Donnerstag, 25. April 2024

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Erfahrungen eines Adoptivkindes

Mein Name ist Antje Merk, ich bin heute 31 Jahre alt und bin mit zirka acht Wochen adoptiert worden. Ich habe noch einen kleinen Bruder, der ist auch adoptiert worden, in der selben Familie. Wir sind keine leiblichen Geschwister. Wir sind ganz homogen groß geworden und hatten das Glück, dass es bei uns nicht nur einen Geburtstag gab, sondern auch einen Jahrestag. Für meine Eltern war das der Tag, an dem wir zu ihnen gekommen sind, der Einkehrtag, und wir durften immer zweimal im Jahr Geburtstag feiern und da waren wohl viele Kinder sehr neidisch.

Interview: Agnes Steinbauer | 15.10.2004
    Eigentlich sehr gute Erinnerungen, die ich habe: Haus, großer Garten, viel Trubel, viel Grün, viel Familie. Meine Tanten, meine Onkels, die haben sich damals sehr gefreut, für meine Eltern. Es war ja die Möglichkeit, Kinder haben zu können. Wir sind in diese Familie aufgenommen worden, wie die eigenen Kinder und das ist bis heute so geblieben.

    Ich kann nicht sagen, dass mein Vater jemals mich hat spüren lassen, dass ich nicht sein Kind wäre. Für ihn bin ich seine Tochter und mein Bruder ist sein Sohn und bei meiner Mutter war es genauso: Meine Mutter hat für uns Kinder alles gegeben - alles. Noch bevor ich in die Schule gekommen bin, wusste ich, dass ich adoptiert bin.

    Wie haben Sie es erfahren?
    Wie, kann ich mich nicht mehr erinnern. Man fragt ja: Habe ich bei dir an der Brust getrunken? Und dann wird gesagt: Nee, haste nicht! Und dann: Warum nicht? . Ich denke, durch solche Fragen haben sich meine Eltern ermuntert gefühlt, zu erzählen. Meine Eltern waren immer bereit, alles zu erzählen. Man darf einem Kind nicht seine Vergangenheit vorenthalten. Das sind einfach die Wurzeln und darauf hat jedes Kind ein Recht. Ich denke, was meine Eltern gut gemacht haben und was ich jedem Adoptivkind so wünsche: Offen damit umzugehen, allen Menschen mitzuteilen, dass man ein adoptiertes Kind hat, dann wird es Normalität.

    War das stark emotional belastet dieses Thema? Wurden Sie ermutigt, nach Ihren leiblichen Eltern zu suchen?
    Mit Emotionen ist das Thema immer belegt, auch heute noch, wenn ich mich mit meinem Vater darüber unterhalte. Ich glaube schon, dass die Gefühle überwiegend angenehm waren, bei allen, natürlich sehr aufgeregt. Ich weiß, dass ich damals wissen wollte, warum mich meine Mutter hergegeben hat. Das wussten meine Eltern aber auch nicht. Ab einer gewissen Zeit war es auch ein Tabuthema, so in der Teenager-Zeit haben wir nicht mehr so drüber gesprochen. Meine Mutter starb, als ich 15 war. Ich glaube, ich habe immer gedacht, ich würde meinen Vater damit verletzen oder kränken, ihm das Gefühl geben, er ist nicht mein Vater oder ich suche mir da etwas Neues. Darum hab ich jahrelang nicht gesucht, weil ich gedacht habe, meine Mutter ist tot. Ich will ja keinen Ersatz für sie, ich will ja etwas anderes: Ich will wissen: Woher komme ich? Mein Vater findet das gut und jetzt gehe ich auch zum Jugendamt.

    Haben Sie mal irgendwann das Gefühl gehabt, Sie sind benachteiligt, weil Sie adoptiert sind?
    Der Vorteil bei meinem Bruder und mir war, dass wir beide adoptiert waren. So konnte man nicht sagen: Du bist der Echte und hast Vorteile. Ich glaube, manchmal hab ich mich generell benachteiligt gefühlt, als große Schwester, die alles machen musste, aber nicht unbedingt, dass ich gedacht habe: Ich bin das Adoptivkind.

    Haben Sie ihre leiblichen Eltern manchmal vermisst?
    Ich glaube, man spinnt sich da so eine Super-Nebenfamilie zusammen, und das habe ich schon gehabt, mir zu Überlegen, dass meine leiblichen Eltern natürlich was Supertolles sind. ich war auch eine zeitlang sehr wütend, weil sie wollten MICH nicht haben. Ich bin selber Mutter und möchte gerne meine Wurzeln kennen. Ich möchte wissen, ob ich Geschwister habe. Vielleicht bin ich schon Tante. Ich möchte gerne wissen: Wen gibt es eigentlich da noch? Oder so banale Sachen, ob ich meiner Mutter ähnlich sehe oder wie sie so ist als Mensch. Ich glaube, ich finde sie. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich sie finde.