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Erdogan-Kritiker Kanter
"Fast jeden Tag Morddrohungen"

Sport und Politik liegen in der Türkei so nahe beieinander, dass Athleten mit hohen Gefängnisstrafen rechnen müssen, wenn sie Präsident Erdogan kritisieren. Oder sie suchen woanders Zuflucht - so wie der Basketball-Profi Enes Kanter. Seine neue Heimat: die Vereinigten Staaten.

Von Jürgen Kalwa | 24.07.2018
    NBA-Basketballer Enes Kanter ist türkischstämmig und Erdogan-Kritiker.
    NBA-Basketballer Enes Kanter ist türkischstämmig und Erdogan-Kritiker. (picture alliance/dpa - Larry W. Smith)
    Er ist in Kalifornien ins Internat gegangen und galt schon früh als Ausnahmetalent. Seit 2011 spielt er professionell in der NBA. Zunächst bei den Utah Jazz, dann bei den Oklahoma City Thunder und inzwischen bei den New York Knicks. Seine Beziehung zu seiner türkischen Heimat ist allerdings nicht deshalb schwer gestört.
    Gülen-Sympathisant und Erdoğan-Gegner
    Enes Kanter ist Sympathisant seines Landsmanns und Predigers Fethullah Gülen, der in den USA im Exil lebt, und ausgesprochener Gegner des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Deshalb landete er als prominenter Sportler nach dem fehlgeschlagenen Putsch 2016 wie zehntausende andere auch auf der schwarzen Liste des Regimes.
    Wie weit dessen Macht reicht, erlebte er im Frühjahr 2017 auf dem Weg zurück in die USA, als er kurzfristig bei einer Zwischenlandung auf dem Flughafen in Bukarest festsaß. Die Behörden in seinem Heimatland hatten seinen Reisepass für ungültig erklärt. Immerhin: Er gelangte zurück in seine neue Heimat und war dort in der Lage, ausführlich über seinen Fall zu berichten.
    Repressionen und Morddrohungen
    "Natürlich möchte ich eines Tages zurückkehren. Aber zur Zeit ist mein Leben in Gefahr. Und das meiner Familie. Ich selbst erhalte fast jeden Tag Morddrohungen. Aber ich stehe zu dem, was ich glaube."
    Im Dezember wurde Kanter angeklagt. In Abwesenheit. Die Staatsanwaltschaft forderte vier Jahre Haft, weil er auf Twitter Präsident Erdoğan verunglimpft haben soll. Im Juni wurde sein Vater Mehmet zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Angeblich soll er Mitglied einer terroristischen Vereinigung sein.
    Auch Hakan Şükür ging in die USA
    Kanter ist nicht der einzige türkische Sportler, für den die USA eine Art Asyl geworden sind. 2016 wurde der Fußballer Hakan Şükür, einst ein Nationalheld, später Parlamentsabgeordneter, zunächst wegen Beleidigung des Präsidenten angeklagt. Wenige Monate danach kamen die üblichen Terror-Beschuldigungen dazu. Zu jener Zeit lebte er bereits mit Frau und Kindern in Kalifornien, wo er sich von seinen Ersparnissen Anteile an einem Café zulegen konnte. Auf diese Weise erhielt er zumindest eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Kanter hat inzwischen die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragt.