öffentliche Investitionen eine hohe Arbeitsplatzmarktwirkung haben. Insofern sind öffentliche Investitionen in allen Staaten, die Erfolg haben beim Abbau der Arbeitslosigkeit, ein wichtiges Instrument. Insofern wollen wir natürlich auch - und das ist das Minimum -, dass sich Deutschland öffentliche Investitionen pro Jahr leistet wie die übrigen europäischen Staaten. Also wir wollen zunächst einmal nur den Durchschnitt erreichen und darüber hinaus wollen wir, dass wir bei Bildungs- und Forschungsausgaben den Durchschnitt der OECD-Staaten erreichen. Da haben Sie in etwa die Summe. Und wenn Sie jetzt fragen, wie das finanziert werden soll, gibt es ganz einfache Antworten, die jeder überprüfen kann. Würden wir in Deutschland die Vermögen so besteuern wie die angelsächsischen Länder, hätten wir das Geld drin.

    Heinemann: Sie wollen vor allen Dingen auch öffentliche Beschäftigung fördern. Das hat in der Vergangenheit nicht furchtbar viel gebracht. Vor allem hat es den Schuldenberg erhöht.

    Lafontaine: Das liegt daran, dass Deutschland sich eine viel zu niedrige Steuer- und Abgabenquote leistet. Sie liegt bei 35 Prozent, während sie etwa in Dänemark oder Schweden bei 50 Prozent liegt. Hätten wir etwa einen öffentlichen Sektor wie Dänemark oder Schweden, gäbe es keine Arbeitslosigkeit.

    Heinemann: Also Steuern rauf?

    Lafontaine: Steuern runter und Steuern rauf.

    Heinemann: Wie bitte?

    Lafontaine: Steuern runter und Steuern rauf. Wir sind ja nicht so dämlich, nur Steuern rauf zu verlangen. Wir sagen ja seit langem, dass Facharbeiter und Klein- und Mittelbetriebe viel zu hoch belastet werden. Wir haben einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht; die anderen lehnen ab. Wir sprechen uns gegen die schleichende Steuererhöhung durch die Inflation aus. Das ist die so genannte "kalte Progression". Wir haben einen Antrag eingebracht; die anderen lehnen ab. Und wir sind dafür - das wird Sie vielleicht überraschen -, die investierenden Unternehmer zu belohnen, das heißt die degressive Abschreibung ins Steuersystem wieder einzuführen. Auf der anderen Seite wollen wir nicht nur, dass Gewinne und Vermögen so besteuert werden wie im Durchschnitt der OECD, sondern wir wollen auch eine Börsenumsatzsteuer und wir wollen einen höheren Spitzensteuersatz. Wir wissen also im Gegensatz zu den anderen, wie unsere Vorschläge finanziert werden sollen. Daher verweisen wir auf die internationalen Statistiken. Nach wie vor gilt ja: Seit Jahren gilt ja ein Satz von mir. Wer widerlegt, dass wir, wenn wir die durchschnittliche Steuerabgabenquote Europas hätten, keine einzige Kürzung der letzten Jahre hätten vornehmen müssen, erhält eine goldene Uhr. Bis zum heutigen Tag hat kein Journalist, kein Professor, kein Politiker sich die goldene Uhr verdient.

    Heinemann: Und diese realistische Politik gilt auch für Ihre Forderung "Rente mit 60"?

    Lafontaine: Wir wollen die Rentenformel wieder herstellen, wie sie seit Jahren vor der Kürzungsorgie sich in Deutschland bewährt hat. Man hat ursprünglich gesagt, das führt dann dazu, dass der Rentenbeitragssatz für beide, für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, auf 28 Prozent steigen würde. Jetzt ergeben die neuesten Berechnungen, wenn unsere Forderungen erfüllt werden, 25,2 Prozent. Dies hieße dann für jeden Arbeitgeber und Arbeitnehmer 12,6 Prozent. Bei der jetzigen Regelung aber müssen die Arbeitnehmer ja bereits bis zu 7 Prozent zusätzlich in der Zukunft zahlen, also 17 Prozent. Sie würden durch unseren Vorschlag entlastet.

    Heinemann: Herr Lafontaine, viele Forderungen vor allen Dingen auch in der Außenpolitik Ihrer Partei sind so unrealistisch, dass ihr eigentlicher Zweck darin bestehen dürfte, ...

    Lafontaine: Also jetzt sagen Sie, die Beachtung des Völkerrechts wäre unrealistisch!

    Heinemann: ... einen Kurswechsel der SPD zu erwirken - zum Beispiel "Raus aus Afghanistan" oder "Raus aus der NATO" oder "Auflösung der NATO".

    Lafontaine: Wir sagen, dass unsere Truppen in Afghanistan fehl am Platz sind. Hier können wir uns auch auf den ehemaligen sozialdemokratischen Bundeskanzler Helmut Schmidt beziehen der gesagt hat, wir haben in Afghanistan nichts verloren. Er hat Recht! Es ist ja nur eine Frage der Zeit, bis wir gezwungen werden, die Truppen dort abzuziehen. Wir wollen etwas anderes. Wir wollen Grünhelme. Welch ein Segen wäre es für die Menschheit, wenn wir jetzt eben eine Truppe hätten, die helfen könnte, in Myanmar oder Birma oder eben in China. Da würde sich Deutschland in der Welt auszeichnen und würde sicherlich zeigen, wie internationale Zusammenarbeit auch anders gehen kann.

    Heinemann: Geht es in Afghanistan ohne Militär, oder sollten die Frauen am Hindukusch wieder in die Burkas eingepackt und den Taliban überlassen werden?

    Lafontaine: Das sind sie ja längst, in die Burkas eingepackt. Wir haben ja von verschiedenen Nicht-Regierungsorganisationen viele Berichte über die schlechte Situation der Frauen in Afghanistan. Das einzige was dort in den letzten Jahren sich deutlich gesteigert hat ist die Opium-Produktion. Ob das die Anwesenheit von Truppen lohnt, da kann man ja einmal fragen. Es ist schlicht und einfach - wie soll ich einmal sagen - eine sehr dümmliche Logik, die in Deutschland nun täglich verbreitet wird, die da heißt, wir müssen dabei sein, wenn Tausende umgebracht werden - das ist nämlich die Bilanz dieses Krieges, der in Afghanistan tobt -, dann schützen wir die Menschen dort.

    Heinemann: Und vorher ging es allen gut?

    Lafontaine: Vorher ging es nicht allen gut, aber wir haben eine ähnliche Erfahrung im Irak-Krieg gehabt. Unterhalten Sie sich heute mal mit den Menschen im Irak, was sie zu den segensreichen Truppen, die dort wirken, sagen.

    Heinemann: Herr Lafontaine, im Bundesrat steht heute die Abstimmung über den EU-Reformvertrag auf dem Programm. Berlins Regierender Bürgermeister von der SPD befürwortet den Vertrag; die mitregierende Linke ist dagegen. Welche Folge hätte es, wenn Klaus Wowereit mit Ja stimmte?

    Lafontaine: Das kann er nicht. Dann würde er den Koalitionsvertrag brechen. Insofern gehe ich davon aus, dass er den Koalitionsvertrag respektiert.

    Heinemann: Und wenn er es doch tut?

    Lafontaine: Dann wird man weiter sehen. Ich bin dagegen, Wenn-Fragen zu beantworten. Zunächst muss man wissen was passiert und dann kann man sich in Ruhe überlegen, wie man darauf reagiert.

    Heinemann: Oskar Lafontaine, der Vorsitzende der Partei und der Fraktion Die Linke, heute Früh im Deutschlandfunk.