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Ergänzung zum Elternhaus

Erziehung. – Zurzeit wird hierzulande heftig über die Erziehung in Kinderkrippen diskutiert. Beide Seiten rufen die Wissenschaft in den Zeugenstand, zitieren Studien und Experten. Doch die scheinen es wesentlich pragmatischer zu sehen als die im Schlachtgetümmel stehenden Politiker.

Von Volkart Wildermuth | 23.02.2007
    Hier spielen und lernen Drei- bis Fünfjährige in einer Berliner Kindertagesstätte, nebenan werden auch Kleinkinder betreut. Die Räume sind hell, es gibt mehrere Erzieherinnen, gute Bedingungen also. Trotzdem befürchten viele Eltern und offenbar auch viele Politiker, dass vor allem ganz jungen Kindern in der Krippe etwas fehlen könnte: die enge, die ausschließliche Bindung an die Mutter. Schließlich ist das Gelingen dieser ersten Beziehung im Leben entscheidend für die Entwicklung der Psyche, das zeigen viele Studien. Kinder, die ihrer Bezugsperson nicht vertrauen, sind später oft ängstlich, scheu und ohne Selbstvertrauen. Daraus folgt aber nicht, dass die Kleinen nur im Notfall eine Krippe besuchen sollten, meint Dr. Ilonka Hardy vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung:

    "Es hat sich mittlerweile sehr stark herausgestellt in der Forschung, dass Kinder schon im kleinen Alter sehr wohl dazu in der Lage sind, Bindungen, sichere Bindungen, zu mehreren Bezugspersonen aufzubauen. Das heißt, dass nicht nur die Mutter, wie ursprünglich geglaubt, die zentrale Person sein muss, mit der eine Bindung stattfindet, sondern, wie gesagt, auch andere Personen das übernehmen können."

    Zum Beispiel auch Erzieherinnen. Nach einer Eingewöhnungszeit, bei der die Mutter aus dem Hintergrund Sicherheit vermittelt, haben die meisten Kinder keine Probleme, auch zu dieser zunächst fremden Person Vertrauen zu fassen. Ihre psychische Gesundheit wird dadurch nicht beeinträchtigt, das zeigt zum Beispiel eine Studie des amerikanischen Nationalen Institutes für Kindergesundheit und Entwicklung. Auch Kinder, die schon vor ihrem ersten Geburtstag in eine Krippe kamen, verhielten sich nicht ängstlicher oder unsicherer als Kinder, die ausschließlich Zuhause betreut wurden. Der Besuch einer Kita schmälert auch keinesfalls die besondere Rolle der Mutter oder des Vaters. Je stabiler die Beziehung zu den Eltern, desto stabiler entwickelte sich auch die Psyche der Kinder, die Betreuung außer Haus hatte demgegenüber nur einen kleinen Einfluss, im Guten wie im Schlechten. Für die Kleinkindpädagogin Dr. Charis Förster von der Freien Universität Berlin lautet das wissenschaftliche Fazit zum Kitabesuch:

    "Schaden kann es eigentlich nicht, darüber ist sich die Forschung eigentlich einig, aber die Kinder profitieren nicht gleichermaßen. Kinder, die aus sozial benachteiligten Schichten kommen, profitieren in besonderer Weise von der Kindertageseinrichtung."

    Das wurde vor allem in Kindergärten in amerikanischen Großstädten untersucht. Gerade in Vierteln, die von Armut, Gewalt und zerrütteten Familienverhältnissen geprägt sind, kann eine gute Betreuung außer Haus viel bewirken. Förster:

    "Wenn man sich die Entwicklung der Kinder anschaut und zwar über einen längerfristigen Zeitraum von etwa 20 Jahren, dann hat sich die gute pädagogische Qualität eigentlich echt gut ausgezahlt."

    Das zeigte sich nicht nur in psychologischen Tests sondern auch in so handfesten Maßen wie den Schulnoten oder der Rate späterer Verurteilungen vor Gericht. Eine große Studie aus England an drei bis fünfjährigen zeigt ähnliche Ergebnisse. Je früher sozial benachteiligte Kinder in öffentlichen Einrichtungen betreut wurden, desto mehr profitierten sie. Entscheidend für den Erfolg war, dass sich die Erzieherinnen freundlich um die individuellen Bedürfnisse jedes Kindes kümmerten. Eine Untersuchung der Freien Universität zeigt aber, dass längst nicht jede deutsche Krippe und jeder Kindergarten solch optimale Bedingungen bietet. Hier sind noch große Anstrengungen nötig, meint auch Ilonka Hardy. Der Schlüssel ist dabei die Ausbildung der Erzieherinnen. Hardy:

    "In den meisten europäischen Ländern ist die Erzieherinnenausbildung an die Universität gelegt, auch ist das Ansehen dadurch eher dem der Grundschullehrer gleichzusehen, das heißt bei uns ist das auch in der Bezahlung etwas sehr hinterher und insofern sind wir da ein Ausnahmeland und haben Aufholbedarf."

    Aber auch schon heute müssen Eltern kein schlechtes Gewissen haben, wenn sie ihre Kinder in die Hände von Erzieherinnen geben. Selbst wenn die Förderung nicht immer optimal sein mag, der Nachwuchs wird zumindest spielerisch lernen, mit anderen Kindern zu Recht zu kommen.