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Erdgasfeld Groningen
90.000 Gebäude gefährdet

Seit mehr als zehn Jahren treten rund um das Erdgasfeld im niederländischen Groningen Erdbeben auf. Obwohl der Wert der Magnitude mit höchstens 3,6 eher ungefährlich klingt, ist es doch zu erheblichen Gebäudeschäden gekommen. Allein die Wertminderung für die Bauwerke in der Region wurde von einem Gericht auf fünf Milliarden Euro festgesetzt.

Dagmar Röhrlich im Kollegengespräch mit Ralf Krauter | 23.11.2015
    Ein Demonstrant gegen die Erdgasförderung in Loppersum hält ein Schild hoch mit der Aufschrift "Take, took, taken our gas"
    Demonstration gegen die Erdgasförderung in Loppersum (picture alliance / EPA / Catrinus van der Veen)
    Ralf Krauter: Jetzt hat ein Gericht eine weitere Entscheidung gefällt - welche?
    Dagmar Röhrlich: Es geht um eine Entscheidung des Staatsrats der Niederlande. Die besagt, dass die Regierung bei der Festsetzung der Produktion aus dem Groningenfeld die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung zu wenig berücksichtigt habe. Deshalb soll die Gasförderung - bis Oktober 2016 und damit vorübergehend, wie es heißt - von derzeit 33 Milliarden Kubikmeter auf höchstens 27 Milliarden Kubikmeter pro Jahr reduziert werden. Sollte der Winter streng werden, sodass mehr gebraucht wird, darf die Produktion bis zum Ende 2016 erhöht werden, aber nur dann. Damit ist die Förderung gegenüber 2014 von mehr als 42 Milliarden Kubikkilometer bereits um mehr als ein Drittel reduziert worden.
    Krauter: Bringt das überhaupt was, die Gasförderung jetzt zu drosseln? Oder ist es dafür nicht schon zu spät?
    Rörlich: Weil die Beben anscheinend auch der Abbaufront folgen, bringt die Reduktion der Förderung schon etwas, die - wenn man so will - akuten Spannungen werden geringer, aber das Problem ist damit nicht vom Tisch. Es gibt keine einfache Beziehung zwischen der Gasproduktion und den Erdbeben. Bevor die ersten Beben auftraten, lief die Förderung schon Jahrzehnte - inzwischen bringt sie es auf fast ein halbes Jahrhundert. In dieser Zeit haben sich im Untergrund hohe Spannungen aufgebaut. Selbst wenn wir jetzt die Förderung stoppten, hören die Beben nicht auf, denn diese Spannungen existiert ja weiter: Der Zusammenhang zwischen Gasproduktion und den Beben ist kompliziert und hat immer einen Zeitverzug. Es muss sich erst ein neues Gleichgewicht einstellen. Die Erdbeben werden also so schnell nicht aufhören.
    Hypozentren der Beben sind sehr flach
    Krauter: Die Magnituden sind ja mit 3,6 maximal nicht sehr groß, trotzdem sind einer Studie der Technischen Universität Delft zufolge fast 90.000 Gebäude in dem dünn besiedelten Landstrich im Norden der Niederlande gefährdet - warum?
    Rörlich: Einmal sind die Hypozentren der Beben sehr flach - sie liegen dort, wo das Gas gefördert wird - also in einer Tiefe von etwa drei Kilometern. Bei einem Beben in nur drei Kilometern Tiefe gelangt viel mehr Energie an die Oberfläche als bei einem gleich starken Ereignis in zehn und mehr Kilometern - also dort, wo normale, tektonische Beben ihren Ausgang nehmen. Das heißt, die Bodenbewegungen - und auf die kommt es bei den Schäden an - sind bei flachen Beben viel stärker.
    Außerdem ist der Untergrund unter anderem mit den vielen offenen oder zugeschütteten Kanälen und Warften sehr heterogen aufgebaut: Das könnte die Ursache dafür sein, dass manchmal auf engem Raum das eine Haus schwer beschädigt ist, während das daneben sehr viel besser mit den Erdbeben fertig zu werden scheint.
    Krauter: Woher bekommen die Holländer und die Deutschen im Norden und Westen, die an dieses Gas angeschlossen sind, dann ihr Gas?
    Rörlich: In den Niederlanden bleibt erst einmal alles beim alten, wenn man davon absieht, dass sich das Groningenfeld ohnehin langsam seinem Ende zuneigt und man irgendwann Ersatz braucht. Aber das dauert noch eine Weile, weil es noch mehrere kleine Gasfelder gibt, die erschlossen wurden und werden.
    Auch in Deutschland muss sich keiner auf Frieren einstellen, weil das Gas aus Groningen fehlt, denn es geht bei Gaslieferungen immer um langfristige Verträge. Und danach ist vorgesehen, dass Groningengas ab dem 01. Oktober 2029 nicht mehr nach Deutschland exportiert wird.
    Um ihren Verpflichtungen nachzukommen, wird die NAM nun Gas aus anderen Quellen zukaufen. Das Problem: Das Groningengas - übrigens genau wie das in Deutschland geförderte - hat einen vergleichsweise hohen Stickstoff- und dafür niedrigen Methangehalt. Das unterscheidet es beispielsweise vom Gas aus Norwegen. Soll norwegisches Gas das niederländische ersetzen, muss es abgereichert werden. Denn da, wo dieses niederkalorische Gas eingesetzt wird, sind die Brenner darauf eingestellt - von der Gasetagenheizung bis zum Gaskraftwerk. Diese Abreicherung läuft in speziellen Konvertierungsanlagen. Gleichzeitig hatte die Bundesnetzagentur aber ohnehin schon wegen der Endlichkeit der Vorräte die Marktraumumstellung eingeläutet - die Umstellung aller Anlagen auf hochkalorisches Gas. Aber das dauert ein paar Jahre.
    Krauter: Wer ist von dieser allmählichen Umstellung von L- auf H-Gas betroffen?
    Rörlich: Die Bundesländer Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sowie Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Hessen.