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Erdbeben in Italien
Renzi verspricht schnellen Wiederaufbau

Schätzungen zufolge sind 50 bis 60 Prozent der Häuser in Italien nicht erdbebensicher - obwohl die Bauvorschriften nach dem schweren Beben von 2009 verschärft wurden. Selbst wenn sich Regierungschef Matteo Renzi nun als Krisenmanager präsentiert, sicherer werden Italiens Gebäude wohl auch in Zukunft nicht.

Von Kirstin Hausen | 26.08.2016
    Ein Haus in Amatrice (Provinz Rieti) liegt am 25.08.2016 in Trümmern. Ein starkes Erdbeben in Mittelitalien am 24.08.2016 forderte 267 Menschenleben.
    Ein zerstörtes Haus in Amatrice. (dpa/ Maurizio Gambarini )
    Matteo Renzi versucht sich als Krisenmanager zu profilieren. Er war schnell vor Ort, sprach im Erdbebengebiet mit Helfern und Betroffenen. Der italienische Premier berief außerdem eine Sondersitzung des Kabinetts ein. Renzi verspricht, was bereits seine Vorgänger bei den Erdbeben 2009 in den Abruzzen und 2012 in der Region Emilia Romagna versprachen: Nothilfe für die betroffenen Familien, einen raschen, reibungslosen Wiederaufbau und mehr Vorsorge durch schärfere Gesetze. Aus Sicht des Seismologen Paolo Valisa werden Baugenehmigungen in Italien aber nach wie vor zu leichtfertig vergeben.
    "Allgemein stehen die Kosten im Vordergrund. Es geht um starke wirtschaftliche Interessen. Das führt dazu jeden Quadratmeter Land zu nutzen, auch dort, wo das Risiko von Erdrutschen, Erdbeben und Überschwemmungen hoch ist."
    Ein Hubschrauber des italienischen Fernsehens kreist über dem Erdbebengebiet, über dem Ort Amatrice, der fast komplett zerstört wurde. Im Jahr 1636 gab es hier schon einmal ein verheerendes Erdbeben.
    400 Jahre sind vergangenen und nichts habe sich geändert, sagt der Journalist an Bord des Hubschraubers. Die Häuser von heute seien eingestürzt wie die Häuser von damals.
    Kritik an neuen Bauvorschriften
    Und doch hat Italien nach dem schweren Erdbeben in den Abruzzen im Jahr 2009 die Bauvorschriften verschärft, um mehr Sicherheit im Falle eines Erdbebens zu garantieren. Davon betroffen sind jedoch nur Neubauten, kritisiert Armando Zam, Präsident des italienischen Ingenieursverbandes.
    "In den vergangenen 40 Jahren hat unser Land 147 Milliarden Euro für den Wiederaufbau nach Erdbeben ausgegeben, das sind drei Milliarden pro Jahr. Wenn wir dieses Geld investiert hätten, um bestehende Gebäude sicherer zu machen, dann hätten wir weit weniger Schäden gehabt. 50 bis 60 Prozent aller Gebäude in Italiens sind nicht erdbebensicher!"
    Dabei bebt die Erde in Italien regelmäßig und fast überall. Ob im Friaul ganz im Nordosten, wo vor 40 Jahren fast tausend Menschen starben, in Mittelitalien oder auf Sizilien. Das ganze Land vom Norden bis zum Süden liegt eingeklemmt zwischen der afrikanischen und der eurasischen Erdplatte. Durch ihren Zusammenstoß waren einst die Alpen aufgefaltet worden. Im Bereich der Ostalpen schiebt sich die Afrikanische Platte in 15.000 m Tiefe unter die Eurasische Platte. Damit nicht genug, gleichzeitig gibt es auch noch unterirdischen Druck von Osten nach Westen. Sichtbarer Ausdruck dessen ist die Bergkette des Apennin, so der Seismologe Paolo Valisa von der Erdbebenmessstation im norditalienischen Varese.
    "Die geologische Situation in Italien ist sehr komplex. Auf der einen Seite haben wir eine Erdplatte, die nach Norden Richtung Alpen drängt. Auf der anderen Seite Korsika und Sardinien, die beiden Inseln bewegen sich ostwärts auf das italienische Festland zu. Das Mittelmeer wird so zusammengedrückt und unter den Apennin geschoben.
    Es fehlt eine kritische Öffentlichkeit
    Das alles ist bekannt. Auch den Behörden. Dank der Messstationen im ganzen Land und der Datenauswertung durch das Nationale Institut für Geophysik liegen Statistiken und Risikoeinschätzungen für beinah jeden Kirchturm vor. Ganz Italien ist in unterschiedliche Risikostufen eingeteilt. Was fehle, sei eine kritische Öffentlichkeit, so Massimo Cialente, Bürgermeister von L'Aquila in den Abruzzen.
    "In unserem Land muss sich jetzt die Meinung durchsetzen, dass wir einen kulturellen Sprung nach vorne machen müssen. Wir sind alle schuld am Tod dieser beiden Kinder, die ich mit eigenen Augen in Amatrice aufgebahrt gesehen habe. Entweder ändern wir unsere Mentalität und stellen unsere Eigeninteressen hinten an oder es wird immer so weiter gehen. Das sage ich, obwohl es politisch nicht korrekt sein mag."
    Hausgemachte Schäden
    Denn dass die durch Erdbeben entstandenen Schäden hausgemacht sind, die Todesopfer vermeidbar gewesen wären, das sagt kein italienischer Politiker gerne, auch Matteo Renzi kommt das nicht über die Lippen. Er lobt den unermüdlichen Einsatz des Zivilschutzes und die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, aber er verschweigt, dass seine Regierung einen Passus zur Erdbebengefahr aus dem Gesetz über die Nutzung von Grund und Boden gestrichen hat – trotz der Warnungen von Seismologen. Zu stark sind wirtschaftliche Interessen im dicht besiedelten Italien, wo Wohnraum knapp ist.