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Erbgut, Ethik, Embryonen

Von der Genforschung über den Gesundheitswahn bis zur Sterbehilfe - in "Baustelle Körper" gibt der Philosoph Franz Josef Wetz eine gut lesbare Übersicht zur bioethischen Debatte.

Von Thomas Kleinspehn | 18.09.2009
    Gewöhnlich werden Fragen der Bioethik höchst kontrovers diskutiert. Themen wie Stammzellenforschung, Forschungen an Embryonen oder Neuroimplantate polarisieren. Deshalb fällt ein Buch besonders auf, das versucht, diese Fragen nüchtern und gelassen anzugehen - vielleicht zu nüchtern.

    "Baustelle Körper" von Franz Josef Wetz ist eine Studie, die nicht einem einzigen bioethischen Diskurs nachgeht, sondern in seinen 14 Kapiteln den großen Bogen schlägt zu vielen Bereichen naturwissenschaftlicher Eingriffe in den menschlichen Körper: von der Medizin über den Gesundheitswahn und Extremsportarten bis zur Sterbehilfe.

    "Ich vertrete eine sehr liberale Biopolitik. Wenn Sie so wollen, ist das das Grundcredo dieses Buches. Es bezieht ganz klar Position, und ich nehme auch in all diesen Fragen, die hier abgehandelt werden, ganz konkret Stellung und befürworte eine bestimmte Praxis: möglichst darauf zu gucken, dass die Freiheitsinteressen und die Heilungsinteressen weltanschaulichen Positionen übergeordnet bleiben - und, wenn möglich, die Freiheitsinteressen noch über den Heilungsinteressen stehen."

    Je mehr der Körper in den letzten 100 Jahren - zum Beispiel im Bereich der Arbeit - an Bedeutung verliert, desto mehr beschäftigen wir uns mit ihm. Er wird gepflegt und gehegt. Aus der Sicht des Philosophen Franz Josef Wetz werden so Gesundheit, Sport, Luststeigerungen die zentralen Bezugspunkte. Im größeren Kontext eines allgemeinen Körperdiskurses verändert sich ebenfalls die Perspektive auf die umstrittenen bioethischen Themen. Wetz argumentiert hier gegen jede Dramatisierung.

    "Ich beobachte, dass gerade in der bioethischen Diskussion solche überzogenen Dramatisierungen immer wieder stattfinden, angeheizt von Wissenschaftlern, die eine sehr dezidierte und geradezu dogmatische Meinung in diesen Fragen vertreten; aber auch angeheizt von den modernen Medien, oftmals auf Kosten der Sachinformation. Nehmen Sie beispielsweise die Diskussion um die Patentierung von Genen. Dann ist die große Leitfrage immer, darf menschliches Leben patentiert werden, sind denn Gene überhaupt möglich, zum Eigentum einer Firma, eines Staates oder eines Forschers zu machen? Ist das nicht allgemeines Erbe der Menschheit? Wenn man näher hinschaut, geht es bei der Patentierung der Gene gar nicht darum, Gene zu patentieren, sondern es geht darum, Erfindungen, Verfahrenswege, ökonomisch verwertbare Prozesse, die man durch Verarbeitung bestimmter Gene zur Gewinnung von bestimmten Medikamenten nutzen kann, diese - gewissermaßen - Schutzrechte zu geben."

    Vor diesem Hintergrund entwickelt der in der Ethikausbildung für Lehrer an der Pädagogischen Hochschule in Schwäbisch Hall beschäftigte Franz Josef Wetz eine liberale Biopolitik, die sich an dem ausrichtet, was er "Heilungs- und Freiheitsinteressen der Bürger" nennt. Das bedeutet konkret, dass er weniger mit Menschenwürde, Datenschutz oder anderen allgemeinen Menschenrechten argumentiert. Vielmehr versucht er, in erster Linie von der individuellen Ebene aus zu denken. So könne man beispielsweise durchaus genetische Eingriffe bei der Bekämpfung schwerer Krankheiten vertreten, wie sie die moderne Medizin derzeit anstrebt. Diese negative Eugenik widerspreche nicht dem Würdeanspruch der Menschen, im Gegenteil.

    "Sie können natürlich Embryonen nach dieser Position gar keine Würde zuerkennen. Sie kommen auch zu dem Ergebnis, dass Embryonen noch keine Freiheitsinteressen haben und überhaupt keine Interessen haben, sodass ich im Bereich der Embryonenforschung durchaus für eine sehr liberale Haltung eintrete. Ähnlich ist es dann auch im Bereich des Schwangerschaftsabbruches, auch wenn es um die Sterbehilfe geht, dort bin ich dezidiert der Meinung, dass hier die Selbstbestimmung über den Lebensschutz gestellt werden sollte, weil jeder Versuch, den Lebensschutz wieder der Selbstbestimmung überzuordnen und dies stichhaltig zu begründen, mich in weltanschaulich, metaphysische Fragen verstricken würde."

    Anders als der "negativen" will Franz Josef Wetz der "positiven Eugenik" jedoch eher Grenzen setzen. So werde bei Versuchen, den Menschen zu perfektionieren, zwar nicht grundsätzlich seine Selbstachtung verletzt, etwa wenn Eltern ihre Nachkommen nach ihren Vorlieben im Rahmen des medizinisch möglichen zu formen versuchen. Dennoch sieht er hier die Gefahr, dass "menschenverachtende Ziele und Motive" bei den Entscheidungen eine Rolle spielen könnten. Sie müssten gesellschaftlich reguliert werden.

    Im Rahmen des gesamten Spektrums biopolitischer Eingriffe stellen diese Begrenzungen jedoch seiner Meinung nach eher Ausnahmen dar. Eigentlich will er in der Biopolitik größere Entscheidungsspielräume für jeden Einzelnen, als sie derzeit vorhanden sind. Doch mit seiner liberalen Haltung gerät der Autor leicht in schwieriges Fahrwasser. Denn bei der Definition körperlicher Ideale stellt sich ebenso wie bei der Embryonenforschung oder der Fortpflanzungsmedizin die Frage, wer die Grenzen definiert. Oft ist es nur schwer zu sagen, wo die "freie Selbstbestimmung" endet und der gesellschaftliche Druck beginnt. Bis zu einem bestimmten Punkt sieht Wetz das auch so:

    "Dann wäre Ihre eigene freie Selbstbestimmung natürlich durch die Umstände mehr oder weniger imprägniert. Sie wäre beeinflusst und da muss dann auch genau geguckt und differenziert werden, wie frei dann wirklich die Entscheidung hier gefallen ist, wie sehr es dann wirklich auch dem Menschen gemäß ist, was er hier möchte. Und das kann letztendlich - wenn es um den Bereich der Sterbehilfe geht - jedoch nur die Situation entscheiden, in der wir uns befinden."

    Sein Buch gibt eine gut lesbare Übersicht zur bioethischen Debatte. Bei allen Versuchen, sich vom weltanschaulichen und ideologischen Ballast zu befreien, bleibt diese Studie aber doch in Widersprüchen gefangen. Sie geht letztlich davon aus, dass es individuelle und freie Entscheidung jedes Einzelnen geben kann, die gänzlich unabhängig von kulturellen und gesellschaftlichen Normen sind. Wetz selbst spricht an einer Stelle von der "Verführung durch das Machbare". In einer Erlebnis- und Spaßgesellschaft ist das "Anything Goes" nie ohne Ideologie zu haben. Das kollektive Ringen um politische und gesellschaftliche Definitionen von Normen bleibt deshalb auch in der "Baustelle Körper" unerlässlich.

    Franz Josef Wetz: Baustelle Körper. Bioethik der Selbstachtung
    Klett-Cotta 2009, 24,90 Euro