Freitag, 19. April 2024

Archiv


Erfolgsaussichten ungewiss

Ein Jahr vor der nächsten Bundespräsidentenwahl, so hatte es Amtsinhaber Horst Köhler angekündigt, wolle er sich äußern, ob er sich erneut der Abstimmung stellt. Er hielt Wort. Genau einen Tag und ein Jahr, bevor die Bundesversammlung zusammentritt:

Von Sabine Adler | 22.05.2008
    "Meine Damen und Herren, ich habe mich entschlossen, im kommenden Jahr erneut für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren."
    Das Warten auf die Nachricht aus dem Schloss Bellevue, dem Berliner Amtssitz des Bundespräsidenten, ist vor allem den Sozialdemokraten lang geworden. Sie vertrieben sich die Zeit mit Gedankenspielen über einen eigenen Kandidaten, die erst vage, dann immer zielgerichteter betrieben wurden. Horst Köhler seinerseits war, wollte er bei seiner Wiederwahl auf Nummer sicher gehen, von einem abgeschlossenen Meinungsbild in der SPD abhängig, das allerdings war von der Partei Kurt Becks bis heute Mittag, bis Köhlers Gang vor die Kameras und Mikrofone, nicht zu bekommen, resümiert der Publizist Robert Leicht von der Zeit:

    "Horst Köhler hatte nicht das Gefühl, dass in der SPD eine belastbare Stimmung zu Gunsten seiner Wiederwahl vorhanden ist und wollte sehen, wie die SPD sich klärt. Wenn man aber der SPD in ihrem heutigen Zustand Klärungsprozesse zumutet, muss man damit rechnen, dass das durcheinander und schief geht. Es hatten natürlich schon im vergangenen Herbst sowohl Herr Steinmeier als auch Herr Struck als auch Kurt Beck damals Geräusche gemacht, die in die Richtung gingen: "Wir würden diese Wiederwahl nicht verhindern oder vielleicht sogar befürworten." Aber es gab keine in der SPD abgestimmte und wie ich sagen würde, eben für Herrn Köhler belastbare Festlegung: Wenn Sie wollen, dann wollen wir auch."
    Horst Köhler möchte. Und scheut dabei nicht einmal das Risiko, mit einer SPD-Kandidatin, einem Kandidaten, ohne die selbst möglicherweise dringend benötigen Stimmen von den Sozialdemokraten auskommen zu müssen:

    "Ich rede viel mit den Bürgern; die Bürger geben mir große Zustimmung. Es gibt Parteien, die haben sich öffentlich geäußert, und deshalb bin ich sehr zuversichtlich. Aber noch einmal: Niemand braucht eine demokratische Wahl zu fürchten."
    Bisher hat sich kein Bundespräsident in eine Wiederwahl begeben, wenn die Mehrheitsverhältnisse unklar waren, sagt der Historiker Tobias Kies von der Universität Bielefeld. Die drei Vorgänger, die bisher als Amtsinhaber ein zweites Mal antraten, konnten sich sicher sein zu gewinnen. Dieses Mal aber ist der Ausgang offen, was für Köhlers Mut spricht und dem Amt keineswegs schadet, meint Kies und hält Köhlers Kandidatur, selbst wenn sie nicht mit einer Wiederwahl enden sollte, sogar für wünschenswert, weil die Demokratie festigend:

    "Ich glaube, es wäre eine Belebung dieses Amtes. Man sieht ja bei dem Amt des amerikanischen Präsidenten, bei diesen ganzen Vorwahlen, die wir beobachten können, dass es durchaus ein belebendes Moment Demokratie sein kann. Der Bundespräsident wird ja durch ein Wahlmänner-Gremium gewählt, ähnlich wie der amerikanische Präsident auch. Es gibt ja das andere Beispiel mit Steffen Heitmann, der ja durch eine Mobilisierung der Öffentlichkeit verhindert wurde."

    Kurt Beck, der SPD-Parteivorsitzende konnte, so schien es bis vor kurzem, gut mit einer Wiederwahl des Staatsoberhauptes leben, das die Genossen und auch Christdemokraten nicht sonderlich, die Bürger aber umso mehr mögen. Der plötzliche Sinneswandel in der SPD-Spitze lasse, anders als früher, bei den Sozialdemokraten Format vermissen, meint Robert Leicht:
    "Als Richard von Weizsäcker zur Wiederwahl anstand, hat Hans Jochen Vogel damals - übrigens nicht zur geringen Verstimmung von Richard von Weizsäcker - noch vor der Union gesagt, wir werden Richard von Weizsäcker wiederwählen. Da hat sich Richard von Weizsäcker noch gar nicht erklärt in der Richtung. Hans Jochen Vogel wusste damals genau, wenn ich das machen will, muss ich es so früh machen, dass in der SPD eine eigene Diskussion schon gar nicht erst losbrechen kann."
    Weil die Konstellation in der Bundesversammlung 2009 weit weniger klar und eine glatte Wiederwahl Köhlers keineswegs gesichert ist, heißt die zweite Kandidatur für diesen, sich zu stellen. Wie jeder andere demokratische Kandidat. Mögliche Niederlage eingeschlossen. Doch so gleich unter gleichen ist der Bundespräsident als Kandidat dann doch wieder nicht.

    Leicht: "Beim Bundespräsidenten ist die Sache ein klein bisschen anders, jedenfalls dann, wenn jemand als Kandidat im Spiel ist, der bereits Bundespräsident ist. Er soll dann ja, egal ob er von einer Parteikombination- und Konstellation in einer bestimmten historischen Lage zum Bundespräsidenten gemacht worden ist; hinterher jedenfalls unparteilich sein und nicht mehr Konstellationspräsident - und aus diesem Status kann er, glaube ich, schwerlich zurückkehren in eine parteipolitische kontroverse Kandidatur."
    Der Geschichtswissenschaftler Kies wertet die Entscheidung Köhlers als Zeichen für dessen modernes Demokratie- und auch Wettbewerbsverständnis, der sich damit einmal mehr von seinen Vorgängern unterscheidet:

    "Kein Kandidat hat sich bislang getraut zu kandidieren, ohne dass die Mehrheiten von vornherein gesetzt gewesen wären. Er ist ein relativ junger Präsident, er ist sozialisiert in der Bundesrepublik Deutschland und nicht in einem totalitären Regime."
    Einen Wahlkampf im klassischen Sinne freilich wird es nicht geben, den möchte der Bundespräsident erklärtermaßen nicht führen. Die Öffentlichkeit staunte, als sich im März 2004 CDU/CSU und FDP buchstäblich in einer Nacht- und Nebelaktion in einer Wohnküche in Berlin-Charlottenburg auf den Direktor des Internationalen Währungsfonds und ehemaligen Sherpa Helmut Kohls bei Weltwirtschaftsgipfeln verständigten. Der Historiker Kies glaubt, dass der Erfolg Köhlers 2004 die Weichen für eine schwarz-gelbe Koalition im Bund stellen sollte, allein, die Wähler 2005 mochten nicht. Dass mit Köhlers Nominierung zwei wichtige politische Akteure ihre Autorität unter Beweis stellten, erwies sich als ebenfalls nicht unwichtiger Nebeneffekt:

    Kies: "2004 kam noch etwas anderes ins Spiel. Das waren nämlich die innerparteilichen Konflikte und da muss man sagen, dass sich zwei Personen durch die Wahl - durch die Nominierung, muss man erst einmal sagen - von Horst Köhler durchgesetzt haben, das waren Angela Merkel und Guido Westerwelle, die sich durch diesen Coup innerhalb ihrer Parteien ein neues Standing verschafft haben."
    Das in der letzten, 12. Bundesversammlung auf 622 Stimmen angewachsene CDU/CSU- und FDP-Lager hatte 2004 einen satten Stimmenvorsprung gegenüber Rotgrün von 72 Stimmen und hätte damit wohl beinahe jeden Kandidaten durchbringen können.

    Weitaus weniger klar werden die Mehrheitsverhältnisse 2009 sein. Bei seiner möglichen Wiederwahl kann sich Köhler soweit bisher ersichtlich, nur auf schwarz-gelbe Stimmen verlassen, was einem Vabanquespiel gleichkommt. Für ihn, wie für die hinter ihm stehenden Parteien. Letztere könnten dann für die wenige Monate später anstehende Bundestagswahl nachhaltig beschädigt sein.

    Anders, als noch am Montag angekündigt, entschied die SPD heute nicht über die Kandidatur der von ihr favorisierten Gesine Schwan. Die hätte sich über eine definitive Zusage heute an ihrem 65. Geburtstag wohl doppelt gefreut; doch auch sie muss noch warten. Erst am kommenden Montag will das Parteipräsidium entscheiden - und nimmt sich damit mehr Zeit als noch vor drei Tagen angekündigt, als es hieß: Die SPD werde sich unverzüglich äußern. Sollte, wovon politische Beobachter ausgehen, Gesine Schwan gekürt werden, bräuchte sie in jedem Fall die Stimmen auch der Linkspartei, was ihr schon jetzt die Schelte der in Bayern wahlkämpfenden CSU einbringt.

    So dringend Gesine Schwan auf die Stimmen der Linkspartei angewiesen wäre, so vorhersehbar ist schon jetzt die Diskussion über die Glaubwürdigkeit der SPD, die bislang versicherte, im Bund keine gemeinsame Sache mit den Linken zu machen.

    Häufig ging es in der Vergangenheit bei der Bundespräsidentenwahl weit weniger um die Kandidaten, als vielmehr um die Lager, die sie ins Rennen schicken, quasi als Probeläufe für künftige Regierungskonstellationen. Im kommenden Jahr wären theoretisch zwei Varianten denkbar: die Jamaika-Koalition, für die die Grünen bei der Bundespräsidentenwahl Horst Köhler unterstützen könnten, folgt man dieser These. Und möglich wäre auch, längerfristig Rot-Rot-Grün einzuläuten, eine Koalition, gegen die sich die SPD 2009 noch wehrt, die aber für 2013 ohnehin schon als Option gilt. Der Historiker Tobias Kies macht eine Einschränkung:

    "Dass in dem konkreten Fall Gesine Schwan die Kandidatin sein soll, die Rot-Rot-Grün gewissermaßen eröffnet, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, denn der Antikommunismus von Gesine Schwan hat ja letztlich auch dazu geführt, dass sie aus der Programm-Kommission der SPD ausgeschieden ist in den 70er Jahren."
    Ausgerechnet die zurückliegende Wahl des Bundespräsidenten war die Ausnahme von dieser Regel. Köhler als schwarz-gelber Kandidat war gerade nicht der Vorbote für die christdemokratisch-liberale Koalition. Gegen den Willen aller Beteiligten folgte eine große Koalition.

    Was bei Köhlers Wahl noch niemand ahnte. Und selbst bei der ersten und schwersten Bewährungsprobe des Bundespräsidenten war diese Entwicklung noch nicht abzusehen.

    Rot-Grün, vor allem die SPD, erlebte massive Stimmeneinbußen bei der Landtagswahl im Februar 2005 in Schleswig-Holstein wie auch drei Monate später in Nordrhein-Westfalen, Ex-Kanzler Schröder verlor die Nerven für das weitere Regieren im Bund und stellte am 1. Juli 2005 dem Parlament die Vertrauensfrage, nach der dem Bundespräsidenten dann die Entscheidung zufiel, den Bundestag aufzulösen oder auch nicht:

    "Ich habe heute den 15. Deutschen Bundestag aufgelöst und Neuwahlen für den 18.9. angesetzt. Der Bundeskanzler hat am 1. Juli vor dem Bundestag deutlich gemacht, dass er mit Blick auf die knappen Mehrheitsverhältnisse keine stetige und verlässliche Basis für seine Politik mehr sieht. Ihm werde mit abweichendem Abstimmungsverhalten und Austritten gedroht. Loyalitätsbekundungen aus den Reihen der Koalition hält der Bundeskanzler vor dem Hintergrund der zu lösenden Probleme nicht für dauerhaft tragfähig."
    Ähnlich wie einer seiner Vorgänger, Karl Carstens, war Köhler bei der Auflösung des Bundestages der Argumentation des Kanzlers gefolgt.

    Dass er seine Entscheidung mit einer harten Kritik am gegenwärtigen Zustand Deutschlands einleitete und begründete, verletzte Rot-Grün so sehr, dass Horst Köhler noch weiter in deren Ansehen fiel.

    Köhler: "Unser Land steht vor gewaltigen Aufgaben. Unsere Zukunft und die unserer Kinder stehen auf dem Spiel. Millionen von Menschen sind arbeitslos, viele seit Jahren. Die Haushalte des Bundes und der Länder sind in einer nie dagewesenen kritischen Lage. Die bestehende föderale Ordnung ist überholt. Wir haben zu wenig Kinder und wir werden immer älter."
    Hinter vorgehaltener Hand machte ausgerechnet bei jenen, die permanent die Würde des Amtes im Munde führen, das böse Wort vom Sparkassendirektor die Runde, eine gehässige Anspielung auf dessen frühere Position als Präsident des Sparkassenverbandes.

    Unwichtig, dass der Bundespräsident sehr viel von Ökonomie versteht, mehr als viele selbsterklärte Experten.

    Als er bei seiner Rede im März 2005 vor den Vertretern der Wirtschaftsverbände sprach, trat er den Politikern so ziemlich jeder Couleur auf die Füße:

    "Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt brauchen wir in Deutschland jetzt deshalb eine politische Vorfahrtsregel für Arbeit. Was anderen Zielen dient, und seien sie auch noch so wünschenswert, ist nachrangig. "

    Robert Leicht spricht Horst Köhler trotz dessen unbestrittener Wirtschaftskompetenz die Befugnis einer eigenen politischen Agenda ab, aus Prinzip. Weil ein Bundespräsident keine eigene Mehrheiten hinter sich versammeln müsste.

    Der Historiker Tobias Kies dagegen erinnert, dass Köhler nicht das erste Staatsoberhaupt ist, das mit eigenem politischem Programm angetreten ist:

    "Er muss Professor sein, er muss Priester sein und ein Populist auch. In der Frühzeit der Bundesrepublik war sicherlich der Professor gefragt, gerade unter sozialdemokratischen Bundespräsidenten ist dieses Priesterliche stärker geworden, und jetzt bei Köhler ist dieses populistische Element stärker hervorgetreten. Wenn sie sich Gustav Heinemann vergegenwärtigen, dann ist ganz klar, dass dieser Mann dazu beigetragen hat, unsere Vorstellungen zu beeinflussen, unsere Vorstellungen von Demokratie, unsere Vorstellung über den Umgang mit sozialen Randgruppen, mit Kriminellen, mit Ausländern, mit Behinderten, Zivildienstleistenden. Köhler hat sicher auch eine, das ist die Afrikapolitik und er hat unsere Vorstellungen, wie wir mit dem schwarzen Kontinent umgehen sollen, nachhaltig verändert."
    Sich offen gegen einen so populären Präsidenten wie Horst Köhler zu stellen, ist für die Parteien ein gefährliches Spiel.

    Sollten die Genossen geglaubt haben, dass Köhler wegen eines unsicheren Wahlausganges von vornherein nicht kandidiert und Union und FDP schleunigst die Suche nach einem neuen Kandidaten beginnen müssen, dann lagen sie, wie wir heute wissen, schief.

    Die Sozialdemokraten geißelten Horst Köhler von Beginn an als Stimme der Neoliberalen und rieben sich verwundert die Augen, als er die Finanzhaie als Monster bezeichnete. Zuvor hatte er sie schon einmal erstaunt, als er Schröders Reformmut bei der Agenda 2010 lobte. Doch die Agenda-Väter, die das noch gefreut hätte, waren teilweise nicht mehr da.

    Kanzlerin Merkel, die Köhler aus dem Hut gezaubert hatte, um den Parteifreund Wolfgang Schäuble zu verhindern, findet den Hausherren im Schloss Bellevue insgeheim vermutlich wenig dankbar. Die CSU drohte, Köhlers Wiederwahl zu blockieren, sollte er den RAF-Terroristen Christian Klar begnadigen.

    Selbst wenn der Bundespräsident formal mit nur wenig Macht ausgestattet ist, so kann der Amtsinhaber dennoch zu einer Autorität heranwachsen. Beispiel Roman Herzog:

    "Durch Deutschland muss ein Ruck gehen, wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen, vor allen von dem Geistigen, von den Schubläden und den Kästchen, in die wir gleich alles legen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen, die Großen mehr, die Kleinen weniger, aber es müssen auch alle mitmachen."
    An den Medienerfolgen seines Vor-Vorgängers reichte der eher ungelenke Horst Köhler mit seinen Auftritten bislang nicht heran. Auch nicht an Richard von Weizsäcker, der am 40. Jahrestag des Kriegsendes vom Tag der Befreiung sprach und damit in die Annalen der Geschichte einging:

    "Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, der wird am Ende blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahr."
    Als die Verfassungsväter im Parlamentarischen Rat vor der Gründung der Bundesrepublik das Amt des Bundespräsidenten definierten, lösten sie sich wohlweislich von der Weimarer Republik, die eine Mischform darstellte aus präsidialem und parlamentarischem Regierungssystem und am Ende ihres 14-jährigen Bestehens völlig ohne Parlament auskam. Der Reichspräsident regierte fast nur noch mit Notverordnungen an Stelle von Gesetzen. So viel Macht wie der Reichspräsident zur Weimarer Republik sollte ein Bundespräsident nicht mehr bekommen, was Theodor Heuss, den ersten Inhaber des neuen Amtes, vor eine neue Aufgabe stellte:

    "Und die Frage ist nun, wie wir aus diesem Amt alle zusammen etwas wie eine Tradition, etwas wie eine Kraft schaffen, die Maß und Gewicht besitzen und im politischen Kräftespiel sich selber darstellen."
    80 Prozent der Bürger schätzen Horst Köhler. Er werde, so hatte er sich noch vor seiner Wahl geäußert, die Menschen besser verstehen, weil er nicht zum politischen Establishment gehört. Selbiges reagierte beleidigt.

    Nicht nur, weil er gleich zwei Mal seine Unterschrift unter Gesetze verweigerte. Dass hatte zuvor auch schon der Liberale Walter Scheel getan, der nicht wollte, dass die Gewissensprüfung von Wehrdienstverweigerern abgeschafft wird. Oder Johannes Rau, der im Jahr 2000 das Zustandekommen des Zuwanderungsgesetzes schwer rügte, das er zuvor allerdings unterzeichnet hatte. Die von Köhler verweigerten Unterschriften unter das Luftsicherheitsgesetz und später unter das Verbraucherschutzgesetz brachten die Regierungspolitiker aus einem anderen Grund auf, wie der Historiker Tobias Kies vermerkte:

    "Da kommt es darauf an, wie Köhler das gemacht hat, handstreichartig nämlich. Und nicht von langer Hand vorbereitet, sondern dieses kurzfristige sich bedeckt halten und dann aus der Reserve schießen. Ich glaube, das hat Angela Merkel verbittert."

    Gesine Schwan: "Ich denke nicht, dass man mich wählen wird, in erster Linie, weil ich eine Frau bin, sondern wegen der Absichten, die ich politisch habe."

    Trotz der, wenn auch achtbaren Niederlage vor vier Jahren, lässt es Gesine Schwan auf einen zweiten Versuch ankommen, sofern die Partei ihr die nötige Rückendeckung gewährt. Die Rektorin, die nach diesem Semester die Viadrina-Universität von Frankfurt/Oder verlässt, betrachtet es nicht als Opfer, sondern vielmehr als Ehre, von ihrer Partei zur Kandidatin nominiert zu werden. 2004 hatte sie unerwartet viele Stimmen, 10 sogar vom politischen Gegner für sich verbuchen können.

    Neben ihr waren 2004 zwei Christdemokratinnen als Kandidatinnen zumindest im Gespräch: Annette Schavan, heute Bundesministerin für Bildung und Forschung, und Angela Merkel. Die damalige und heutige CDU-Chefin hatte 2002 die Kanzlerkandidatur Edmund Stoiber überlassen. Die Ambitionen seiner Parteifreundin und ewigen Rivalin Merkel schätzte der in der Bundestagswahl Schröder unterlegende Stoiber damals richtig ein:

    "Ich glaube nicht, dass jemand, der so mittendrin steckt in der Gestaltung der Politik, das außerordentlich wichtige Amt des Bundespräsidenten als sein Ziel ansieht, das doch nicht die Gestaltung der Politik im Vordergrund hat, sondern die Repräsentation und die Nachdenklichkeit."
    Das Bedürfnis, in diesem Amt endlich eine Frau zu haben, könnte seit Angela Merkels Kanzlerschaft als weit weniger dringlich empfunden werden. Was Gesine Schwans Chancen, die immerhin gegen den Amtsinhaber antreten muss, zusätzlich mindern könnte.