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Erinnerung gegen Nationalismus

Am 29. November 1943 wurde in der bosnischen Stadt Jajce die Gründung des neuen demokratischen Staates Jugoslawien proklamiert. Später richtete man in diesem Gebäude der Staatsgründung ein Museum ein, das jährlich knapp 300.000 Besucher anzog. Während des Bosnien-Kriegs jedoch wurde es 1992 zerstört und geplündert. Jahrelang bemühten sich verschiedene bosnische Institutionen sowie Privatpersonen um die Wiedereröffnung des alten Museums. Zum 65. Jahrestag war es soweit.

Von Martin Sander | 07.12.2008
    "Das AVNOJ-Museum ist zum zweiten Mal eröffnet worden, um die Erinnerungen an die Geschichte aller jugoslawischen Völker des 20. Jahrhunderts zu bewahren. Wir begreifen nur langsam, von welcher Bedeutung AVNOJ für die heutige staatliche Existenz dieser Völker ist."

    Enes Milak, Historiker und Direktor des AVNOJ-Museums in Jajce. Die malerische Stadt in der Mitte Bosniens war nicht nur vor vielen Jahrhunderten die Residenz bosnischer Könige. Sie hat auch ein zentrales Kapitel der modernen jugoslawischen Geschichte geschrieben. Vor 65 Jahren, am 29. und 30. November 1943 schufen 142 Delegierte der Partisanenarmee Titos die gesetzlichen Grundlagen für ein neues, föderatives Jugoslawien, in dem alle beteiligten Völker gleichberechtigt sein sollten. In den fünfziger Jahren wurde das Haus, in dem der Antifaschistische Rat zur Volksbefreiung Jugoslawiens, kurz: AVNOJ, getagt hatte, zum Museum. Es war ein Museum, in das Menschen zu sozialistischen Zeiten aus allen Landesteilen in Massen zu pilgern pflegten. Im Bosnien-Krieg der neunziger Jahre fiel das AVNOJ-Museum der Verwüstung anheim.

    Als das Museum am 29. November wiedereröffnet wurde, nahm im historischen Sitzungssaal - mit Bildern von Stalin, Roosevelt und Churchill an den Wänden und einer Tito-Skulptur auf der Bühne - noch einmal einer der Delegierten von 1943 Platz - Ljubo Babić, 94 Jahre alt, bosnischer Serbe, der heute in Belgrad lebt.

    "Ich behaupte nicht, daß es keine Fehler gab. Aber ich möchte betonen, daß dieses Jugoslawien kein Einparteienstaat, sondern nach der Meinung der meisten Menschen eine Demokratie war. Den Arbeitern ging es sichtbar immer besser. Fabriken wurden gegründet, Dörfer beleuchtet. In Bosnien hat man zum Beispiel über eintausend Grundschulen gebaut. Bosnien, das vor dem Zweiten Weltkrieg keine fünfzig Kilometer Asphaltstraße hatte, erhielt ein Straßennetz von Sarajevo nach Bihać, nach Norden, nach Osten und bis zur Adria."

    Jahrelang hat eine Bürgerinitiative unter der Leitung des Historikers Enes Milak in Jajce für die Wiedereröffnung des AVNOJ-Museums gekämpft. Der Gruppe ging es dabei weniger um einen Ort der nostalgischen Rückbesinnung auf den kommunistischen Tito-Staat als um die kritische Rückbesinnung auf die Ziele der Partisanenbewegung im Zweiten Weltkrieg: Den Kampf gegen den Nationalismus und den Einsatz für ein gleichberechtigtes Miteinander der Völker.

    "Es geht um AVNOJ und die Dokumente, die von AVNOJ hinterlassen wurden. Sie sind sehr demokratisch geprägt. Damals, 1943, wurde der jugoslawische Staat als Föderation gegründet."

    Museumsdirektor Enes Milak will auch aktuelle Missstände beseitigen, zum Beispiel der Separation der Schüler im heutigen Bosnien nach Volksgruppen. Für sein Konzept hat er schließlich die Unterstützung der bosnischen Regierung in Sarajevo gewinnen können. Zur Wiedereröffnung kamen über 3000 Menschen nach Jajce. Die Straßen beherrschten zum Teil im historischen Kostüm angereiste Kombattantenverbände. Allem Anspruch auf kritische Geschichtsbetrachtung zum Trotz wurden Titobilder allenthalben feilgeboten, mal als zeitgemäßer Sticker, mal als kitschiger Holzschnitt. Ein Zigarrenraucher in weißer Marschallsuniform, Titos Lieblingskleidungsstück, und Jugendliche im verfremdeten Partisanenlook verwiesen darauf, daß sich die Popkultur auch der AVNOJ-Geschichte zu bemächtigen versteht. Die national eingestellten kroatischen und bosniakischen Machthaber der Stadt haben zwar nicht sonderlich viel für die Wiedereröffnung des Museums getan, sie aber auch nicht verhindert. Und viele Menschen aus Jajce sehen in der Wiederbelebung der AVNOJ-Tradition einen Weg aus dem Schattendasein, das ihre Stadt seit dem Auseinanderfall Jugoslawiens fristet, erklärt Mirko Ljubez, von Beruf Deutschlehrer:

    "Für Jajce ist das wichtig, auch in Bezug auf den Tourismus. Sie haben heute wahrscheinlich sehen können, daß sehr viele Menschen hier waren, und das ist nicht immer der Fall."