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"Erhalten werden muss dieser Verlag"

Der Gerichtsbeschluss gegen die Suhrkamp-Gesellschafterin Ulla Unseld-Berkéwicz sei "ein Coup" gewesen, sagt der Schriftsteller Durs Grünbein. Er sei zufrieden mit der Verlagsführung durch Unseld-Berkéwicz - und beklagt die "extrem feindselige Presse" bei der Berichterstattung über das Verlagshaus.

Das Gespräch führte Dina Netz | 11.12.2012
    Dina Netz: Einige renommierte Autorinnen und Autoren hat Suhrkamp in den vergangenen Jahren im Streit verloren – Martin Walser, Adolf Muschg und Daniel Kehlmann zum Beispiel sind zu anderen Häusern gegangen, weil ihnen die Verlagspolitik der Suhrkamp-Witwe nicht passte. Viele andere sind aber auch geblieben. Peter Handke, Rainald Goetz, Ralf Rothmann zum Beispiel. Durs Grünbein, Jahrgang 1962, gehört auch zu Letzteren. Ich habe ihn gefragt: Der Suhrkamp-Verlag hat ja seit dem Tod Siegfried Unselds schon einige Turbulenzen zu überstehen gehabt – warum sind Sie dem Haus treu geblieben?

    Durs Grünbein: Das hat viele Gründe. Der erste Grund liegt in unserer gemeinsamen Geschichte mit dem alten Verleger Siegfried Unseld, dem ich wirklich sehr zugetan war und dessen Nachfolgeregelung ich auch verstanden habe. Er hat irgendwann sehr deutlich und klar gesagt, dass er sich seine Frau als zukünftige Verlegerin vorstellt. Und dann habe ich gewissermaßen ganz klar auf sie den Treue-Eid abgelegt und muss auch sagen, dass ich im Ganzen sehr zufrieden bin mit der weiteren Entwicklung, auch dieser Verlagsführung. Das Konzept ist gut geblieben, an manchen Stellen haben sich sogar noch neue Konturen gezeigt, im Bereich der neueren deutschen Literatur ist ja doch viel passiert, so gute Arbeit ist eben geleistet worden.

    Netz: Vermutlich verfolgen Sie ja nun auch die Prozesse und die damit verbundenen Entwicklungen bei Suhrkamp. Was war denn Ihre Reaktion, als Sie gestern erfuhren, dass laut Gericht die Geschäftsführung abberufen werden muss?

    Grünbein: Na ja, dieselbe Bestürzung, die Sie nun von vielen anderen auch gehört haben. Es sind ja vor allen Dingen die verlagsinternen Mitarbeiter auch völlig perplex. Also das war schon ein Coup, mit dem wohl keiner gerechnet hat. Ich weiß nicht mal, ob die gegnerische Seite tatsächlich schon geglaubt hat, dass es so schnell geht. Ich finde, es muss dringend getrennt werden von dem anderen Verfahren um die Frage der Finanzierung der Villa. Da ist ja im Grunde auch ein Entgegenkommen längst signalisiert.
    Zur Villa vielleicht ein Wort: Ich habe da mehrere grandiose Veranstaltungen auch in den letzten Jahren miterlebt. Es ist ein Begegnungshaus auch. Es ist vielleicht nicht ganz glücklich, wie hier die Privatsphäre und die öffentliche quasi zumindest für die Öffentlichkeit nicht ganz transparent ineinander übergehen.

    Netz: Machen Sie sich denn, Herr Grünbein, jetzt ernsthafte Sorgen um Ihren Verlag, oder gehen Sie irgendwie davon aus, so ein Haus wie Suhrkamp, das wird doch nicht einfach untergehen?

    Grünbein: Mich beruhigt stark ein sehr gelassener Ton bei einigen Lektoren und Mitarbeitern, das finde ich gut. Die Leute im Maschinenraum machen ihre Arbeit natürlich weiter in aller Sorgfalt. Man hört oft, warum können sich die beiden Konfliktpartner denn nicht einigen. Nun, da liegt praktisch das Problem sehr früh an der Wurzel. Man muss es vielleicht doch noch mal ganz kurz erläutern: Es ist von Anfang an eine sehr, sehr unglückliche Verschränkung vieler Probleme gewesen, die es so wie ich, wenn ich rundum sehe, bei anderen Verlagen nicht gegeben hat. Wir hatten an der Wurzel den Familienstreit, eben leider den Dissens zwischen Vater und Sohn, die unsichere Nachfolgeregelung, dann plötzlich das Problem der Standortfrage, dann sozusagen eine transnationale Gesellschaftermischung. Also wir haben hier mit Schweizer und mit deutschen Partnern zu tun. Und das Haus der Winterthur AG, die hatten damals natürlich das bessere Verhältnis zum alten Patriarchen. Das war also von Anfang an, sagen wir mal, auch ein von vielen Vorurteilen belastetes Misstrauen. Niemand kannte die junge Verlegerin. Aber die Schweizer Seite hat damals sehr früh entschieden: Nein, wir glauben, wir wollen das nicht mit ihr.
    Und jetzt kommt mein Hauptkritikpunkt, und das ist natürlich eigentlich eine ziemlich extrem feindselige Presse seit Jahren. So was habe ich eigentlich überhaupt noch nicht erlebt. Auch alle Insider schütteln immer wieder mit dem Kopf. Wir können selbst gerade wieder lesen, es reicht ja manchmal die Überschrift. Da gibt es dann so Stichworte wie "Suhrkamputt" und so. Das meinen die vielleicht manchmal gar nicht, aber es wird hier eine extrem verunsichernde Stimmung erzeugt, und das ist auch zum Teil ein falscher Alarmismus. Es ist aber mehr noch als das, und das werfe ich zum Teil Teilen der Presse vor, schon länger eine ziemlich deutliche Kampagne auch zu spüren gewesen.

    Netz: Noch mal vielleicht zum Schluss eine Einschätzung einfach des Suhrkamp-Verlages. Der Kulturwissenschaftler Claus Leggewie, der hat heute gesagt, diese ganze Auseinandersetzung, die setze "ein Stück Kulturerbe" aufs Spiel. Das sind ja große Worte. Auch heute noch angemessene Worte?

    Grünbein: Ja, also darüber sind sich ja alle einig. Das ist ein großes Traditionshaus mit einer großen literarischen Vergangenheit. Es ist ein allgemeines Kulturgut in der Tat. Es ist auch einer der wenigen unabhängigen Verlage bislang noch, der noch nicht von einem noch größeren Haus schon längst geschluckt wurde. Erhalten werden muss dieser Verlag. Wir haben jetzt ein paar Nachrufe, die ich hier und da schon höre, und das geht mir zu schnell.

    Netz: ... , sagt der Dichter Durs Grünbein, hörbar loyal mit seinem Verlag Suhrkamp.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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    Der Galerist und Medienunternehmer Hans Barlach klagte gegen Unseld (dpa / picture alliance / Carsten Rehder)