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"Er zitiert ununterbrochen Angela Merkel"

Das geplante Sparprogramm von Nicolas Sarkozy "geht weitgehend auf Kosten von denen, die weniger haben, zugunsten von denen, die sehr viel haben…", meint der Politikwissenschaftler und Publizist Alfred Grosser. Das sei von Anfang an Sarkozys Politik gewesen.

Alfred Grosser im Gespräch mit Jasper Barenberg | 09.11.2011
    Jasper Barenberg: Den Teufelskreis von wirtschaftlicher Stagnation, hoher Verschuldung und mangelnder Wettbewerbsfähigkeit überwinden, diese Parole hat Francois Fillon jetzt ausgegeben, der Ministerpräsident Frankreichs. Mit dem Segen seines Präsidenten Nicolas Sarkozy will die Regierung dem Land nicht weniger verordnen als das härteste Sparprogramm seit Kriegsende: weil sie befürchtet, die Bestnote für ihre Kreditwürdigkeit zu verlieren, weil das Wirtschaftswachstum noch geringer ausfallen dürfte, als ohnehin befürchtet. Die Mehrwertsteuer will Fillon deshalb erhöhen, die Franzosen sollen später in Rente gehen und Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 250 Millionen Euro werden zusätzlich zur Kasse gebeten. 65 Milliarden Euro sollen auf diese Weise in den nächsten Jahren zusammenkommen. Unverzichtbar nennt Sarkozy die Maßnahmen, aber sind sie auch sozial ausgewogen, wie die Regierung beteuert. Auch darüber habe ich mit dem französischen Politikwissenschaftler und Publizisten Alfred Grosser gesprochen.

    Alfred Grosser: Es war notwendig, dass man etwas klare Sprache spricht, und es heißt ja, dass Fillon schon angesagt hatte, es würde diesmal klar gesprochen werden, was voraussetzt, dass man vorher nicht klar gesprochen hat. Und wer bringt die Opfer? Das wird die eigentliche Diskussion sein mit Francois Hollande, mit dem sozialistischen Opponenten und Kandidaten für die Präsidentschaftswahl, denn es betrifft im großen und ganzen immer die, die wenig haben. Und das war die ganze Politik des Tous, der Vielhabenden und die Auferlegung von Restriktionen. Ich nehme nur ein Beispiel: Es sind in den letzten drei Jahren 60.000 Lehrerstellen gestrichen worden. Das soll Geld einbringen, also sparen. In Wirklichkeit sind die Schulen in einem desolaten Zustand, weil sie nicht genügend Lehrer haben, und man ruft dann Leute an, die mit Lehrfach nichts zu tun haben, also Leute, die außen stehen, um zu sagen, ersetzt mal die Lehrer ein bisschen, weil wir nicht genug Lehrer haben. Das ist nur ein Beispiel.
    Es heißt, auch die Krankenhäuser sollen sparen. Man streicht Stellen von Krankenschwestern und es gibt eben nicht genug Krankenschwestern. Auf der anderen Seite ist 2012 das beste Jahr für die Reichen, denn die Vermögenssteuer ist gesenkt worden und das Schutzbrett gegen Verdienste, ganz hohe, ist geblieben. "Bouclier fiscal" ist noch in diesem Jahr da. Also die einzelnen Maßnahmen sind noch nicht ganz klar, aber es geht weitgehend auf Kosten von denen, die weniger haben, zugunsten von denen, die sehr viel haben, und das war ja von Anfang an die Politik von Sarkozy.

    Barenberg: Und das heißt auch, Alfred Grosser, dass Sie mit Widerstand gegen dieses Sparprogramm rechnen, oder taugen Francois Fillon und auch Nicolas Sarkozy als Sparkommissare? Werden sie das durchsetzen können?

    Grosser: Ich weiß nicht, wie man verhindern kann, dass sie es durchsetzen. Die Mehrheit ist gefügig. Der Senat hat jetzt eine sozialistische Mehrheit, aber der Senat, unsere zweite Kammer, kann nichts verhindern. In der zweiten Lesung und in der dritten Lesung ist es bei ihnen genauso. Die Assemble National entscheiden. Und jeder will die Unterstützung des Präsidenten, um nächstes Jahr seinen Wahlkreis wieder zu gewinnen. Also ich glaube, dass es nicht verhindert werden kann. Und die Gewerkschaften sind etwas müde zu protestieren, die Lehrergewerkschaften auch. Ständige Streiks nützen da nichts. Und ich glaube, das Programm wird durchgesetzt, unter anderem, weil man auch weiß, dass es europäisch wichtig ist, dass man spart. Zum ersten Mal wird wirklich eingestanden, dass man die Schulden abbauen muss, dass man sonst das dreifache A verliert, und unser Präsident lebt in der Angst, dieses dreifache A zu verlieren.

    Barenberg: Und da stimmen Sie ihm jedenfalls in der Analyse zu, dass die Situation Frankreichs wirklich sehr prekär ist?

    Grosser: Sollte die Katastrophe passieren, dass Griechenland nicht mehr im Euro ist, dann ist eine Ansteckungsgefahr da: Spanien, Portugal und Frankreich. Und die Gefahr ist wirklich groß, und dann steht man da als, sagen wir mal, versagende Großmacht, eine Großmacht, die keine Mittel hat und die finanzpolitisch schlecht dasteht.

    Barenberg: Erstaunlich an dem, was Francois Fillon gestern angekündigt hat, ist ja auch, wie deutlich und wie offen er Deutschland als Vorbild nennt für das, was jetzt in Frankreich geplant ist.

    Grosser: Also das hat Sarkozy schon vorher gemacht in seiner langen, eine und ein viertel Stunde langen Erklärung am Fernsehen, die so war wie bei uns. Das heißt, er wusste im Voraus, welche Fragen ihm gestellt werden würden. Da kam schon ganz klar: er zitiert ununterbrochen Angela Merkel. Darüber hinaus aber scheint man wenig zu wissen, was in Deutschland vor sich geht, wie das alles geschehen ist und warum Frankreich wirtschaftlich gegen Deutschland nachhinkt. Zum Beispiel glaubt man, die Deutschen arbeiten so viel; in Wirklichkeit arbeiten sie etwas weniger als die Franzosen. Aber es gibt eine mittelständische Industrie, die es in Frankreich nicht gibt. Die "Machine Util", die Werkzeuginstrumente, werden in der ganzen Welt gefragt und Frankreich hat nur die ganz großen, hat Flugzeuge, hat die Raketen, aber es ist nicht der Wille im Ausland, französische Dinge zu beziehen, die man unbedingt braucht. Das ist die Überlegenheit Deutschlands. Ich würde sagen, das ist die mittelständische Industrie, und wir sind immer mehr desindustrialisié. Unsere Industrien brechen nach und nach zusammen. Das ist viel wichtiger. Und der Kampf gegen die Delokalisation, wenn man sich im Ausland niederlässt, sehen sie: Volkswagen ist triumphal dieses Jahr, verglichen mit Renault und Peugeot. Es ist nicht nur, weil man im Ausland Fabriken hat; es ist auch eine Auffassung des Betriebes, eine Auffassung auch des Sozialmodells des Betriebes, das besser ist in Deutschland. Es trifft natürlich, dass in Frankreich bemerkt worden ist, dass die Arbeitslosigkeit ständig abnimmt - in Frankreich nimmt sie ständig zu. Die Renten werden nächstes Jahr in Deutschland steigen, die Beiträge werden sinken; das ist in Frankreich heute unvorstellbar. Das ist das eigentliche Modell Deutschlands, aber die Ursachen, wodurch das möglich ist, werden von Sarkozy verkannt.

    Barenberg: Jetzt kommentieren ja einige französische Zeitungen jedenfalls, dass der Plan ein wenig dem gleicht, was Altbundeskanzler Gerhard Schröder seinerzeit von der SPD an harten Programmen – Stichwort Hartz IV – durchgesetzt hat. Sehen Sie denn Frankreich auf einem Weg in Richtung besserer Wettbewerbsfähigkeit beispielsweise? Auch das ist ja von Francois Fillon genannt worden als Vorbild.

    Grosser: Ja. Ich hoffe, es geht nicht auf Kosten zum Beispiel unseres Sozialversicherungssystems, das hervorragend ist, das aber jedes Jahr mehr Defizit macht. Man wagt aber nicht, hart zu verhandeln mit den Ärzteverbänden, und das ist genauso in Deutschland. Man wagt nicht, zu verhandeln mit der pharmazeutischen Industrie, das ist in Deutschland ganz genauso, und das sind Mächte, die Einfluss haben, die pharmazeutische Industrie zum Beispiel. Und man wird jetzt Geld nehmen von den Hilfsversicherungen, die fast jeder Franzose hat, der Mutuelle, und wenn ich etwas bezahlen muss bei der Sozialversicherung, springt die Mutuelle ein, und die sollen jetzt Milliarden hergeben und da gibt es einen enormen Protest. Aber der Protest hat keine politische Bedeutung.

    Barenberg: Hintergrund für dieses Sparprogramm sind ja sicherlich auch die Sorgen, die man sich im Kontext der gesamten Schuldenkrise macht. Jetzt ist seit einiger Zeit schon davon die Rede, dass Nicolas Sarkozy und Angela Merkel beide so eine Art Direktorium innerhalb der Europäischen Union bilden. In Frankreich spricht man, glaube ich, schon von Merkozy.

    Grosser: In der deutschen Presse auch!

    Barenberg: In der deutschen Presse auch. – Für wie tragfähig halten Sie dieses Modell?

    Grosser: Der deutsch-französische Motor funktioniert in diesem Sinne wieder. Es ist kein Steuerrad. Die anderen sind frei oder nicht, die Vorschläge zu respektieren. Aber es trifft sich, dass bei den verschiedenen Tagungen, die in den letzten Tagen und Monaten stattgefunden haben, die beiden zusammengespielt haben. Was ihr persönliches Verhältnis ist, ist eine völlig andere Frage, aber das ist nicht so wichtig, denn sie machen zusammen und geben das Bild eines Duetts, das versucht, Lösungen den anderen aufzuerlegen. Das funktioniert mit Griechenland. Es war eine ganz harte Art, Erpressung zu machen, eine gute Erpressung, zu sagen, wenn ihr euer System nicht ändert, wenn es nicht eine neue Regierung gibt, dann können wir kein neues Geld nach Griechenland überweisen. Das ist Erpressung, aber gute Erpressung.

    Barenberg: Sie haben also keine Sorge, dass angesichts dieses Direktoriums, dieses Duetts, wie Sie es nennen, die kleineren, die mittleren EU-Mitgliedsländer unter die Räder kommen, dass auch das EU-Parlament, die Kommission nur noch eine Nebenrolle spielen?

    Grosser: Nein. Das EU-Parlament sollte endlich auch in Deutschland anerkannt werden. Wenn immer die Rede ist von einem Mangel an Legitimität in Europa, was ist denn das Europaparlament, wenn nicht eine legitime demokratische Institution. Und ich glaube, dass die kleinen protestieren, aber das schlimmste größte ist ja Großbritannien. Großbritannien verhindert alles. In Brüssel sind übrigens die britischen Bürokraten die besten, um alles zu verhindern. Und von außen ist der Verrat für mich ist in London, wie die Liberalen, die zum ersten Mal in der Regierung sind, schon im Regierungsvertrag kapituliert haben und gesagt haben, es soll keine Verbesserung der europäischen Politik geben.

    Barenberg: Anders herum gibt es bei uns die ersten Stimmen, Hans-Olaf Henkel ist eine davon, der frühere Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, die ganz öffentlich und ganz klar davon sprechen, dass man Europa in Zukunft aufteilen sollte in eine harte Euro-Zone, die würde aus den Ländern des Nordens bestehen, Deutschland, Finnland, Niederlande, Österreich, und den Südländern mit einer weichen Währung, und dazu zählt Herr Henkel auch Frankreich.

    Grosser: Ja, aber der wichtigste deutsche Bankier, der übrigens ein Schweizer ist, hat in Paris gesprochen und hat hier wieder gesprochen im Sinne einer europäischen Einigung, die viel intimer ist.

    Barenberg: Josef Ackermann von der Deutschen Bank!

    Grosser: Josef Ackermann, der noch europäischer ist, als mein Freund Schäuble kann man nicht sein, aber mindestens so europäisch ist wie Schäuble, und das ist eine Art Bekehrung von Ackermann.

    Barenberg: Der französische Politikwissenschaftler und Publizist Alfred Grosser im Deutschlandfunk.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.