Donnerstag, 25. April 2024

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Erdogans Nazi-Vergleich
"Das ist die rote Linie jetzt"

Bundeskanzlerin Merkel persönlich Nazi-Methoden vorzuwerfen, sei eine Verhöhnung der Opfer der NS-Diktatur, sagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) im DLF. Damit habe Erdogan eine rote Linie überschritten. Der türkische Präsident und seine Regierung seien in Deutschland nicht erwünscht, das müsse jetzt klar sein.

Volker Bouffier im Gespräch mit Sandra Schulz | 21.03.2017
    Volker Bouffier (CDU), Ministerpräsident von Hessen, am 09.02.2017 in Berlin. Er nimmt an einer Pressekonferenz nach dem Treffen der Regierungschefs der Länder und der Bundesregierung teil.
    Der hessische Ministerpräsident Bouffier will, dass die in Deutschland lebenden Türken sich wohlfühlen, aber nicht, dass die Konflikte "in unser Land getragen werden". (dpa/ Maurizio Gambarini )
    Erdogan versuche mit aller Gewalt, die Konflikte in unser Land zu tragen mit maßlosen, unsäglichen Beleidigungen. Der türkische Präsident und seine Regierung seien in Deutschland nicht erwünscht, dies müsse jetzt klar sein. Das sei auch eine Frage der Selbstachtung, erklärte Bouffier.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Am Telefon ist Volker Bouffier, hessischer Ministerpräsident und stellvertretender CDU-Vorsitzender. Schönen guten Morgen.
    Volker Bouffier: Schönen guten Morgen auch Ihnen.
    Schulz: Herr Bouffier, die Kanzlerin ist ja nicht ganz deutlich geworden. War das jetzt diese rote Linie, beim nächsten Vergleich, da gibt es das Auftrittsverbot?
    Bouffier: Wir haben es ja gerade gehört. Wir sollten nicht auf jedes Stöckchen springen, das Herr Erdogan uns hinhält. Aber jetzt ist es gut und es ist eine Frage der Selbstachtung unseres Landes und eine Verhöhnung der Opfer der Nazi-Diktatur. Herr Erdogan und seine Regierung sind in unserem Land nicht erwünscht und das muss jetzt klar sein. Ich teile nicht die Auffassung, dass Herr Erdogan nach einer Abstimmung sich mäßigen wird. Man sieht ja, dass er mit aller Gewalt versucht, den Konflikt in unser Land zu tragen, mit maßlosen Beleidigungen, und wir müssen alles tun, dass diese Konflikte in der Türkei nicht hierher nach Deutschland kommen, hier ausgetragen werden und obendrein auch noch mit unsäglichen Beleidigungen, und insofern glaube ich: Das ist die rote Linie jetzt.
    "Der Mann ist nicht willkommen"
    Schulz: Übersetzt heißt das, Sie fordern jetzt das Einreiseverbot?
    Bouffier: Ich fordere gar nichts. Ich sage nur, der Mann ist nicht willkommen. Wenn er herkommt, wird er bei uns aus meiner Sicht nicht auftreten können. Das gefährdet die Sicherheit dieses Landes. Und wer uns beschimpft in dieser Art und Weise, der kann doch nicht erwarten, dass wir tausende von Polizisten hier aufbieten, um ihn zu schützen. Ich halte es für absurd und deshalb in der diplomatischen Form, wie die Bundeskanzlerin das gestern gesagt hat und was ja auch klug ist, hoffe ich, dass Herr Erdogan und seine Regierung verstehen, dass jetzt der Punkt gekommen ist, wo man nicht mehr einfach nur zuhören kann und immer darauf hinweist, wir dürfen nicht verschärfen. Was muss eigentlich noch passieren, bis wir irgendwann mal sagen, jetzt ist es gut. Es ist nicht gut, was da passiert. Ich bedauere das. Wir haben eine engere traditionelle Freundschaft mit der Türkei. Ich will auch, dass alle türkischstämmigen Menschen, die hier leben, sich wohlfühlen. Ich will aber nicht, dass diese Konflikte nach Deutschland getragen werden, und wer solche Vorwürfe erhebt, der legt es ja darauf an, zu eskalieren. Dem ist es offenkundig völlig egal, was er an Schäden anrichtet. Dann, bin ich der Auffassung, gehört der Mann nicht hierher.
    "Wie jemandem klar machen, dass 'Du Nazi' ein Unwort ist?"
    Schulz: Herr Bouffier, dann verstehe ich Sie aber auch richtig, dass Sie sich inhaltlich den Kritikern der Kanzlerin, Ihrer Parteichefin, anschließen, die sagen, Angela Merkel ist zu zögerlich? Wir haben ja den Status quo, dass die Drohung im Raum ist, aber diese Ankündigung oder auch dieser Anspruch, das muss jetzt mal aufhören mit den Nazi-Vergleichen, der ist ja nun schon einige Zeit in der Welt, ohne dass Erdogan sich daran gehalten hätte oder dass es Konsequenzen gehabt hätte.
    Bouffier: Ja, und das ist keine Kritik an Angela Merkel. Ganz im Gegenteil! Sie ist wahrscheinlich die klügste Staatenlenkerin, die wir zurzeit haben zwischen Herrn Trump, Erdogan und was wir sonst noch im Angebot haben. Das ist auch keine Frage der Kanzlerin; das ist eine Frage des Außenministers. Der ist dafür zuständig.
    Aber das ist mir zu vordergründig, dieses Schwarz-Weiß-Spiel. Ich frage mich, wie sollen wir eigentlich einem jungen Menschen erklären, was wir uns in diesem Lande bieten lassen, nach jahrzehntelangen ehrlichen Bemühungen der Aufarbeitung der Schoa. Wie soll ich jemandem klar machen, dass das Wort "Du Nazi!" etc., das leider Gottes ja häufig auch auf Schulhöfen benutzt wird, dass das ein Unwort ist, dass wir dagegen antreten mit allem, was uns wichtig ist, dass wir die Opfer des Nationalsozialismus nicht zum Spielball irgendwelcher Auseinandersetzungen machen wollen. Wie sollen wir das eigentlich jungen Menschen klar machen, wenn wir nicht bereit sind, …
    Schulz: Herr Bouffier, ich denke, der Punkt ist ja bei uns gar nicht besonders strittig, dass diese Nazi-Vergleiche zu subsummieren sind mit "Das geht gar nicht". Aber ich wollte gerne noch mal, weil wir beim Thema Provokation sind und der Vorwurf ja ständig kommt aus der Türkei, Deutschland unterstütze Terroristen, Deutschland unterstütze die Gülen-Bewegung, Deutschland unterstütze die PKK. Jetzt haben wir die Situation gehabt in Frankfurt in Hessen am vergangenen Wochenende, dass es eine prokurdische Demonstration gegeben hat, auf der verbotene Symbole gezeigt wurden: Plakate von Öcalan, PKK-Symbole. Wie ist es denn dazu gekommen, dass das so möglich war, ohne dass die Polizei eingeschritten ist?
    Bouffier: Es war ein sehr kluger. Wollen wir es mal jetzt richtig zusammenfassen. Das wichtigste ist, dass das friedlich abgelaufen ist. 20-, 30-tausend Menschen in einer Straßenschlacht, das kann niemand wollen.
    "Wir versuchen nicht, 20.000 Menschen niederzuprügeln"
    Schulz: Aber wir haben Rechtsbrüche, die dem türkischen Präsidenten Erdogan jetzt das Argument in die Hand geben, das ist doch ein Doppelstandard, unsere Minister dürfen nicht auftreten, weil es keine Parkplätze gibt, aber wenn da verbotene Zeichen gezeigt werden, da schreitet keiner ein, das sind doch Doppelstandards.
    Bouffier: Darf ich einfach antworten? – Es ist falsch, was Sie sagen. Natürlich schreiten wir ein. Wir ermitteln in allen Fällen. Wir versuchen aber nicht, 20.000 Menschen niederzuprügeln. Das kann auch niemand wollen. Jeder Fall ist gefilmt worden, in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft, und jeder einzelne Fall wird verfolgt und auch bestraft. Das hat die Polizei von Anfang an gesagt und es macht einen großen Unterschied: Bei uns darf man demonstrieren, in der Türkei nicht. Bei uns darf man auch sagen, was einem nicht gefällt. Bei uns darf man Zeichen, die verboten sind, nicht zeigen, ohne Sanktionen, und die Sanktionen gibt es.
    Hier ist abzuwägen zwischen der Gefahrenabwehr, ob Sie eine Straßenschlacht mit allem Drum und Dran haben wollen, oder ob Sie die Ermittlungen in dieser Weise machen, wie ich sie eben beschrieben habe. Das heißt, es bleibt nicht reaktionslos und es wird auch nicht einfach hingenommen nach dem Motto, die dürfen und wir dürfen nicht. Sondern wer sich in diesem Land so verhält, wie die Gesetze es erlauben, wer sich in dem Land so verhält, wie man sich auch als Gast verhalten sollte, der wird immer demonstrieren können und sein Demonstrationsrecht oder auch sein Rederecht selbstverständlich haben. Wer aufhetzt, der hat es nicht, und wer sich hier gegen die Vorschriften wendet, wer gegen Straftaten verstößt, auch gegen den wird ermittelt. Da bin ich sehr froh, dass Sie das gefragt haben, denn es war eine sehr gute Polizeiarbeit und ich bin dankbar dafür, dass das friedlich abging.
    Schulz: Und an der Stelle würde ich auch gerne weiterfragen, denn Sicherheitsexperten sagen uns, dass es absolut gängige Praxis sei vor Demonstrationen, bei denen zu erwarten ist, dass verbotene Symbole gezeigt werden, dass die Transparente und diese Symbole, die Plakate, dass das vorher eingesammelt wird. Warum ist das nicht passiert?
    Bouffier: Das ist passiert. Das passiert immer auch. Das ist richtig.
    Schulz: Aber ohne Erfolg.
    Bouffier: Das ist natürlich auch eine Frage der Masse. Das können Sie nicht, wenn viele mit PKWs kommen, wenn viele mit Zügen kommen. Sie können nicht 20.000 Leute untersuchen, die faltbare Plakate dabei haben und Ähnliches. Und im Übrigen, auch das muss man mal sagen: Man darf Freiheit für Öcalan fordern. Das darf man auch auf einem Plakat. Man darf Freiheit für jemanden fordern. Man darf aber nicht werben für eine verbotene Organisation. Das ist der juristische Unterschied. Deshalb ist das eine ganz saubere Trennung.
    "Die Polizei hat weder versagt noch vorsätzlich etwas falsch gemacht"
    Schulz: Herr Bouffier, da hat doch das Innenministerium Anfang März diese Konkretisierungen durchgegeben, wonach es auch verboten ist, das Abbild Öcalans zu zeigen, was nun über lange Strecken auf dieser Demonstration passiert ist. Wollen Sie uns sagen, dass die Polizei in Frankfurt die Situation nicht unter Kontrolle hatte oder dass sie eskaliert wäre, wenn die Polizei gegen Rechtsverstöße vorgegangen wäre?
    Bouffier: Die Polizei hat sehr klug gehandelt. Sie hat die Situation unter Kontrolle gehabt. Und die polizeilichen Einsätze sind danach zu beurteilen, was ist entscheidend. Zunächst ist die Gefahrenabwehr entscheidend, damit sie nicht zu Tausenden dort Auseinandersetzungen haben - dann würden Sie mich fragen, haben sie denn richtig gehandelt, hatten sie nicht deeskaliert, hatten sie nicht vorher überlegt -, und gleichzeitig die Strafverfolgung zu ermöglichen. Das tun sie und das haben sie getan und ich habe Ihnen ja geschildert, wie sie es gemacht haben, mit entsprechenden Videoaufnahmen. Das ist auch mit der Staatsanwaltschaft entsprechend abgestimmt. Die Polizei hat hier weder versagt, noch vorsätzlich etwas falsch gemacht. Ganz im Gegenteil! Ich kenne keine Demonstration mit 20-, 30-tausend Kurden, die so friedlich abgelaufen ist. Ich war früher lange genug Innenminister. Ich kann mich erinnern an Autobahnblockaden, an brennende Fahrzeuge, an furchtbare Zusammenstöße. Ich bin froh, dass das nicht so ist.
    Und im Übrigen: Ihre Fragen sind doch ein herrliches Beispiel dafür, dass wir alles tun sollten, dass Auseinandersetzungen in anderen Ländern, hier zwischen Herrn Erdogan und den Kurden, nicht in unserem Land ausgetragen werden. Das ist die erste Botschaft und die zweite ist: Es geht nach unseren Regeln. Wer die einhält, der kann hier selbstverständlich auch reden. Wenn die Türkei, die ein Gesetz hat, in dem drinsteht, dass man im Ausland politisch nicht agitieren darf, hier herkommt und das Gegenteil macht, das müssen die selbst wissen, aber nach unseren Regeln. Und wer hier demonstriert und sich an die Auflagen hält, der braucht auch keine Strafverfolgung zu befürchten. Wer sich nicht an die Regeln hält, wird entsprechend von der Justiz zur Verantwortung gezogen. Das sind die Regeln, die richtig sind, und ich glaube, da sollten wir gemeinsam auch dran festhalten.
    Schulz: Der hessische Ministerpräsident und stellvertretende CDU-Vorsitzende Volker Bouffier heute Morgen hier bei uns in der Auseinandersetzung mit dem Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank dafür.
    Bouffier: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.