Mittwoch, 24. April 2024

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Erinnerung Bewahren
Neue Holocaust-Gedenkstätten in der Ukraine

In der Ukraine spielt der Holocaust bislang kaum eine Rolle in der Gedenkkultur. Dabei wurden 1,5 Millionen Juden auf dem Gebiet der heutigen Ukraine von den Nazis ermordet. Unzählige Massengräber sind bis heute unmarkiert und ungeschützt. Das deutsch-ukrainische Projekt "Erinnerung bewahren" erforscht jetzt diese vergessenen Orte und wandelt sie in Gedenkstätten um.

Von Lorenz Hoffmann und Lars Meyer | 19.09.2019
Blumen liegen auf Grabsteinen an der Gedenkstätte von Babi Jar, in der Nähe von Kiew
Grabsteine an der Gedenkstätte von Babi Jar, in der Nähe von Kiew (picture alliance / dpa / Andreas Stein)
Wladimir Kukuruza sitzt auf einer Parkbank im Zentrum der Kleinstadt Lypowez. Er ist 82 Jahre alt und einer der letzten Juden im Ort. Über seine Kindheit zu sprechen, fällt ihm bis heute schwer.
"Nicht weit von unserem Haus war der Fluss. Da standen immer die deutschen Soldaten Wache. Manchmal kamen sie zu uns, um Wasser zu trinken oder sonst was. Mutter versteckte uns dann schnell. Mein Gott, wenn die gewusst hätten, dass wir da sind."
Fünf Jahre lang verbrachte der Junge bei seiner ukrainischen Tante im Versteck. So überlebte er die deutsche Besatzung. Rund die Hälfte der Einwohner von Lypowez waren Juden. Von ihrem Schicksal erfuhr Herr Kukuruza erst Jahrzehnte nach Kriegsende: "1200 Menschen haben sie erschossen. Es gibt so ein Massengrab, ein ungepflegtes, da sind Bäume und ein Feld, wo sie säen und ernten. Das ist nicht in Ordnung."
2000 Massengräber allein in der Ukraine
Rund 2000 solcher Massengräber gibt es laut Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas allein in der Ukraine. Vergessene Orte. Der "Holocaust durch Kugeln" – in den Ländern Osteuropas, wo er stattfand, aber auch in Deutschland, dem Land der Täter, ist er noch immer wenig bekannt. Dabei wurden von insgesamt sechs Millionen Opfern des Holocaust zwei Millionen erschossen, auf Feldern, in Waldstücken, Schluchten oder Sanddünen.
In Chasyn bei Berdytschiw ermordeten die Deutschen im September 1941 über 1300 Menschen in einer Senke. 78 Jahre später ertönt zu ihrer Erinnerung der Schofar, das Widderhorn. Durch die Senke schlängelt sich jetzt ein Fluss aus hellem Geröll. Chasyn ist die erste von acht Gedenkstätten, die in dieser Woche im Rahmen von "Erinnerung bewahren" in der Ukraine eingeweiht werden.
Durchgeführt wird das Projekt seit 2015 von der Stiftung Denkmal, die auch das Holocaust-Mahnmal in Berlin betreut. Zur Eröffnungsrede im Zentrum von Berdytschiw spricht die deutsche Botschafterin Anka Feldhusen. Berdytschiw, sagt sie auf Ukrainisch, sei das Symbol für den Untergang einer Epoche. Ein Symbol für die Verbrechen, durch die Deutschland schreckliches Leid in die Ukraine gebracht hat.
Allgemeines Gedenken an "Opfer des Faschismus"
Mitten in der Stadt mit ihrer einst blühenden jüdischen Gemeinde wird eine dauerhafte Freilichtausstellung eingeweiht. Fünf Informationsstelen streben zum Himmel. An einigen Massengräbern entstanden zwar bereits zu Sowjetzeiten Obelisken mit Gedenktafeln. Doch die sprachen nur allgemein von "Opfern des Faschismus" und verschwiegen deren überwiegend jüdische Identität. Mit Hilfe ukrainischer Partner will das Projekt "Erinnerung bewahren" deshalb einen Wandel der Gedenkkultur bewirken. "Das sind unsere Aufsteller. Hier geht es um den Holocaust. Sehen Sie, wo die Denkmäler eingezeichnet sind, da waren die Erschießungen."
In Lypowez wartet bereits die Lehrerin Olena Nenukova auf die Ankunft der internationalen Gäste. Sie hat am projektbegleitenden Bildungsprogramm teilgenommen und mit ihren Schülern die jüdische Geschichte ihres Ortes erforscht. "Die Schüler sehen die Tafeln jeden Tag und irgend jemand hat immer eine Frage. Außerdem haben wir einen Kurs "Geschichte des Holocaust", einmal in der Woche für die 10. und 11. Klasse. Und da beschäftigen wir uns ein ganzes Jahr lang mit dem Thema."
Seit 2010 wurden im Rahmen von "Erinnerung bewahren" insgesamt 20 Massenerschießungsstätten gesichert. 20 von 2000.
(Der Beitrag entstand während einer Reise mit der Stiftung Denkmal – im Rahmen des Projekts "Erinnerung bewahren".)