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"Er war überfordert"

Der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi hat seiner Partei vorgeworfen, sie habe sich in den letzten zwei Jahrzehnten nicht den veränderten Bedingungen der Weltwirtschaft gestellt. Die Arbeitszeit in Deutschland sei zu kurz und die Stückkosten zu hoch. Kurt Beck sei an der Rückwärtsgewandtheit eines Drittels der SPD-Mitglieder gescheitert, die "glauben, eine Welt vor sich zu haben, die wie die Welt vor 50 Jahren aussieht", so von Dohnanyi.

Klaus von Dohnanyi im Gespräch mit Jochen Spengler | 08.09.2008
    Frank-Walter Steinmeier: Kurt Beck hat in der heutigen Sitzung erklärt, dass er für das Amt des Parteivorsitzenden nicht mehr zur Verfügung steht. Und ich bin bereit, die SPD als Spitzenkandidat in diese Wahl zu führen. Ich habe vorgeschlagen, dass Franz Müntefering unser Parteivorsitzender wird, und das Präsidium, meine Damen und Herren, ist diesem, meinem Vorschlag gefolgt.

    Jochen Spengler: So weit gestern Frank-Walter Steinmeier, der Bundesaußenminister und seit gestern Kanzlerkandidat der SPD. Am Telefon ist Klaus von Dohnanyi, SPD-Politiker, ehemals Bundesbildungsminister und Hamburger Bürgermeister. Guten Morgen, Herr von Dohnanyi.

    Klaus von Dohnanyi: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Was würden Sie über ein Unternehmen sagen, das in fünf Jahren den fünften Vorstandsvorsitzenden hat?

    von Dohnanyi: Ich würde sagen, das Unternehmen muss irgendwelche inneren Schwierigkeiten haben, die nicht wirklich ausdiskutiert sind, denn diese Vorsitzenden sind ja gegangen beziehungsweise gegangen worden unter Bedingungen, die fast in jedem Falle auf jedem Fall aussahen wie ein Hinwerfen des Handtuchs.

    Spengler: Was würden Sie sagen, welches sind die nicht ausdiskutierten inneren Schwierigkeiten der SPD?

    von Dohnanyi: Ich glaube, das zentrale Problem ist, dass die SPD sich in den letzten zwei Jahrzehnten nicht wirklich den veränderten Bedingungen in der Welt, also insbesondere der Weltwirtschaft, gestellt hat und dass man eben wissen muss, dass es unter den Bedingungen, in denen zum Beispiel heute schon zwei Drittel des Porsche in der Slowakei hergestellt werden, weil dort nicht die Arbeiter besser sind, sondern weil sie billiger sind und die Arbeit kostengünstiger ist, so ist, dass man sich damit auseinander setzen muss und nicht darüber hinweghuschen darf, so wie das leider immer wieder versucht worden ist. Da steckt das zentrale Problem.

    Spengler: Und das hat Kurt Beck nicht zu lösen versucht?

    von Dohnanyi: Kurt Beck ist ein ganz ungewöhnlicher Mann aus meiner Sicht. Ich kenne ihn lange aus unserer gemeinsamen Arbeit in Rheinland-Pfalz. Ich war ja dort mal Landesvorsitzender. Er hat mit der FDP hervorragend regiert. Die FDP, wenn Sie mit den Leuten sprechen, die schätzen ihn bis heute hoch. - Nein, er ist gescheitert an diesem inneren Widerspruch in der SPD, der ungefähr ein Drittel der SPD umfasst. Da ist nun Lafontaine auf der anderen Seite und lockt in die Vergangenheit und in eine Politik, die vielleicht vor 30, 40 Jahren vernünftig gewesen wäre, aber mit der man heute nicht arbeiten kann.

    Spengler: Wäre es dann sinnvoll, dass dieses Drittel sich der Linkspartei anschließt?

    von Dohnanyi: Nein. Es wäre richtig, dass man dieses Drittel überzeugt und auch diejenigen, die irrig Lafontaine hinterherlaufen, dass die Welt anders geworden ist, dass wir in dieser Welt uns offen der Konkurrenz stellen müssen, dass das zum Teil auch bittere Einschnitte bei uns verlangt, aber dass wir auf der anderen Seite auch Wege finden können, die eine gerechte Gesellschaft möglich machen. Das zeigen die skandinavischen Länder, zeigt aber auch die Schweiz.

    Spengler: Sie sind der Ansicht, dass es einen solchen tragfähigen Kompromiss zwischen linkem und rechtem Flügel in der SPD auch nach wie vor geben kann?

    von Dohnanyi: Ja, wenn die Sache offen ausdiskutiert wird, offen entschieden wird, wenn man den Konflikt nicht scheut, wenn man nicht darüber redet, ob man mit der Linken - also dieser Partei von Lafontaine - koalieren darf oder nicht, so als ob das schmutzige Leute wären, sondern wenn man sich mit ihnen auseinandersetzt, dass sie in der Sache dumm sind. Die Linke ist eine dumme Partei, die sich nicht mit den Wirklichkeiten dieser Welt auseinandersetzt, sondern so tut, als könnte man sich durchlügen, und das muss man klar machen.

    Spengler: Sind denn dann Müntefering und Steinmeier die richtigen Menschen, die richtigen Männer, das klar zu machen?

    von Dohnanyi: Das hoffe ich sehr. Ich meine, Müntefering selber hat ja aus demselben Grunde einmal hingeschmissen. Die müssen ja alle jetzt inzwischen dort wach geworden sein, dass das nicht geht, dass man sich mit dieser Argumentation, die immer fördern will, aber, wie Gerhard Schröder gesagt hat, nicht fordern will, nicht durchsetzen kann. Letzten Endes ist ja Gerhard Schröder über dieselben Leute gestürzt. Es ist ja nicht nur so, dass Lafontaine hingeschmissen hat oder zum Teil auch seine Vorgänger, sondern es ist ja auch so, dass Schröder deswegen Neuwahlen ausgeschrieben hat, weil er mit den Leuten nicht mehr klar kam, mit denselben Leuten wie Herr Schreiner und so weiter, die in dieser Partei glauben, man könnte an der heutigen Wirklichkeit vorbei gehen. Man muss wissen, dass wir in Deutschland zum Beispiel immer noch kürzer arbeiten als fast der Rest der Welt, mit der wir konkurrieren. Man muss wissen, dass die Amerikaner heute einen Stundensatz im verarbeitenden Gewerbe, also in der Industrie haben, der bei 24 Euro liegt, und unserer liegt bei 34 Euro. Darüber muss man offen reden und wenn man das nicht tut, sondern glaubt, man könne sich überall durchschwindeln, dann wird man in dieser Welt nicht bestehen.

    Spengler: Nun sagt der von Ihnen schon angesprochene Ottmar Schreiner, nun gut, gegen Fördern und Fordern haben wir ja nichts dagegen. Der Staat hat allerdings vergessen zu fördern; er fordert nur.

    von Dohnanyi: Das ist ja nicht wahr! Die Ausgaben im Sozialbereich sind ja wesentlich gestiegen. Wir geben ja über 80 Milliarden aus dem Bundeshaushalt alleine für die Förderung sage ich mal von Renten aus. Das stimmt einfach nicht! Aber Ottmar Schreiner glaubt, dass die SPD eine Partei der Schwachen sein kann. Wir müssen uns mit den Starken in der Gesellschaft verbünden, wie Willy Brandt das gekonnt hat. Um Willy Brandt herum waren Leute aus der Wissenschaft, waren Leute aus der Wirtschaft, waren gescheite Leute, die sich mit den Realitäten dieser Welt auseinandergesetzt haben. Und dann hat er versucht, trotzdem Gerechtigkeit in dieser Welt möglich zu machen.

    Spengler: Ich wollte sagen, die Schwachen wollen Sie nicht links liegen lassen?

    von Dohnanyi: Nein, das muss man nicht. Man muss nur nicht glauben, dass man ein Bündnis mit den Schwachen gegen die Starken machen darf. So wird die SPD nicht vorankommen. Dieser Konflikt, dieser innere Konflikt in der Partei, der aus meiner Sicht ungefähr ein Drittel auch der heutigen SPD noch umfasst, der muss gelöst werden durch Offenheit, Ehrlichkeit, Klarheit, durch Fakten und dann entschieden werden. Dann muss allerdings auch dafür gesorgt werden, dass das, was dann entschieden wird, zusammen bleibt. Der Hamburger Parteitag, der so viel gelobt wird, war in vieler Beziehung einfach nur ein Zudecken von Problemen. So kann man das nicht weiter machen. Kurt Beck hat darunter sehr gelitten. Ich habe mit ihm vor wenigen Wochen ein langes, langes Gespräch gehabt. Er, der eigentlich ein Mann der Mitte ist, ist eben an diesem Konflikt gescheitert. Mir tut das sehr leid für ihn, weil ich ihn für einen ungewöhnlich anständigen und geraden Mann halte.

    Spengler: Aber er war überfordert?

    von Dohnanyi: Er war überfordert, wie aber auch Lafontaine überfordert war, der ja sozusagen mit offenem Füllfederhalter, den er auf dem Schreibtisch hinterlassen hat, getürmt ist.

    Spengler: Gibt es da Parallelen? Sehen Sie da Parallelen?

    von Dohnanyi: Ja, natürlich. Insofern gibt es da Parallelen, als beide - der eine, weil er geglaubt hat, Schröder gehe einen falschen Weg, der aber spät, nämlich erst 2003, aber doch der richtige war, wie man heute sieht; und Beck, weil er bemerkt hat, dass er diesen Konflikt nicht überbrücken kann. Der muss ausgetragen werden und es ist eben ein Fehler zu glauben, dass man immer Harmonie haben muss in der Politik. Man muss das auch ausstreiten, und das muss geschehen.

    Spengler: Herr von Dohnanyi, wenn Sie sagen, dass Kurt Beck überfordert war, sind Sie dann froh, dass die Episode Beck jetzt vorbei ist?

    von Dohnanyi: Nein, ich bin darüber nicht froh. Ich bin darüber nicht froh, aber ich begrüße natürlich, dass die Partei jetzt eine Entscheidung getroffen hat, nachdem Beck für sich persönlich diese Konsequenz gezogen hat, und dass da zwei Männer jetzt an der Spitze stehen, von denen man annehmen kann, dass sie mit den Fragen fertig werden können. Aber beide dürfen sich nicht davor scheuen, offen gegen diejenigen vorzugehen, deren Kopf nicht ausreicht, weil sie glauben, eine Welt vor sich zu haben, die wie die Welt vor 50 Jahren aussieht - und das tut diese Welt nicht mehr. Wir haben heute Konkurrenz von Polen bis China; das hatten wir vor 20, 25 Jahren nicht.

    Spengler: Was sollen Sie denn machen gegen den hessischen Kurs?

    von Dohnanyi: Gegen den hessischen Kurs? Ich hätte das nie zugelassen. Ich hätte immer gesagt, natürlich ist die Linke eine Partei. Sie ist gewählt. Man kann auch mit ihr reden. Aber solche Dummköpfe, die solchen Unsinn sowohl außenpolitisch wie innenpolitisch vertreten, die glauben, man könnte wieder die Energiewirtschaft verstaatlichen, während man sie gleichzeitig in Europa verflechten muss, solche dummen Leute, die solchen Unsinn erzählen, mit denen kann man nicht koalieren, auch wenn man mit ihnen reden kann und auch ein Glas Bier trinken.

    Spengler: Nun sind Sie ja nicht SPD-Vorsitzender. Also man hat nicht auf Sie gehört. Ist das Kind jetzt im Brunnen und kommt nicht wieder heraus?

    von Dohnanyi: Nein, nein. Das ist es nicht. Ich denke schon, dass diese beiden ja sehr ungewöhnlichen Männer, die jetzt dort an der Spitze stehen, als Kanzlerkandidat beziehungsweise zukünftiger Vorsitzender, das schon erkennen. Nur ich warne davor, dass man immer die Dinge im Kompromiss überkleistern darf und überkleistert. Das ist keine Politik in einer neuen Welt, in der wir mit ganz harten neuen Fakten konfrontiert sind, und wir müssen uns denen stellen, müssen unsere eigene Lage betrachten. Bildungspolitik zum Beispiel ist ungeheuer wichtig, aber wenn sie heute glauben, sie können durch die bessere Bildung von Dreijährigen die Probleme der deutschen Wirtschaft in den kommenden Jahren lösen. Diese Dreijährigen brauchen 20 Jahre, bis sie überhaupt richtig im Arbeitsmarkt sind. Und in der Zwischenzeit dürfen wir doch nicht die Arbeitsplätze alle verlieren. Wir müssen uns auf diese Zeit einrichten, wie sie jetzt ist, und trotzdem gute Bildungspolitik machen. Darüber muss man eben offen reden, und das geschieht aus meiner Sicht nicht offen genug.

    Spengler: Klaus von Dohnanyi plädiert mit offenen Worten für offene Auseinandersetzung innerhalb der SPD. Herr von Dohnanyi, danke für das Gespräch.