Freitag, 19. April 2024

Archiv


Erdbebensensor fürs Eigenheim

Technik. - Bei Erdbeben entscheiden Sekunden, ob man noch aus dem einstürzenden Gebäude herauskommt oder nicht. Genau diese Sekunden möchte ein deutsches Unternehmen Menschen in Erdbebengebieten geben: Ihr Frühwarnsystem schlägt Alarm, kurz bevor das Erdbeben zuschlägt.

Von Monika Seynsche | 31.03.2010
    Jürgen Przybylak steht im Gewerbegebiet von Castrop-Rauxel in einem engen Büro. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein schuhkartongroßer Plastikkasten, mit einem unscheinbaren Display und einer kleinen Tastatur.

    "Die Bedienbarkeit ist eigentlich sehr simpel, heißt für den Hausmeister, er hat nicht viele Funktionen jetzt zu machen."

    Der Chef der Firma sectyelectronics tippt sich durch das Menü des grauen Kastens. In dem Gehäuse selbst steckt ein Sensor, der auf Bewegungen reagiert. Entwickelt hat ihn die Firma gemeinsam mit dem Geoforschungszentrum Potsdam. Eigentlich sehr simpel, das ist Plug and play. Ist die Bewegung sehr stark, meldet der Sensor Alarm.

    "Es ist ziemlich laut, ich weiß nicht, soll ich's machen?"

    Jürgen Przybylak rüttelt an dem Kasten.

    Jedes Erdbeben kündigt sich durch charakteristische Wellen an. Zuerst kommt eine sehr schnelle, aber ungefährliche: die Primär- oder P-Welle. Eine vertikale Bewegung wie ein Schlag von unten, der für den Menschen nicht wahrnehmbar ist. Ihm aber folgt die zerstörerische Sekundärwelle oder kurz S-Welle. Diese Welle läuft horizontal, lässt den Boden seitwärts ruckeln, bringt zusammen mit den ihr folgenden Oberflächenwellen Gebäude zum Einstürzen, zerreißt Straßenbeläge und Brücken. Der Sensor in Jürgen Przybylaks grauem Kasten nun nimmt sowohl die vertikalen als auch die horizontalen Bewegungen wahr. So kann er schon die harmlose Primärwelle erkennen und Alarm schlagen, bevor die zweite, zerstörerische Welle kommt.

    "Wir schauen in den ersten Peaks dieser Welle rein und sagen in Bruchteilen einer Sekunde, dass die nachfolgende S-Welle an diesem Ort gefährlich wird und schalten sofort auf Alarm und schalten dann alles, was das Gebäudemanagement möchte, dementsprechend ab oder an."

    Wie etwa den Gashahn oder die Stromzufuhr. Allerdings schlägt der Kasten nicht nur bei ersten Erdbebenwellen Alarm, sondern eben auch, wenn Jürgen Przybylak ihn schüttelt, wenn ein LKW gegen die Hauswand fährt, oder jemand mutwillig auf den Kasten schlägt. Deshalb installieren die Entwickler mehrere der Sensoren an verschiedenen Stellen im Gebäude. Und nur, wenn eine Erschütterung von vielen Sensoren gleichzeitig wahrgenommen wird, springt die Sirene an.

    "Das ist auch ganz wichtig dabei, dass eben keine Fehlalarme ausgelöst werden. Sobald Sie Fehlalarme auslösen, machen Sie das zwei-, dreimal und dann ist das System unglaubwürdig. Wir haben also bis zum heutigen Tage von 2006 noch keinen Fehlalarm ausgelöst."
    In den vergangenen vier Jahren hat Jürgen Przybylaks Firma ihr Erdbebenfrühwarnsystem in der Türkei, Haiti, Afghanistan, Chile, Griechenland, den USA und zahlreichen weiteren Ländern installiert. Er ist überzeugt davon, dass jedes Gerät im Ernstfall sehr viele Menschenleben retten kann.

    "Bei diesen schweren Erdbeben in Haiti und Chile sind die Erdbeben nachts passiert und die Menschen werden wach und da ist das Erdbeben schon 30 Sekunden zugange vielleicht, und die fallen aus dem Bett und können irgendwo nur noch hinkriechen. Wenn in dem Moment aber schon was runterfällt oder die Decke kommt runter, dann ist man verschüttet."

    Warne das System aber auch nur 2 Sekunden vor Beginn des Erdbebens, könnten sich viele Menschen noch in Sicherheit bringen, bevor die Bewegungen des Untergrunds so stark werden, dass sie Gehen oder Rennen unmöglich machen.

    Den größten bisherigen Erfolg hat das Unternehmen bei dem schweren Februarbeben in Chile gehabt. In Santiago de Chile hatten Jürgen Przybylak und seine Kollegen vor einem Jahr ihr Erdbebenfrühwarnsystem in der deutschen Schule installiert.

    "Dort hat das System 15 bis 20 Sekunden vorher, gewarnt. Der Hausmeister von dieser Schule hat diesen Alarm gehört, ist rausgelaufen, weil er den noch nicht kannte und auf dem Weg zur Sirene hat er gesagt, ‚das könnte das Erdbebensystem sein', ist wieder zurück gelaufen zu seiner Familie, hat seine Familie rausgeholt und in dem Moment, wo seine Familie in Sicherheit war, dann fing die Erde an zu beben."

    Jürgen Przybylaks Firma ist klein, das Büro eng, und die 40 bislang installierten Frühwarnsysteme haben er und seine Kollegen allesamt in Handarbeit zusammen geschraubt. Aber ihr System hat sich sowohl in der Praxis als auch in wissenschaftlichen Tests des Geoforschungszentrums Potsdam bewährt. Und auch Christian Bönnemann, der Leiter des Seismologischen Zentralobservatoriums in Hannover, hält es prinzipiell für eine gute Idee. Er hat nur einen Einwand:
    "Also wir als Seismologen wissen: Kein Beben gleicht dem anderen und natürlich werden Erfolge herausgestellt, das ist auch gut so, dass die Erfolge eintreten, aber das gibt uns keine Garantie, dass es bei andersgearteten Beben auch wieder zum Erfolg kommt."

    Um mit letzter Sicherheit sagen zu können, dass das System vor jedem Erdbeben warnt, müsse seine Funktion nun über viele Jahre hinweg beobachtet werden.