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Erdgas: das Erdöl der Zukunft?

Chemie.- Die Weltbevölkerung wächst und wächst. Besonders sogenannte Schwellenländer wie China oder Indien entwickeln sich rapide. Droht damit eine Knappheit wichtiger Rohstoffe? Auch Deutschland muss sich diese Frage stellen.

Von Volker Mrasek | 12.01.2010
    Genauso wie der Energie- und Verkehrsektor hängt die chemische Industrie nach wie vor am Tropf des Erdöls. Der Großteil ihrer Produkte entsteht zunächst in Raffinerien und wird aus Naphta hergestellt, aus Rohbenzin. Bei 80 Prozent aller Kunst- und Kohlenstoffverbindungen der organischen Chemie steht Öl so am Anfang der Wertschöpfungskette. Experten sehen das mit Sorge. So auch Wilhelm Keim, früherer Direktor des Instituts für Technische Chemie an der RWTH Aachen:

    "Wenn man sich die Reichweiten anschaut, dann rechnet man beim Erdöl 40 bis 50 Jahre. Nun wird der Erdöl-Preis steigen, und die Verfügbarkeit wird über den Preis geregelt werden. Das trifft die deutsche Industrie besonders hart. Denn 30 Prozent der Kosten sind bereits Materialkosten, also Rohstoffkosten."

    Damit sie nicht weiter ausufern, legen die vier chemischen Fachorganisationen jetzt ihr Positionspapier vor. Es enthält den Appell, die Rohstoff-Basis in der organischen Chemie zu verbreitern und sich so aus der Abhängigkeit vom Erdöl zu lösen. Wilhelm Keim ist einer der Hauptautoren des Papiers, in dem es heißt, die Weichen in der Forschung müssten jetzt gestellt werden:

    "Wir möchten eigentlich mit dem Papier die Entscheidungsträger darauf aufmerksam machen: Ihr müsst Euch Gedanken machen."

    Gedanken zum Beispiel darüber, wie man Bio-Raffinerien der zweiten Generation weiterentwickelt. Sie verwerten nicht mehr Mais, Weizen oder andere Feldfrüchte, die auch Ernährungszwecken dienen, sondern nur noch pflanzliche Reststoffe wie Holzabfälle oder Stroh. Doch wirklich effiziente und rentable Verfahren dafür gibt es noch nicht. Eine andere Option: Erdgas könnte Erdöl als Rohstoff stärker ersetzen. Es ist zwar selbst fossilen Ursprungs, aber länger verfügbar. Aus dem im Erdgas enthaltenen Methan lässt sich zum Beispiel der Brennstoff Methanol herstellen, wie Wilhelm Keim sagt. Doch dafür seien heute noch aufwendige Prozess-Zwischenschritte nötig:

    "Der Schlüssel wäre natürlich, wenn man Methan direkt zu Methanol umsetzen könnte. Das wäre zum Beispiel ein Thema für die Forschung."

    Langfristig können sich die Experten sogar eine Industriechemie auf der Basis von Kohlendioxid vorstellen. Das Verbrennungsabgas ist reichlich vorhanden, aus thermodynamischer Sicht aber schwer zu knacken. Man bräuchte sehr große Energiemengen, um es chemisch zu reduzieren und weiterzuverarbeiten. Doch im Prinzip wäre das möglich:

    "Nehmen wir mal an, wir würden all diese wunderschönen Sonnennutzungen sehen in der Sahara und die ganzen Windmühlen in der Nordsee. Dann könnten wir das CO2 in Methanol umwandeln. Wenn wir also preiswerte Energie hätten, dann haben wir kein Problem."

    Bei den anorganischen Rohstoffen sehen die Chemie-Organisationen die Lage entspannter. In ihrem Positionspapier nennen sie beispielhaft die Edelmetalle Platin und Palladium für Abgas-Katalysatoren. Michael Röper, Direktor im Bereich Forschungskoordination beim Chemiekonzern BASF in Ludwigshafen:

    "Nach heutigem Verbrauch ist es so, dass bei den Edelmetallen eine Reichweite von etwa 150 bis 200 Jahren zu erwarten ist. Da man diese Edelmetalle ganz gut recyclen kann, glauben wir, dass langfristig die Edelmetalle nicht knapp werden."

    Ein Problem sehen Röper und seine Kollegen aber schon, genauso bei Phosphaten für Düngemitteln oder bei Lithium für Auto-Batterien: Es gibt nur wenige Länder, die diese Bodenschätze fördern. Das birgt das Risiko für Kartell-Bildungen und Preissprünge. Auch aus diesem Grund seien die stoffliche Wiederverwertung und auch andere Vorsorgemaßnahmen sinnvoll:

    "Die chemische Industrie hat zum Beispiel eine gewisse Vorratshaltung bei Edelmetallen, um da im Zweifelsfall nicht davon abhängig zu sein, dass eben kein Edelmetall verfügbar ist."