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Ergreifende Totenklage

Der Titel von Anna Mitgutschs neuem Roman, "Wenn du wiederkommst", ist eine Beschwörung, und diese Beschwörung geht gleich von Anfang an ins Leere. Denn der Roman beginnt mit dem unerwarteten Tod von Jerome, dem Partner der Ich-Erzählerin.

Von Sabine Peters | 17.06.2010
    Wie betäubt erlebt sie die ersten Tage danach. Warum hat keiner seine Atemnot und die Schmerzen in seinem linken Arm als Alarmzeichen gedeutet?

    Jerome wird sie nicht mehr lieben, sie nicht mehr quälen, er wird ihr nicht mehr helfen. Ein jahrzehntelanges Gespräch ist abgerissen, die Frau ist nicht mehr Teil eines Paares. Aber war sie das je?

    Die Schriftstellerin Anna Mitgutsch wurde 1948 in Linz geboren, sie lebte und arbeitete lange in den USA. Ihr neuer Roman hat sicherlich einige autobiografische Züge: "Wenn du wiederkommst" erzählt von einer österreichischen Autorin, die als junge Frau ihrem künftigen Mann zuliebe in die USA zieht. Zu dem bedingungslosen Eintritt in die Welt dieses jüdischen Anwalts in Boston gehört ihre Konversion zum Judentum. Dieser gründlich reflektierte Schritt bestimmt aber das Zusammenleben der beiden nicht in erster Linie – sie sind ein unkonventionelles Liebespaar; sie leben vor allem nach ihren eigenen Maßstäben. Ihre Ehe beginnt mit großen Idealen und Vorsätzen: Sie wollen sich gegenseitig alle Freiheit lassen. Die Frau pendelt zwischen Europa und Amerika, ist in ihr Schreiben vertieft. Der Mann hat zahllose Affairen; in schlechten Phasen der Ehe ist es wohl vor allem die Tochter Ilana, die beide zusammenhält. Als das Mädchen 16 Jahre alt ist, trennen sich die Eltern. Dabei bleiben sie einander verbunden – bis sie Jahre später erneut miteinander leben und auch wieder heiraten wollen. Aber Jerome stirbt. Schon auf seiner Beerdigung muss die Frau sich vor seiner Verwandtschaft für ihre Anwesenheit beinahe rechtfertigen; der Schmerz macht sie alle ungerecht gegeneinander. Wem "gehört" Jerome, und wer war er? Wer ist sie, und wer ist sie jetzt?

    Anna Mitgutsch hat ein intellektuell und emotional kluges Buch geschrieben, eine reflektierte und dabei ergreifende Totenklage. Dabei wirkt ihr Roman außerordentlich lebendig. Das hängt mit der Fülle von Stimmen und Stimmungen zusammen, die hier allmählich zur Sprache kommen. Viele Gäste, die ihre Beileidsbesuche machen, möchten bald wieder zur Tagesordnung übergehen. Jeromes Haus muss ausgeräumt werden, und diese Arbeit gestaltet sich einmal als Wegwerf-Orgie; dann wieder hat die Frau den irrealen Wunsch, die Räume für seine ersehnte Rückkehr vorzubereiten. Sie findet Fotos von anderen Frauen, die sie zerreißen will. Sie fragt sich, welche ihrer gemeinsamen Freunde und Bekannten ihr tatsächlich bleiben werden. Sie entschließt sich, seine Tagebücher auch jetzt nicht zu lesen, um noch dem Verstorbenen seine Intimsphäre zu lassen.

    Mitgutsch zeichnet ihre Charaktere sehr differenziert; der Tod Jeromes macht weder aus ihm noch aus seiner Frau Lichtgestalten. Die große Kunst, in einer Liebesbeziehung zwischen Nähe und Distanz zu balancieren, ist diesem Paar misslungen und gelungen. Die Schwerarbeit der Frau besteht jetzt darin, anzunehmen, dass sich nichts mehr ändern oder zurücknehmen lässt. Dass sie vielleicht Manches nie verstehen wird. Dabei quält sie vor allem die Frage nach der Wahrheit, auch wenn sie weiß, dass es weder d i e eine Wahrheit gibt, noch den einen Jerome. Der Roman schildert einen anhaltenden Ausnahmezustand; nichts ist mehr selbstverständlich, alles gerät der Erzählerin zu einem Zeichen. Sie steht unter einem Deutungszwang: Gutes ereignet sich, weil Jerome doch noch auf irgendeine Weise dafür sorgt; Schlechtes geschieht, weil er tot ist. Viele "normale" Bedeutungen kehren sich um: Der Schmerz, den man normalerweise doch vermeiden will, darf jetzt nicht nachlassen – denn noch schlimmer wäre es, gar kein Gefühl mehr für Jerome zu haben, seine Gestalt zu verlieren.

    "Bis du wiederkommst" ist ein Buch auf der Höhe der Zeit. Denn in einer mobilen Gesellschaft, in der sich auch der traditionelle Familienzusammenhalt gelockert hat, werfen sehr viele geschiedenen Ehen und Patchworkfamilien die Frage auf, wie die oft zerstrittenen Angehörigen auch nach dem Tod eines ihrer jeweils Nächsten mit ihrer brüchigen Geschichte weiter leben. In den auf- und abgeklärten modernen Gesellschaften kommt hinzu, dass der Tod nicht mehr in einen tröstenden, weil sinnstiftenden religiösen Deutungszusammenhang eingebettet ist. Möglicherweise gibt es auch deshalb in den letzten Jahren eine so große Fülle an Büchern zum Thema Tod. Anna Mitgutschs Roman hebt sich von vielen vergleichsweise schlichten Darstellungen ab. Die formale Strenge des Buchs verhindert, dass die Fülle des Stoffs ausufert; der Text ist konzentriert und "verdichtet" geschrieben; er ist zurückhaltend, ohne zu beschönigen. "Bis du wiederkommst" geht weit über das einfache Abbilden von subjektiv Erlebtem hinaus. Elemente des eigenen Lebens werden zu einem Steinbruch, aus dem etwas Neues, Selbstständiges entsteht – Literatur im emphatischen Sinne. Dieses Buch ist ein Memento mori, und es sagt daher nicht zuletzt: Die Erinnerung an den Tod ist immer auch verbunden mit der Frage nach einem guten Leben.

    Anna Mitgutsch: Wenn du wiederkommst. Roman. Luchterhand, 272 Seiten, 19,95.-