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"Erdogan will Türkei mit Verfassungsreform demokratischer machen"

Ahmet Külahci, Deutschland-Korrespondent der Boulevardzeitung "Hürriyet", begrüßt das Wählervotum. Denn der Sieg von Erdogans religiös-konservativer AKP reiche jedoch nicht für einen Alleingang bei einer Verfassungsänderung. Die AKP müsse müsse nun mit anderen Parteien sprechen.

Ahmet Külahci im Gespräch mit Dirk Müller | 14.06.2011
    Dirk Müller: Recep Tayyip Erdogan hat gewonnen und vielleicht doch verloren. Der türkische Ministerpräsident hat einen klaren Sieg bei den Parlamentswahlen an diesem Wochenende errungen, aber er hat das große Ziel verfehlt, mit seiner konservativ-islamischen AKP-Partei eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu erreichen. Dann nämlich hätte Erdogan, wie wir es eben gehört haben, auch seine oft angekündigte Reform der türkischen Verfassung ändern können, durchsetzen können, ohne auf parlamentarische Widerstände zu treffen. - Darüber sprechen wollen wir nun mit Ahmet Külahci, Deutschland-Korrespondent der türkischen Tageszeitung "Hürriyet". Guten Tag.

    Ahmet Külahci: Guten Tag, hallo!

    Müller: Herr Külahci, was will Erdogan wirklich?

    Külahci: Ja, Erdogan will wahrscheinlich noch mal vier Jahre regieren. Seit 2002 ist er ja oder seine Partei im Amt. Und wie gesagt, für die nächsten vier Jahre wurde diese Partei wiedergewählt. Ob er diese ganze Legislaturperiode als Ministerpräsident bleiben wird, das weiß ich nicht. Das weiß er wahrscheinlich selber nicht ganz, aber er spielt ja mit dem Gedanken, im Laufe der Zeit Präsident zu werden.

    Müller: Gut. Dann gehen wir mal davon aus, dass er zwei, drei, gegebenenfalls auch vier Jahre weiter macht als Regierungschef. Die entscheidende Frage, die wir zumindest in Deutschland und auch in Europa thematisiert haben, war ja diese Verfassungsreform. Die wollte er durchbringen, durchdrücken mit der eigenen Mehrheit. Die hat er jetzt verfehlt, die Zwei-Drittel-Mehrheit hat er nicht erreicht. Was will er machen mit dieser Verfassung?

    Külahci: Ich meine, das ist eine Verfassung aus dem Jahre 1982, von der Militärzeit sozusagen. Es ist schon richtig, dass man die Verfassung ändern will und auch die Verfassung geändert werden muss. Aber ich finde es auch schon richtig, dass die türkischen Wähler richtig gewählt haben, dass man einer Partei nicht diese Zwei-Drittel-Mehrheit gegeben hat. Das heißt, wenn man eine Verfassungsänderung erreichen will, soll man das auch mit den anderen zusammen machen, mit den anderen Parteien und auch mit den anderen gesellschaftlichen Schichten. Ich habe Herrn Erdogan an dem Wahlabend so verstanden, dass er mit allen Parteien, sowohl im Parlament als auch außerparlamentarisch, reden will, auch mit der Zivilgesellschaft. Das finde ich richtig und das muss er auch so machen.

    Müller: Herr Külahci, versuchen wir noch einmal, auf diese Pläne von Erdogan etwas konkreter zu blicken. Reden wir über die Inhalte, was soll neu in diese Verfassung rein. Wird das alles ausgerichtet in Richtung Europa?

    Külahci: Normalerweise ja. Das heißt, diese Verfassung wird so sein, dass man zum Beispiel erschwert, die Parteien etwa zu verbieten. Es gibt aber auch irgendwelche Artikel, die man nicht gut heißen kann. Das heißt, man will versuchen, die Kontrolle über Richter und Staatsanwälte sozusagen zu verstärken. Das gehört wahrscheinlich, nein, nicht wahrscheinlich, ganz bestimmt nicht zu den demokratischen Rechten.

    Müller: Um das noch mal genauer zu beleuchten. Sie sagen, mit großer Wahrscheinlichkeit will Erdogan tatsächlich die Justiz enger an den Staat binden?

    Külahci: Ja, gut, das ist seine Absicht, aber ich kann es mir schlecht vorstellen, dass die anderen Parteien das mitmachen, und das wird auch nicht der Fall sein.

    Müller: Will Erdogan noch in die Europäische Union?

    Külahci: Auf jeden Fall! Ich habe ihn auch an dem Wahlabend noch mal so verstanden, dass man den Weg in die EU, nach Europa mit Entschiedenheit weitergehen wird. Aber dann muss auch die EU in dieser Hinsicht eine ganze Menge unternehmen, glaube ich, nicht nur wegen Erdogan, sondern für die türkische Bevölkerung, weil die Unterstützung der türkischen Bevölkerung sinkt von Jahr zu Jahr, deswegen, weil sie den Eindruck haben, dass die EU es mit der Türkei nicht ernst meint und dass die türkische Bevölkerung oder das türkische Volk eben enttäuscht ist. Vor drei Jahren war eine Unterstützung von 69 Prozent, das ist jetzt auf 39 Prozent gesunken. Wie gesagt, die EU muss in dieser Hinsicht eine ganze Menge unternehmen.

    Müller: Wir haben nicht mehr viel Zeit, Herr Külahci, trotzdem noch die Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, spricht nicht alles dafür, dass Erdogan mit einer Verfassungsreform die Türkei demokratischer machen möchte?

    Külahci: Erdogan will selbstverständlich die Türkei mit einer Verfassungsreform doch demokratischer machen. Die Türkei muss auch auf dem demokratischen Weg weitergehen. Das muss sowohl Erdogan als auch die anderen machen, also nicht nur Erdogan allein, sondern mit den anderen zusammen.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk Ahmet Külahci, Deutschland-Korrespondent der türkischen Tageszeitung "Hürriyet". Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Külahci: Bitte schön!