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Erinnerungen an den Tag des Terrors

Der 11. September 2001 war eine Zäsur für die Menschen in Amerika und im Westen. Bis heute sind die Folgen der Terroranschläge spürbar, das zeigt sich auch in der Deutschen Schule in Washington.

Von Klaus Remme | 10.09.2011
    Aufgeregte Erstklässler drängen neugierig in einen Raum, der ganzen Schülergenerationen vermutlich eher in unangenehmer Erinnerung ist, das Büro des Direktors. Seit zwei Jahren leitet Waldemar Gries die Deutsche Schule Washington, mit über 500 Schülern vom Kindergarten bis zum Abitur, die größte und älteste ihrer Art in den USA. Der 11. September und die latente Terrorgefahr haben hier Spuren hinterlassen, sagt Gries:

    "Die Schule hat ein sehr ausgeklügeltes System an Sicherheitsmaßnahmen, die Schule ist von außen nicht einfach zugänglich, die Türen sind gesichert, auch durch Videokameras, die Türen schließen selbstständig, die Kollegen und Kolleginnen tragen Sicherheitsmarken mit ihrem jeweiligen Passbild, Besucher bekommen einen Knopf oder Badge."

    11 Uhr 35, in der 12b steht Sozialkunde auf dem Stundenplan. Die Schule liegt keine 30 Kilometer vom Pentagon entfernt, einem der Ziele des 11. September. Lehrerin Marita Heep steht an der Tafel, natürlich wird in diesen Tagen 9/11 thematisiert:

    17, 18 Jahre sind die Schüler vor ihr. Marita Heep hört etwas, das sie im Klassenraum bald nicht mehr hören wird, Erlebnisse von Heranwachsenden, die sich als Kinder noch erinnern können, an den Tag des Terrors, wie hier Sonja, Yannic, Nicholas und Justine:

    "Meine Mutter war total aufgeregt und ich hab gedacht, sie schaut irgendeinen Film."

    "Vor 9/11 habe ich Menschen nicht so schlimme Dinge zugetraut, wie danach."

    "Meine Mutter ist Amerikanerin, ich kann mich noch genau erinnern, die hatte nur schwarz an."

    "Wir saßen bei meiner Mutter im Zimmer und haben den Fernseher angemacht, das war das erste Mal, das ich sie weinen gesehen habe."

    Marita Heep unterrichtete schon damals in der Deutschen Schule. Sie erinnert sich an schwierige Stunden unmittelbar nach den Anschlägen, die damalige Schulleitung habe versucht, Informationen nach Möglichkeit abzublocken, die Devise war: nur keine Panik. Kein Fernsehen, Lehrer in die Klassenräume, kaum Telefonate. Der damalige Schulleiter Hans Klaustermeyer erinnert sich und sagt, wir konnten das potenzielle Ausmaß der Katastrophe in den ersten Stunden doch noch gar nicht abschätzen. Marita Heep:

    "Ich fand das ein schwaches Argument, man kann destabilisieren, indem ich Schülern Informationen vorenthalte, ich kann Stabilität vermitteln durch Information."

    Diskussionen, die so oder ähnlich auch in amerikanischen Schulen geführt wurden, doch einen Tag später geriet die Deutsche Schule in eine bis heute umstrittene Sonderrolle, am 12. September wurde unterrichtet. Marita Heep:

    "Das war Auslöser für offen artikulierte Zweifel an der Sensibilität der Deutschen Schule und ich kann mich erinnern, ich hatte einen Kollegen, der leider nicht mehr da ist und der hat zum ersten Mal in seinem Leben einen Beschwerdebrief an den Vorstand gerichtet, mit dem Inhalt, dass er sich schäme, an der Deutschen Schule zu unterrichten, und man wertete das Öffnen der Schule als fehlende Sensibilität gegenüber den Amerikanern."
    Hans Klaustermeyer, der damalige Direktor, verteidigt seine Entscheidung, würde es heute wieder so machen. Den Unterricht ausfallen zu lassen, das hätte bedeutet, dass einige Schüler allein zu Hause gewesen wären, sagt er am Telefon. Kolleginnen wie Jan Apel, eine Amerikanerin, die hier Sport unterrichtet, konnte die Entscheidung nicht verstehen:

    "Die Emotionen in der Schule, Lehrer weinten, Schüler wussten nicht, ob sie auch weinen sollten. Fragten, wie sie reagieren sollten, wie man sich selbst fühlte und als Amerikanerin wusste ich nur, mein Land wurde angegriffen."

    "Man kommt nicht mehr so leicht ins Weiße Haus, nicht das es vorher leicht war, es jetzt hast du keine Chancen, ich finde, dass die Sicherheit auch wirklich nötig ist, und wenn es vielleicht ein wenig übertrieben ist, wenn sie nicht so stark wäre und wieder was passiert, heißt es, das man nichts dagegen getan hat."

    Luke, in der Klasse 12 über die Folgen des Tages, die allgegenwärtigen Kontrollen, gerade im Raum Washington. Mit Blick auf die Lehrpläne sagt Sozialkundelehrerin Heep:

    "Das Problem ist, das 9/11 vor allem sicherheitspolitisch gesehen wird, das heißt, im Curriculum unter Außen- und Sicherheitspolitik, und wird dann behandelt, in den nächsten Monaten in dieser Klasse, wenn es darum geht zu fragen, von welchen Prinzipien wird die deutsche Außenpolitik geleitet, NATO und UN. Was ganz wenig ist und was ich eigentlich schade finde, ist die Frage, wie hat sich die Innenpolitik verändert. Die Anti-Terror-Gesetze in USA und in Deutschland sind ja relativ ähnlich."

    Geschichte in der 6b. Der Geburtsjahrgang einiger Schüler: 2001. Auch hier ist 9/11 schon Thema. Sam und Alex diskutieren die aktuelle Gefahr:

    Frage: Warum sollte man keine Angst haben?

    Sam: "Weil alle Leute, die das gemacht haben, tot sind. Die Organisation ist 'runtergegangen. Osama bin Laden ist nicht hinter Gittern, also muss ich mich nicht um einen Ausbruch sorgen."

    Alex: "Ich denke, es ist El Kaida ganz egal, ob Osama bin Laden tot ist oder nicht, die haben ja noch andere Terroristen, die das machen können."

    Die Erstklässer verabschieden sich von Schulleiter Gries, sie werden ohne persönliche Erinnerung an den Tag vor zehn Jahren aufwachsen, der Direktor weiß, sie sind auf Zeitzeugen und Pädagogen angewiesen, um die Lehren des 11. September zu verstehen:

    "Hier sehen wir Elemente, wie Menschen die Grenzen der Fantasie gesprengt haben, wie weit Fanatismus führen kann, stärken wir unsere Schülerinnen und Schüler, dass sie selbstständige, starke Persönlichkeiten werden können, dann sind sie meines Erachtens auch gegen Fanatismus gefeit."