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Erfundenes Fressen

Ein Hauptthema der politischen Zeitschriften im vergangenen Monat war das Verhältnis zwischen Politik und Medien. Ist der Journalismus noch ein publizistischer Dienst an der Demokratie - oder schon reine Politik-PR?

Von Norbert Seitz | 21.02.2011
    Die Massenmedien werden gerne als "vierte Gewalt" bezeichnet. Wohlwollende Betrachter verbinden mit diesem Titel die Wahrnehmung einer wichtigen öffentlichen Kontrollfunktion, während staatsfromme Kritiker dahinter nur eine Selbstüberschätzung der journalistischen Zunft wittern. Dirk Baecker analysiert in der Zeitschrift "Vorgänge", worin die Gewalt der Presse liegen könnte:

    Gewalt liegt darin, dass die Themen, Meinungen und Akteure unerbittlich fallen gelassen werden, wenn ihre Zeit gekommen ist. Gewalt liegt aber auch darin, dass jederzeit ein neues Thema, eine neue Meinung, ein neuer Akteur beginnen kann, eine Rolle zu spielen, die eingespielte Meinungen und Institutionen in schwere Bedrängnis bringen kann. Gewalt ist dies aber auch insofern, als sie als konkurrierende Meinung, konkurrierendes Thema und konkurrierende Darstellungsform selbst diejenigen im Griff hat, die glauben, sie auszuüben. Aber genau diese Gewalt garantiert auch, dass die Gesellschaft sich in keinem Thema, keiner Meinung keinem Bild verfangen kann. In Wahrheit ist es diese Instabilität, die (der Gesellschaft) Stabilität verleiht.
    Ein publizistischer Dienst an der Demokratie sei aber nicht zu erkennen, wenn eine einfache Meinung mit ausreichend negativem Nachrichtenwert einen politischen Aktionismus auslösen könne. Beklagt Lena Wilde in der Zeitschrift "Novo-Argumente". Der öffentliche Diskurs leide darunter, dass sich die Politik von den Medien das Zepter habe aus der Hand nehmen lassen.

    Vielfach herrscht in der heutigen Politik die Haltung, aus eigener Ideenlosigkeit ins Volk hinein zu horchen. Statt drängende Themen eigenständig auf die Agenda zu setzen und sich im Diskurs konsequent um die beste Lösung zu bemühen, schaut man lieber auf das Stimmungsbarometer der Meinungsumfragen. Unabdingbar wäre eine intellektuelle Standfestigkeit, die sich nicht immer nach Volkes Launen richtet.
    Auch Thymian Bussemer stellt eher eine Ödnis als neue Bewegung in der medial beförderten Debattenkultur fest. Er diagnostiziert in der Zeitschrift "Vorgänge" einen irrlichternden Diskurs, weil der Funktionsmodus öffentlicher Kommunikation sich stärker an (medialen) Erregungsfaktoren als an gesellschaftlichen Regelungsbedürfnissen orientiert. Die Politik ist auf die Medien stärker angewiesen, als die Medien auf die Politik. Um überhaupt Zugang zur Öffentlichkeit zu finden, imitiert die Politik die Aufmerksamkeitsregeln der Medien – oft um den Preis der Selbstaufgabe.
    Je komplexer die Welt, desto größer scheint die Überforderung von Politikern, ihre Pläne noch selbst zu kommunizieren. Meint Constantin Magnis in der Zeitschrift "Cicero". Er nimmt das boomende Geschäft jener "Spindoktoren" unter die Lupe, die "Türen öffnen, Nebelkerzen werfen, Geschichten lancieren, an Politikerprofilen basteln und mediale Schlachten schlagen." Magnis zitiert einen freien Spindoktor. Danach profitiert die PR-Branche nicht nur von einer einfallslosen Politik. Sie muss sich auch vor einer kritischen Presse nicht mehr fürchten:

    Es gibt mittlerweile unter den Journalisten eine Nachfrage nach PR, die wir kaum noch befriedigen können, auch wenn die Medien das leugnen. Wir können gar nicht so viele Geschichten erfinden, wie (die Medien) von uns haben wollen.
    Als eine Konsequenz aus dem Vertrauensschwund der Medien hebt Tillmann Prüfer - in "Novo Argumente" – den Blogger-Journalismus hervor. Dieser bestätige aber nur einen immensen Substanzverlust, denn Blogs sind in den meisten Fällen eine Mischung aus Allgemeinplätzen, schlechter Grammatik, Selbstüberschätzung und zwanghafter Zurschaustellung an (eine) vermeintliche Leserschaft. Das Traurige an der Zuwendung zum Blogger-Journalismus ist, dass sie sich nicht aus der Begeisterung für neue Möglichkeiten, sondern aus dem Zynismus gegenüber den heutigen Medien speist. Man feiert den Amateurjournalisten, weil man an den professionellen Journalismus nicht mehr glaubt.
    Derweil sieht man in der den Grünen nahestehenden Zeitschrift "Kommune" mit der WikiLeaks-Affäre eine noch größere, über die Medienwelt hinausgehende Gefahr heraufziehen: die der "totalen Informationsgesellschaft", welche am Ende - nach Hans-Willi Weis – darauf hinauslaufen könnte, dass allen sozusagen systembedingt die Informationssintflut droht – den politischen Institutionen, der Öffentlichkeit, den Bürgern – was wenn die Demokratie infolge der jüngsten medialen Innovation an der täglichen Informationslawine zu ersticken droht? Wenn die Demokratie ihre lebendige Substanz – den fairen Interessenausgleich über einen halbwegs vernünftigen öffentlichen Diskurs in einer ans Absurde grenzenden Datenschwemme förmlich ertränkt?

    Gelesene Zeitschriften:
    - "Vorgänge"
    - "Novo-Argumente"
    - "Cicero"
    - "Kommune"