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Erdbeergeschmack ohne Erdbeeren

Die EU hat eine neue Liste mit erlaubten Zusatzstoffen in Lebensmitteln vorgelegt. Ernährungsexperte Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg hält die Liste jedoch für nutzlos. Auf einem Erdbeerjoghurt etwa dürften weiterhin "natürliche Aromastoffe" angegeben sein - die gar nicht aus der Erdbeere stammen müssten.

Armin Valet im Gespräch mit Jule Reimer | 22.04.2013
    Jule Reimer: Naturidentisch, künstlich, natürlich - für Verbraucher waren die Bezeichnungen für Aromen in Lebensmitteln bislang ein beständiges Ärgernis: Verwirrende, unbestimmte Begriffe, bei denen keiner verstand, um welche Inhaltsstoffe es sich tatsächlich handelte. Jetzt hat die Europäische Union eine neue Positivliste vorgelegt – aber, so schimpfen Verbraucherschüt¬zer, für den Konsumenten wird der Aromadschungel keinesfalls übersichtlicher. Frage an den Ernährungsexperten Armin Valet bei der Verbraucherzentrale Hamburg: Warum nicht?

    Armin Valet: Ja, weil erst mal diese Liste letztendlich Stoffe beinhaltet, chemische Stoffe, die auf der Verpackung letztendlich nicht zu finden sind, auf dem Etikett. Auf dem Etikett steht immer nur drauf "Aroma" oder "natürliches Aroma", also der Wirrwarr geht weiter. Für die Verbraucher bringt diese Liste nichts. Sie ist quasi unbrauchbar.

    Reimer: Einen kleinen Vorteil gibt es ja offenbar: Diese Kategorien, die vorher auch keiner so richtig verstand, nämlich "naturidentisch" und "künstlich", wurden ja immerhin abgeschafft. Aber dann sagen Sie uns doch mal: Was heißt denn "natürliches Aroma", oder was heißt es, wenn da nur "Aroma" steht?

    Valet: Da bleibt noch viel Raum für Unklarheiten. Bisher gibt es nur die Kategorien "natürliche Aromastoffe" und "Aromastoffe". Aber wenn zum Beispiel auf einem Erdbeerjoghurt draufsteht "natürlicher Aromastoff", dann bedeutet das nicht, dass diese Stoffe aus der Erdbeere gewonnen werden. Im Gegenteil: Sie können biotechnologisch hergestellt werden, aus ganz anderen Rohstoffen. Und noch verwirrender wird es, wenn darauf steht "Erdbeeraroma". Das bedeutet nur, dass es nach Erdbeere schmecken muss, aber nicht aus der Erdbeere stammt. Also Sie sehen: Das ist ganz, ganz schwierig, auch wenn zwei Kategorien abgeschafft wurden. Und da hat man versäumt, wirklich verbrauchernah die Etiketten so zu gestalten, dass jeder das Etikett auch versteht.

    Reimer: Klären Sie uns ganz kurz auf. Was ist denn stattdessen drin, wenn es nach Erdbeere schmeckt?

    Valet: Ja. Die Aromastoffe werden nachgebaut. Zum Teil im Labor, zum Teil sind es Stoffe, die in der Natur gar nicht vorkommen. Und die schmecken dann letztendlich nach Erdbeere, aber haben mit der Erdbeerfrucht an sich wenig zu tun. Da ist natürlich auch unsere Kritik: Aroma wird vor allem benötigt, um möglichst günstig Lebensmittel herzustellen, und die Stoffe, die eigentlich darin sein sollten, nämlich Früchte, die kann man dadurch sparen.

    Reimer: Um wie vieles günstiger ist das dann?

    Valet: Wir haben das mal ausgerechnet. Zum Beispiel für Himbeeren ist es so: Ein Himbeeraroma gibt es für sechs Cent, um da 100 Kilo Joghurt letztendlich aromatisieren zu können. Würde man echte Himbeeren einsetzen, dann würde das mit 30 Euro zu Buche schlagen. Da sehen Sie, welche Spanne darin ist. Und dann ist es technologisch natürlich viel einfacher zu verarbeiten, Aromastoffe, eine Flüssigkeit gegenüber dem natürlichen Produkt. Und das ist ärgerlich und darum meinen wir, muss das auch vorne klar und deutlich auf die Vorderseite drauf, wenn ein Produkt aromatisiert ist. Und es darf nicht im Kleingedruckten noch verwirrend irgendwo in der Zutatenliste stehen.

    Reimer: Kommen wir noch mal zurück auf das Erdbeeraroma. Wenn da jetzt draufsteht "Erdbeerjoghurt mit natürlichem Aroma", sind das dann die berühmten Holzspäne, die den Erdbeergeschmack machen? Das ist ja natürlich.

    Valet: Genau. Bestimmte Aromastoffe, die in der Erdbeere vorkommen, in der natürlichen Erdbeere, kann man tatsächlich durch bestimmte Hölzer oder aus bestimmten Hölzern extrahieren. Die kommen da auch vor und Sie sehen, dann hat das Produkt wenig mit der Erdbeere selbst zu tun. Aber die Holzspäne selbst sind natürlich nicht im Joghurt drin. Sondern es kann aus Hölzern gewonnen werden und es wird dann im Labor zusammengemixt, dass es so schmeckt wie Erdbeere. Und da sehen wir noch mal auch das Problem: Oftmals sind die Produkte überaromatisiert. Kinder vor allem gewöhnen sich an diesen Kunstgeschmack und finden nicht mehr die natürliche Erdbeere gut. Und das kann zu Übergewicht führen, das kann auch wirklich zu einer Entfernung vom natürlichen Essen letztendlich führen.

    Reimer: Die Kennzeichnung von Aromazusätzen in Lebensmitteln bleibt eine Mogelpackung. Das sagt der Ernährungsexperten Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg. Ich danke Ihnen für das Gespräch.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.